Frances Morris: "Agnes Martin"
Mit Beiträge von J. Baas, T. Bell, B. Fer, L. Fritsch, A. Lovatt, F. Morris, M. Müller-Schareck
Hirmer Verlag Düsseldorf, 2015
272 Seiten, 45,00 Euro
Schönheit ist das Geheimnis des Lebens
Die Bilder der US-amerikanischen Künstlerin Agnes Martin zeugen von nüchterner Reduziertheit und mathematischer Präzision. Die jetzt vorgelegte Monographie, die im Ramen einer Retrospektive erscheint, beleuchtet ihre grafische und schriftstellerische Tätigkeit.
Bekomme keine Kinder. Lebe kein bürgerliches Leben. Mache nichts, das Dich von Deiner Arbeit abhält. Lasse niemanden in Dein Atelier. Die amerikanische Malerin Agnes Martin war nicht nur berühmt für kategorische Handlungsanweisungen, sondern auch dafür, sich an sie zu halten. Die Simplizität und Rigorosität ihres Lebens, das sie über Jahrzehnte in New Mexiko verbrachte, wo sie 2004 hochbetagt starb, spiegeln sich in ihrer sparsamen, streng abstrakten Malerei wider. Auch sie folgt über weite Strecken festen Regeln: dem quadratischen Bildformat, einer schwachen Farbigkeit und der Struktur des Rasters. "Einmal beim Raster angekommen, war es ihr Standard, ihr Richtmaß, ein einzigartiges Vehikel für persönlichen Ausdruck, und dies in solchem Maße, dass die ihr durch Inspiration zugekommenen Bilder – "ready-made" sozusagen – immer im Kontext einer bereits bestehenden Vorlage angedacht zu sein schienen." Frances Morris, eine der Kuratorinnen der Retrospektive, die jetzt in Düsseldorf eröffnet, benennt hier den für Martin typischen Brückenschlag.
Es ist ein Brückenschlag, an dem sich die ausstellungsbegleitende Publikation genauso abarbeitet, wie die Literatur zu Martin insgesamt: Wie lässt sich die minimalistische Serialität, nüchterne Reduziertheit und mathematische Präzision von Martins Bildern mit dem verbinden, was sie selbst für ihr Werk reklamiert, mit reiner Eingebung? Gänzlich frei von Rationalität, dagegen genährt von Einsamkeit und Ruhe, erscheinen die Werke vor ihrem inneren Auge. Für Martin ist Eingebung Schönheit, Schönheit ist das Geheimnis des Lebens, das Erkennen von Schönheit ist Glück und "Glück ist das Ziel, nicht wahr?"
Eingebung, Schönheit und Glück
Die umfangreiche Monographie unternimmt einen detaillierten Blick auf Agnes Martins zurückhaltende und eigenwillige Malerei. Die zahlreichen Essays diskutieren das Früh-, Haupt- und Spätwerk, beleuchten Martins grafische und schriftstellerische Tätigkeit und analysieren ihre Darstellung in der Öffentlichkeit. Auch die Künstlerin selbst kommt mit Texten zu Wort, die sich ihren zentralen Begriffen widmen: Eingebung, Schönheit und Glück. Doch so umsichtig die Publikation mit dieser subtilen Malerei umgeht, sie hinterlässt das Gefühl, dem Wesen des Werks zumindest im Sinne der Künstlerin kaum näher zu kommen. Allerdings liegt das in der Natur der Sache.
Denn das Schreiben über Kunst ist für Martin nicht nur nebensächlich, sondern kontraproduktiv. "Es wird so viel über Kunst geschrieben, dass sie mit einer intellektuellen Beschäftigung verwechselt wird." Dabei ist, so Martins Überzeugung, "alles menschliche Wissen für die künstlerische Arbeit nutzlos". Das Gleiche gilt für deren Betrachtung. So unternimmt das Buch den paradoxen Versuch, einen nicht-intellektuellen Zugang zu Martins Werk intellektuell zu vermitteln. Die Künstlerin, die 1980 eine Retrospektive im Whitney Museum wegen des unvermeidbaren Katalogs abgesagt hatte, würde hierauf wohl mit einem weiteren Imperativ reagieren: Lesen Sie diesen Katalog nicht!