Francis Picabia: "Lasst den Zufall überquellen"

Als Literat ein One-Hit-Wonder

Das Gemälde "Udnie" (1913) von Francis Picabia im Museum Centre Pompidou-Metz in Metz.
Als Maler besonders erfolgreich: das Gemälde "Udnie" (1913) von Francis Picabia. © dpa / picture alliance / Thomas Muncke
Von Florian Felix Weyh |
Das literarische Werk des französischen Malers Francis Picabia schwankt zwischen Albernheit, aphoristischer Plattitüde und dadaistischer Sinnsuche. Fast jeder kennt einen Satz von ihm, der jahrzehntelang auf Postkarten verschickt wurde.
"Kurz und in einem Wort besteht die Hauptschwierigkeit des Lebens darin, immer von Dromedaren begleitet zu sein!"
Das lässt sich bedenkenlos unterschreiben – vorausgesetzt, man tauscht das einhöckrige Tier durch ein zweihöckriges aus, um den Schmähwert deutlicher zu machen: Rundum nur Kamele! (Esel, Hornochsen usw.) Einen "Verbalerotiker ganz eigener Prägung" nennt die Kunsthistorikerin Margrit Behm den zwischen Dadaismus und Surrealismus flirrenden (Buchstaben)-Maler Francis Picabia, von dem dieser Satz stammt, und attestiert ihm eine "diebische Freude am gelungenen, direkten Angriff oder der kongenial missbrauchten Metapher".
Für den unvorbereiteten Leser heißt das: viel Verwirrung, wenig Verständnis. Das literarische Werk des Franzosen mit kubanischen Wurzeln schwankt zwischen Albernheit, aphoristischer Plattitüde ("Das Leid fragt nach den Gründen, die Freude schert sich nicht drum") und dadaistischer Sinnsuche in schrägen Wortkombinationen und Wortbildcollagen. Seine erste Ehefrau Gabrielle Buffet-Picabia sah darin das "reine Vergnügen, nicht zusammenpassende Worte gegeneinander zu stellen und wie ein Maler entgegengesetzte Farben zusammenzufügen".

"Unser Kopf ist rund ..."

Denn Maler – ein erfolgreicher zumal – war der 1879 geborene Francis Picabia gewesen, bevor er, verunsichert durch den Siegeszug der Fotografie, nach anderen Ausdrucksformen suchte. Seine Talente sicherten ihm jedoch auch noch in der künstlerisch radikalen Periode den Unterhalt, da er impressionistische Landschaftsgemälde herzustellen vermochte "wie ein Bäcker Brot backt" (Gabrielle Buffet-Picabia).
In der Literatur blieb Picabia indes ein One-Hit-Wonder: Jeder kennt einen Satz von ihm, der jahrzehntelang auf Postkarten um die Welt geschickt wurde und als Poster Management-Seminarräume schmückt: "Unser Kopf ist rund, damit das Denken die Richtung ändern kann." Posthum im Herzen des Establishments zu überleben, muss für einen Dadaisten freilich eine schwere Niederlage sein.
Aber war Picabia Dadaist? Nur für kurze Zeit. Dies gilt allerdings für die meisten Dadaisten, die dazu neigten, sich untereinander zu verkrachen und neue Kunstrichtungen mit eigener Deutungshoheit auszurufen. Bei Picabia, der eine eigene Zeitschrift "391" herausgab, war dies der "Instantaneismus", der sich ganz dem Augenblick verschrieb. Zwingenderweise blieb davon nichts übrig als der Name.

Ein Autor für Spezialinteressen

Von Picabia selbst ist manch Fragmentarisches, Poetisches und Biografisches geblieben – in der Summe jedoch erstaunlich wenig, so dass die Werkausgabe mit 300 Seiten auskommt; inklusive Vorwort und biografischem Essay seiner ersten Ehefrau. Wenig zwingend Überliefernswertes findet sich darin. Am Verblüffendsten ist vielleicht der Aphorismus: "Anders als die anderen [zu] denken, ist nicht unbedingt ein Zeichen der Intelligenz."
Er unterminiert den berühmten Postersatz, indem er die bloß willkürliche Beweglichkeit des Geistes – wie sie alle Avantgarden feiern – skeptisch sieht. Indes, ein anderer Aphorismus stärkt dann wieder diese Haltung: "Wenn ihr saubere Ideen haben wollt, wechselt sie wie die Hemden."
Jenseits solcher kleinen Fundstücke bleibt Francis Picabia ein Autor für Spezialinteressen. Die Produkte der »ecriture automatique«, der mehr oder minder logikfreien poetischen Texte, wirken nach fast 100 Jahren doch sehr angestaubt, die ehemals provozierenden Sexualismen irgendwie putzig: »Seinen Anker muss man werfen / in die Vagina / seines Ideals.« Und die durchaus amüsanten Interviewantworten, die er im Leben gab, rechtfertigen kaum die Lektüre des ganzen Buches. Die Begründung fürs eigene Verfallsdatum liefert er selbst: »Eine Neuheit, die nur fünf Minuten dauert, ist mehr als ein unsterbliches Werk, das alle langweilt.«
Aber eben nur in den fünf Minuten seiner Neuheit! Picabias impressionistische Landschaftsgemälde, langweilig ohne Zweifel, erzielen dagegen immer noch gute Preise. So reaktionär ist der Kunstbetrieb – als habe es Dada nie gegeben!

Francis Picabia: "Lasst den Zufall überquellen" (Gesammelte Schriften)
Aus dem Französischen von Pierre Gallissaires und Hanna Mittelstädt
Mit einem Vorwort von Margrit Brehm
Edition Nautilus
304 Seiten, 39,90 Euro

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