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Wer für die Nationalmannschaft spielt, trägt Verantwortung
Die Fußballer Mesut Özil und Ilkay Gündogan haben sich mit ihrem Erdogan-Fototermin scharfe Kritik eingehandelt. In den Sozialen Medien hagelt es Häme. Dabei gehe es aber weniger um den Migrationshintergrund als um das Demokratieverständnis, sagt Studiogast Sergey Lagodinsky.
Schlechtes Timing: Kurz bevor Jogi Löw seine Aufstellung für die Fußball-WM bekannt gab, haben sich die türkischstämmigen Nationalspieler Ilkay Gündogan und Mesut Özil mit dem türkischen Ministerpräsidenten Erdogan ablichten lassen – und ihm ein T-Shirt mit der Aufschrift "Mein Präsident" überreicht. Was vielleicht als PR-Gag gedacht war, könnte für die beiden schnell zum PR-GAU werden und sorgt für großen Unmut. Denn vielen erscheint das Foto-Posing mit Erdogan wie eine Wahlwerbung für den AKP-Politiker, dessen Regierung derzeit vor allem mit der Inhaftierung kritischer Journalisten von sich reden macht.
"Blödsinn und ein Fehler"
Özil und Gündogan gehören - das wurde am heutigen Dienstag verkündet - wieder zum WM-Kader. Der Deutsche Fußballbund (DFB) ist jedoch nicht begeistert. Sind nicht auch Nationalspieler mit Migrationshintergrund zur Loyalität und zur Zurückhaltung verpflichtet?
Das Foto sei "Blödsinn und ein Fehler" gewesen, sagt unser heutiger Studiogast, der Publizist Sergey Lagodinsky. "Aber ich würde es nicht aufladen mit irgendwelchen staatstragenden Loyalitätsanforderungen. Hier geht es gar nicht so sehr um den fremden Staatschef – hier geht es um das Verständnis von Demokratie: Wofür stehen wir in Deutschland und mit wem lassen wir uns ablichten – ob mit Putin oder mit Erdogan, die in ihren Staaten Unsinn und anti-demokratische Politik treiben. Darüber müssen wir reden."
Mit einen T-Shirt für Macron hätte niemand ein Problem
Im Mittelpunkt stehe nicht so sehr der migrantische Hintergrund oder der mögliche Konflikt doppelter Staatsbürgerschaften – würde sich ein deutsch-französischer Nationalspieler mit Emmanuel Macron und einem ähnlichen T-Shirt fotografieren lassen, gäbe es vermutlich keinen Protest -, sondern, wofür Erdogan stehe.
Sportjournalist Thomas Wheeler wiederum sieht den Fehler auch im Beraterteam der beiden Fußballer:
"Die beiden haben Berater und sind schlecht beraten worden, diese Aktion jetzt durchzuführen." Von Özil wisse man aus eigenen Statements, dass er sich nicht für Politik interessiere, von Gündogan sei ein solches Desinteresse nicht bekannt.
Kein gutes Beispiel für die Fans
"Die haben ja nicht einfach eine SMS bekommen vom türkischen Staatspräsidenten: ‚Mensch, ich bin in London, wollen wir uns mal treffen?‘. Da ist offenbar etwas schief gelaufen – das war offenbar eine private Aktion, die nichts mit dem Fußballbund zu tun hatte." Wer für die Nationalmannschaft spiele, repräsentiere damit auch Deutschland – und das verpflichte dazu, sich solche Aktionen vorher genau zu überlegen.
Sergey Lagodinsky ergänzt: Ihren Fans hätten Özil und Gündogan jedenfalls kein gutes Beispiel gegeben. Der einzige, dem der Fototermin letztlich diene, sei Erdogan. Denn der nutze alles, was seine Popularität fördern könne.
(mkn)
Sergey Lagodinsky, geboren 1975 im russischen Astrachan, ist Jurist und Publizist und lebt seit 1993 in Deutschland. Er leitet das Referat Europäische Union/Nordamerika der Grünen-nahen Heinrich-Böll-Stiftung in Berlin.