"Ich möchte wirklich tiefer graben"
Ausgerechnet im Militärmuseum in Dresden: Zwischen Kanonen und Uniformjacken zeigt Regina Schmeken ihr Fotoprojekt "Blutiger Boden. Die Tatorte des NSU". Ihre Fotos zeichnen sich vor allem durch die auffällige Perspektive der Kamera aus.
Der schrundige Baumstamm vor einem Wohnhaus mit Gemüsegeschäft. Eine Regenpfütze, in der sich Reihenhausfassaden spiegeln. Aufgerissener Asphalt, Verbundsteinpflaster, aus dessen Fugen Unkraut wuchert. Alltag in grobkörnigem Schwarzweiß, durchzogen von vielen Grautönen. Spektakulär sind die Aufnahmen von Regina Schmeken kaum, aber eigensinnig.
Als großformatige Fotografien, im Militärhistorischen Museum Dresden angeordnet zu einem durchgehenden Bilderfries, bekräftigen sie eine individuelle Sichtweise auf DAS Bildmotiv unserer Zeit: Die Mordserie des NSU, des Nationalsozialistischen Untergrund, hat die Fotojournalistin der "Süddeutschen Zeitung" zum Thema gemacht, mit einer späten, dafür umso eindringlicheren Tatortbesichtigung.
Verstörend, verunsichernd wirken vor allem extreme Untersichten. Es sind Einstellungen, für die sich Schmeken tief heruntergebeugt hat – als wolle sie die Kamera ansetzen wie einen Spaten. Was steckt tatsächlich dahinter?
"Dass ich einerseits wirklich tiefer graben möchte oder diese Fragen zu den Morden mich nicht loslassen, nicht loslassen können, wenn man keine Antworten bekommt. Und zweitens ist es schon so ein, ja; vielleicht ist es eine Art Respekt. Vielleicht ist es dieses Gefühl am Tatort, dass der Mensch gestürzt ist, er ist auf den Boden gestürzt. Er ist vernichtet, er liegt in seinem Blut."
Je drei Fotos einem der zwölf Tatorte gewidmet
So stellt es sich die Fotografin vor. Und so könnte, sollte man ihre Bilder sehen. Denn Regina Schmeken, die Zeitungsjournalistin, unterwirft sich nicht den Gesetzen aktueller Nachrichtenproduktion. Ihre unorthodoxe Arbeitsweise erinnert an Gabi Teichert, die Geschichtslehrerin aus Alexander Kluges Film "Die Patriotin". Die gräbt nachts, heimlich und unerlaubt, auf Baustellen nach Überresten deutscher Geschichte. Um Material zu bekommen für einen alternativen Unterricht: Aufklärung, die sich nicht abspeisen lässt mit vorgefertigter Historie, mit konfektionierten "Erzählungen":
"Es stellten sich mir plötzlich so viel Fragen, dass ich versucht habe, mir mit bildnerischen Mitteln irgendeine Antwort zu geben und mir wichtig war, noch mal auf eine andere Art darauf hinzuweisen, was passiert ist."
Das erreicht man nicht mit plakativ formulierten Anklagen, sondern durch Bildkompositionen, die Blicke und Einsichten öffnen. Dafür hat Schmeken je drei Fotos einem der insgesamt zwölf Tatorte gewidmet – in der klassischen Form des Triptychon.
So werden in der Dresdner Ausstellung Tatorte, Täter und vor allem die Opfer eben nicht einfach abgebildet, sondern ins Bewusstsein zurückgerufen. Über das Gedenken hinaus entsteht ein Reflexionsraum – ausgerechnet im Militärmuseum.
"Es geht bei weitem nicht nur um Uniformjacken oder Kanonen oder Schießgewehre. Dieses Museum hat einiges gemacht zu rechtsradikaler Gewalt, das kommt auch noch hinzu."
Ein überraschender, aber überzeugender Ort für die Fotos
Es ist ein überraschender, aber auch überzeugender Ausstellungsort. Weil nicht Militaria, sondern unverbrämt Entstehung und Folgen von Gewalt präsentiert werden – auch in künstlerischen Darstellungen. In diesem kulturgeschichtlichen Kontext verliert der Titel des Fotoprojekts – "Blutiger Boden" – den martialischen Klang.
"'Blutiger Boden' verweist einerseits auf die Ideologie dieser im Geiste des Nationalsozialismus agierenden Gruppe. Andererseits ist es aber auch so, das wirklich alle Opfer auf dem Boden in ihrem Blut gefunden wurden."
Mit dieser Vorstellung umzugehen, dafür Bilder zu finden, das ist keine leichte Aufgabe. Die ersten Probeabzüge haben die Kuratoren des Militärhistorischen Museums an Schriftsteller geschickt – die ihre Interpretation in kurzen Essays festhielten. Das war eine unerwartete Orientierungshilfe für Regina Schmeken.
"Durch die Reaktion von Schriftstellern, die mit mir den Katalog gemacht haben. Dass vielleicht, wie es Zaimoglu ausgedrückt hat, durch diese Leerstellen, die man plötzlich wahrnimmt, eine Würdigung der Opfer vorgenommen wird, durch diese Arbeit."
"Meine Leidenschaft ist die Wahrnehmung"
Autoren wie Feridun Zaimoglu oder Hans Magnus Enzensberger schildern im Katalog ihre subjektiven Eindrücke beim Betrachten der Fotografien. Und werfen damit neue, wichtige Fragen auf. Hervorgerufen, ermöglicht durch die eigensinnigen, unverstellten Aufnahmen von Regina Schmeken.
"Es ist so, dass ich mit meinen Bildern nichts zeigen will. Im Idealfall ist solch ein Bild aus mehreren Schichten aufgebaut, ist nicht eindeutig und soll zum Hinsehen anregen. So, wie ich ja auch versuche hinzugucken. Meine Leidenschaft, mein Metier ist die Wahrnehmung."
Und leidenschaftliche Wahrnehmung, engagierte Aufklärung hat dieses Land nötiger denn je.