"Meine Welt ist eine Welt anderer"
François Bondy wurde als Journalist bekannt, nachdem er über die Vernichtungslager der Nationalsozialisten in Polen berichtet hatte. Später vermittelte er von Paris aus zahlreiche Schriftsteller in den deutschen Sprachraum. Vor 100 Jahren wurde er geboren.
François Bondy: "Meine Mutter ist ganz jung gestorben, mit 29 an Tuberkulose. Ihre Krankheit war der Grund dafür, dass wir dann in Davos gelebt haben. Meine Mutter war Ungarin, mein Vater stammte aus Prag, jüdisch beide, in keiner Weise praktizierend."
Der da in einem Interview des Südwestfunks zurückblickt, ist der Journalist François Bondy, einer der Großen der Zunft. Am 1. Januar 1915 in Berlin geboren, hatte er eine bewegte Jugend, bewegt von vielen Ortswechseln, zu denen sich sein Vater, ein gefragter Bühnenautor und Feuilletonist, in der Inflationszeit gezwungen sah, bis er endlich in Lugano Fuß fassen konnte.
Dort kam der junge François mit Prominenz in Berührung. Die Schriftsteller Hugo Ball, Hermann Hesse und Werner Bergengruen waren neben anderen Künstlern zu Gast. Also ein musisches, aber unpolitisches Elternhaus. Politik lernte Bondy erst im Internat in Nizza und an der Universität in Paris kennen,
"wo es Schlachten gab zwischen den Leuten der Rechten und den Leuten der Linken, die von den Kommunisten geführt wurde. Und die hatten die interessantesten Leute."
Kehrt nach dem Hitler-Stalin-Pakt der Volksfront den Rücken
Kein Wunder, dass Bondy im Paris der Volksfront Kommunist wurde, bis er, vom Hitler-Stalin-Pakt ernüchtert, der Partei den Rücken kehrte. Es folgten 1940 Internierung und Abschiebung in die Schweiz. Zurück in Lugano, half er mit beim Aufbau einer europäischen Widerstandsbewegung gegen Nazi-Deutschland und verdiente sich erste journalistische Sporen.
"Ich habe jede Woche zweimal geschrieben für eine Tessiner Zeitung, Libera Stampa. Und ein Artikel ... den hat dann der Pressesprecher der Wilhelmstraße der gesamten Presse vorgelesen, und dann sagte er, 'Journalisten, die das schreiben, die werden wir in die Steppen Asiens oder ins Jenseits schicken.' Die Deutschen haben sofort erkannt, dass ich etwas wusste von den Vernichtungslagern."
Bondys früher Artikel über die deutschen Todesfabriken im Osten machte ihn schlagartig in der Schweiz bekannt, auch weil seinem Verfasser die "Ehre" einer Drohung durch den Pressesprecher des deutschen "Auswärtigen Amtes" zuteil geworden war. Rasch fand er nun zur renommierten Zürcher "Weltwoche" und später auch zu anderen führenden Printmedien. Bondy schrieb in der "Süddeutschen Zeitung", der‚"Welt", der "Zeit" und der "Neuen Zürcher Zeitung", war aber auch in so angesehenen Monatszeitschriften wie dem "Merkur", dem "Monat" und den "Schweizer Monatsheften" präsent. Seine fruchtbarste, wenn auch schwierigste Zeit aber hatte er in den fünfziger und sechziger Jahren, als er in Paris die "Preuves" (Beweise) herausgab, eine Zeitschrift
"sehr gegen den Strom. Ich habe vor allem Informationen gehabt durch verschiedene Leute, was vorging in der Sowjetunion und habe das sehr genau journalistisch-informativ verfolgt, diese Hinrichtungen von Katyn, wo viele in gutem Glauben waren, so etwas können ja nur die Nazis gemacht haben."
Er vergaß, sein eigenes farbiges Leben aufzuschreiben
Dass nicht die, sondern die Sowjets den Massenmord an polnischen Offizieren im April 1940 bei Katyn begangen hatten, das war gut dokumentiert in "Preuves" nachzulesen. Anfang der fünfziger Jahre kam im linksintellektuellen Pariser Klima diese Wahrheit aber gar nicht gut an.
"In jedem Fall hatte man unerfreuliche Erlebnisse auch in Milieus, in denen man verkehrte, wo einem auf einmal tiefste Verachtung entgegenschlug, dass man so etwas Dreckiges tun konnte wie so eine antikommunistische Zeitschrift."
So beharrlich der Wahrheitssucher auf dem Feld der Politik gegen den Strom schwamm und dabei unbekanntes Terrain erkundete, so beharrlich tat er es im Bereich der Literatur, und hier zwischen Ost und West wie zwischen Süd und Nord.
"Paris war doch eine Stadt, in der sehr viele Lateinamerikaner und Osteuropäer von Rang lebten. In Paris kannte man Borges zehn Jahre, bevor man in Deutschland von ihm gesprochen hatte. Und wenn ich zufällig viel über ihn geschrieben habe, so war er für Frankreich nicht im Mindesten eine Entdeckung wie für hier. Und man kannte eben auch Rumänen. Cioran, den ich ja auch schon '52 veröffentlicht habe, und auch Ionesco, den ich seit seinen allerersten Stücken kannte."
Die Reihe der durch Bondy in den deutschen Sprachraum vermittelten Autoren ließe sich fortsetzen über Ignazio Silone, Italo Calvino, Nathalie Sarraute bis hin zu Bruno Schulz und Witold Gombrowicz. Dass er über diesem Engagement für die Literatur anderer vergaß, sein eigenes farbiges Leben aufzuschreiben, hat ihn nie gestört. Wie sagte er von sich?
"Meine Welt ist eine Welt anderer."
François Bondy starb 88-jährig 2003 in Zürich.