Julia Leeb: "Menschlichkeit in Zeiten der Angst - Reportagen über die Kriegsgebiete und Revolutionen unserer Welt"
Suhrkamp Verlag, Berlin 2021
234 Seiten, 18 Euro
"Ich versuche, die Lücken zu schließen"
35:37 Minuten
Ihre Bilder findet Julia Leeb in den "toten Winkeln der Welt", wo kaum jemand hinschaut. Die Fotojournalistin arbeitet in Kriegs- und Krisenregionen, dokumentiert Gewalt, findet aber auch Menschlichkeit: In Fotos, die "nicht übersetzt werden müssen".
Julia Leeb reist an Orte, von denen hierzulande selten die Rede ist und über die man hier in Deutschland nicht viel weiß. Mit ihrer Kamera war die Fotojournalistin und Filmemacherin unter anderem in den sudanesischen Nuba-Bergen, in Nordkorea oder in Libyen, um zu dokumentieren, wie der Alltag der Menschen dort aussieht.
"Wir leben in einem Informationszeitalter und trotzdem sind die Nachrichten, die wir bekommen oder die Themen, sehr redundant", sagt sie. "Es gibt viele blinde Flecken. Es gibt die toten Winkel, die einfach nicht stattfinden. Und diese Menschen, die wissen alles über uns und wir wissen nicht mal, dass sie existieren. Ich versuche, die Lücken zu schließen."
"Die Menschen in den Mittelpunkt gestellt"
Es sei ihr ein Rätsel, warum viele Journalistinnen und Journalisten die Menschen nicht zu Wort kommen lassen, sondern ihre Berichterstattung auf führende Politiker oder Militärs fokussierten. Am Beispiel Nordkoreas werde das besonders deutlich, sagt die Fotojournalistin.
"Man kennt Kim Jong Un, man kennt die Militärparaden. Jeder sagt: 'Oh, mein Gott, diese 25 Millionen Nordkoreaner wissen ja gar nichts über die Außenwelt!' Aber wir wissen auch überhaupt nichts über sie. Deswegen habe ich ein Buch publiziert über das Alltagsleben der Koreaner", erklärt sie. "Ich habe einfach die Menschen in den Mittelpunkt gestellt und nicht immer die gleichen Machthaber."
Bilder als universelle Sprache
Manchmal dauere die Reise an einen entlegenen Ort viel länger als ihr eigentlicher Aufenthalt, erzählt Julia Leeb. Sie dokumentiere das, was sie im Augenblick ihrer Anwesenheit sehe und reise sofort wieder ab. "Ich mache diese Bilder, weil sie nicht übersetzt werden müssen, weil es eine universelle Sprache ist und weil ich sie im besten Fall mit einem Mausklick verbreiten kann."
Schon als Kind reiste Julia Leeb häufig mit ihrer Familie in weit entfernte Länder. "Wir sind früher oft nach Indien, mein Bruder hat dort auch gearbeitet, und es hat mir natürlich gezeigt, wie groß die Welt ist. Dass sie stinkt, duftet, schön, hässlich, brutal, großmütig, grausam und spirituell gleichzeitig ist. Und das war natürlich ein Privileg, das sehen zu dürfen."
"Diese Hoffnung lebt einfach weiter"
In ihrem neu erschienenen Reportage-Buch "Menschlichkeit in Zeiten der Angst" schildert sie auch hoffnungsvolle Begegnungen wie die mit Mama Masika.
"Mama Masika ist eine unglaubliche Persönlichkeit. Sie hat das Schlimmste erlebt, was man erleben kann: Sie wurde mehrfach vergewaltigt, ihr Mann wurde vor ihren Augen umgebracht, ihre Kinder wurden vor ihren Augen vergewaltigt. Sie hätte sich einfach rächen können, für immer und ewig sich diesem Schmerz hingeben. Und sie hat genau das Gegenteil gemacht", erzählt Julia Leeb.
"Aus irgendeiner unerfindlichen Kraft, die wahrscheinlich auch in uns allen steckt, hat sie eine Vision gehabt, dass sie anderen Menschen hilft, die in der gleichen Situation stecken. Sie hat Tausenden, Tausenden, Tausenden von Vergewaltigungsopfern geholfen und hat denen eine Zuversicht gegeben, eine Hoffnung gegeben. Und diese Hoffnung lebt einfach weiter."
(ruk)