Francesca Sanna: "Ich und meine Angst"
Aus dem Englischen von Thomas Bodmer, ab vier Jahren
NordSüd Verlag, Zürich 2019
40 Seiten, 16,00 Euro
Tolles Kinderbuch über ein existenzielles Gefühl
07:14 Minuten
Manchmal kann man negative Gefühle bekämpfen, indem man sie sich einfach als Person vorstellt. Francesca Sanna beschreibt in ihrem Bilderbuch "Ich und meine Angst", wie sich die Furcht als Untermieterin bei einem kleinen Mädchen einquartiert.
Drei Bilderbücher hat die italienische Bilderbuchmacherin Francesca Sanna bisher vorgelegt. Für ihr Debüt "Die Flucht" bekam sie diverse internationale Auszeichnungen, unter anderem stand das Buch auf der Auswahlliste für den Deutschen Jugendliteraturpreis. Gerade ist wieder ein neues Bilderbuch der Künstlerin erschienen, sein Titel: "Ich und meine Angst".
Ein kleines Mädchen erzählt von seiner kleinen Freundin "Angst". Wie ein niedliches, kugeliges Gespenst sieht Angst aus, freundlich und hell. Sie beschützt das kleine Mädchen vor Gefahren: vor bösen Hunden oder dem Sturz aus der Höhe. Angst ist gut, das sehen und begreifen wir schnell in dieser klugen Geschichte – zumindest solange es uns selbst gut geht. Denn: "Seit wir in dieses neue Land gekommen sind, ist die Angst nicht mehr so klein", erzählt das kleine Mädchen weiter.
Wuschel-Äffchen und Wolken-Kolosse
Wieder – wie in Francesca Sannas erstaunlichem Debüt "Die Flucht" – geht es um ein Kind, das sich einleben muss in einer fremden Welt. Ein Kind, das deswegen verunsichert ist und aus der Bahn geworfen ist. Seine Angst wächst ständig: vom kleinen Wuschel-Äffchen über das kindsgroßes Kissenwesen bis zum wolkenartigen Koloss, der den ganzen Raum einnimmt. Das Elternhaus, das Klassenzimmer oder den Schulhof.
Winzig wirkt das Mädchen gegen diese neue Riesen-Angst! Und die ist nicht nur stark, sie beherrscht das Kind auch. Trägt es scheinbar fürsorglich nach Hause, hält es aber auch fest und redet ihm ein, dass niemand es mag. Einsam wird das Kind, unglücklich und auch wütend. Bis eines Tages ein Junge mit ihm spielen will und das Mädchen erkennt, dass auch dieser Junge Angst hat. Und nicht nur er: Jedes Kind hat seine Angst. Und trotzdem können alle miteinander spielen. Wie auch ihre Ängste. Sogar die kleinen oder größeren Ängste spielen schließlich mit.
Vierjährige sind ja kleine Angst-Experten
Eine naive Geschichte nach dem Schema "Ende gut, alles gut"? Ja und nein! Ja, weil diese Angst-Geschichte natürlich gut ausgehen muss. Schließlich haben wir es mit einem Bilderbuch für Vierjährige zu tun, und die sind ja kleine Angst-Experten. Man spürt aber auch, dass Francesca Sanna selbst Angst gut kennt und dass die Arbeit an diesem Bilderbuch vielleicht sogar eine Art Angst-Bewältigungstherapie für sie selbst war.
Aber so einfach die Geschichte auf den ersten Blick wirkt, so komplex ist sie doch unter der Oberfläche. Zum einen dadurch, dass die Angst eine eigenständige Person ist. Ein lebendiges Wesen, das wachsen und schrumpfen, essen und schlafen kann. Das auch fröhlich, freundlich oder nachdenklich sein und sogar Angst haben kann, wie man auf dem hinteren Vorsatzblatt sieht. Angst ist also ein vielschichtiges Phänomen, dem wir aber nicht einfach ausgeliefert sind, sondern über das wir auch mitentscheiden – etwa wie wir mit ihr umgehen.
Pfiffige Details
In allen ihren Bilderbüchern geht es Francesca Sanna um existentielle Themen. Um Flucht und Ankommen, Gefahr und Mut und Durchhaltevermögen. Was diese Bücher aber so besonders macht, sind ihre eindrucksvollen Bilder, die den knappen Text großartig erweitern. In hellen, warmen Farben, mit viel Türkis, Ocker und Braun-Rot zeigen sie mit zauberhaft pfiffigen Details, wie die kleine Kinderwelt und Kinderseele erst durcheinandergeraten und dann wieder heil und harmonisch werden können. Was für ein Glück, dass es solche Bücher und solche Künstler gibt!