"Frauen waren meine virtuellen Lehrerinnen"
Franco Fagioli ist Countertenor. Und er singt Rossini. Nun ist bei der Deutschen Grammophon sein Debüt auf dem Label erschienen: natürlich Rossini. Im Gespräch erklärt er, wie er sich dieser Musik nähert.
Die Oper "Semiramide" stand am Anfang von Franco Fagiolis Rossini-Begeisterung. Sein Gesangslehrer schlug dem jungen Countertenor vor, doch einmal die Hosenrolle des Arbace zu studieren. "Hosenrolle" heißt: Eine Frau singt eine Männerrolle, denn als Rossini seine Oper schrieb, waren Kastraten, die Gesangsstars der Barockoper, bereits Vergangenheit.
"Belcanto ist im 19. Jahrhundert nur noch eine melancholische Erinnerung an die Vergangenheit - diese Idee wollte ich mit diesem Album präsentieren: Das Ideal der stimmlichen Mehrdeutigkeit ist noch mit den Kastraten verbunden, aber auch mit den Altistinnen der Rossini-Zeit, die eine vergangene Erscheinung der Oper ersetzen, nämlich: die Kastraten."
Zunächst lernte er die Traditionen des romantischen italienischen Oper
Am legendären Teatro Colon in Buenos Aires lernte Franco Fagioli die Traditionen der romantischen italienischen Oper kennen. "Bel canto", das heißt erstmal bloß "schöner Gesang". Heute werden mit diesem Begriff vor allem die Opern von Vincenzo Bellini, Gaetano Donizetti und eben Gioachino Rossini bezeichnet. Stilistisch reichen die Wurzeln dieser Oper aber viel weiter zurück, bis tief ins Barockzeitalter.
Den Komponisten und dem Publikum des 18. Jahrhunderts war es relativ egal, ob ein Mann oder eine Frau auf der Bühne stand, klar war nur: Der Held muss mit einer hohen Stimme singen. Auch Franco Fagioli hat die Gesangstechnik seiner Kolleginnen gründlich studiert:
"Von Anfang an faszinierten mich Mezzosoprane, vor allem als ich entdeckte, dass wir dasselbe Repertoire teilen: Janet Baker als Julius Cäsar ist umwerfend. Ich dachte: Eines Tages werde ich das auch singen und sie ist mein Vorbild. Mezzosoprane waren also meine digitalen Lehrerinnen, wenn man das so sagen kann."
Herzstück des Belcantogesangs sind die Verzierungen. In jeder dreiteiligen Arie werden zuerst die Melodien vorgestellt, es folgt ein Mittelteil und darauf die Wiederholung des ersten Teils, der vom Sänger mit möglichst virtuosen Koloraturen verziert werden soll. Wie spektakulär diese Verzierungen sind hängt von den gesangstechnischen Möglichkeiten und dem Geschmack des Solisten ab. Auch Franco Fagioli muss für jedes Stück seine eigenen künstlerischen Entscheidungen treffen:
"Bei Rossini wissen wir ziemlich gut, wie er sich die Verzierungen vorgestellt hat. Wenn man die zugrundeliegende Melodie nicht mehr wiedererkennt, finde ich das falsch, auch wenn einige sagen: Man muss in der Wiederholung verzieren. Ich frage immer nach dem 'Warum'. Wir müssen nichts neu komponieren. Wenn ich Koloraturen hinzufüge, sind sie immer aus der Musik begründet, nie aus meinen gesangstechnischen Möglichkeiten."
Ein Querschnitt durch das Schaffen Rossinis
Die Rossini-CD des Countertenors Franco Fagioli bietet einen Querschnitt durch das Schaffen des Komponisten, auch wenn ausgerechnet die einzige Oper fehlt, die er für einen Kastraten schrieb. Die bekanntesten Operntitel sind noch "Tancredi" und "Semiramide", aber schon "Adelaide di Borgogna" oder "Eduardo e Cristina" werden selbst eingefleischte Rossini-Kenner kaum im CD-Regal stehen haben. Einige der Melodien werden ihnen dennoch bekannt vorkommen:
"Er hat immer an der Tradition festgehalten. Lustigerweise hat er sich immer wieder selbst zitiert. Schon in den ersten Opern findet man Melodien, die er später wiederverwendet hat. Beispielsweise in 'Gelegenheit macht Diebe'. Er hat diese Verbindung mit der Vergangenheit nie aufgegeben."
Beim Umgang mit Rossini immer offen für Neues
Diese Musik kann nur mit Stilsicherheit und größtem gesangstechnischem Können am Leben erhalten werden. Beides hat Franco Fagioli, der im Übermaß, aber wir jeder Musiker braucht er auch die richtigen Partner, um diese Fähigkeiten zur Geltung zu bringen. Mit dem Orchester Armonia Atenea und dem Dirigenten George Petrou hat er sie gefunden. Da bleibt nur ein Wunsch offen: Franco Fagioli möglichst bald wieder in Rossini-Rollen auf der Bühne zu sehen!
"Ich beginne immer alle. Ich studiere die Musik und überlege mir, wie ich das gestalten könnte. Danach bin ich aber sehr offen für Vorschläge, um von den Dirigenten zu lernen. So war es auch hier mit George Petrou. Wir haben einige Tage gemeinsam am Klavier verbracht, um intensiv zu arbeiten, eine sehr positive und lohnende Arbeit."