Der kindliche Frühaufklärer
Mit diskreter Eleganz skizzierte der Geistliche François Fénelon in seinem Roman "Die Abenteuer des Telemachs" den idealen Fürsten. Am französischen Hof, wo er Erzieher des Thronfolgers war, kam das gar nicht gut an. Vor 300 Jahren starb Fénelon.
"Wenn Sie dem Geist Gottes die nötige Freiheit geben, um sich selbst sterben zu lassen und bis zu den letzten Wurzeln des Ichs hinabzuschneiden, dann fallen Ihre Fehler allmählich wie von selbst von Ihnen ab, und Gott wird Ihr Herz so weit machen, dass Sie durch keine Pflicht mehr belastet sind."
Wer war dieser sanftmütige junge Priester, der seine Anhänger mit derartigen Ratschlägen versorgte? Wie schön er predigen konnte! Antike Bildung, christlicher Glaube, Moral und Sittlichkeit, alles floss in seine Kanzelreden ein. François de Salignac de la Mothe-Fénelon, 1651 als Abkömmling einer traditionsreichen Adelsfamilie im Périgord geboren, schlug ganz Paris in seinen Bann.
Auch Madame de Maintenon, die zweite Ehefrau Ludwig XIV., war dem feinsinnigen Geistlichen sehr gewogen. 1689 wurde er zum Erzieher des siebenjährigen Enkels von Ludwig ernannt, dem möglichen Thronfolger, und stieg binnen kurzer Zeit zu einem einflussreichen Mann am Hof auf. Vier Jahre später nahm man ihn in die Académie Française auf und ernannte ihn zum Erzbischof von Cambrai. Wie es der mystischen Religiosität des Quietismus entsprach, empfahl er Selbstbeschränkung und Einkehr.
"Seien Sie folgsam und essen Sie gut. Seien Sie standhaft gegenüber den Empfindlichkeiten der Eigenliebe und schlafen Sie gut. Seien Sie klein und leben Sie im Frieden des Jesuskindes. Das Kind hat nichts, es behandelt einen Diamanten wie einen Apfel. Seien Sie ein Kind. Nichts Eigenes."
Abrechnung mit Ludwigs selbstherrlicher Politik
Wieder zum Kind zu werden und die Einfalt des Herzens zu entdecken, ist der Kern von Fénelons Glaubenslehre. Rousseaus spätere Entdeckung der Kindheit geht ebenso auf Fénelon zurück wie das Ideal der Naivität von Goethe, Herder und Kleist.
Unterdessen begann der Geistliche, der glänzend erzählen konnte, für seinen Zögling eine Fülle nützlicher und kurzweiliger Schriften zu verfassen: Fabeln, Dialoge und schließlich sogar einen dickleibigen Reiseroman. "Die Abenteuer des Telemach" lautete der Titel des verwegenen Werkes von 1696, in dem sich der Held unter Anleitung seines fürsorglichen Freundes Mentor auf die Suche nach seinem Vater Odysseus macht und verschiedene Länder durchquert. Er übersteht gefährliche Kämpfe, wird in Liebeszwiste verwickelt und lässt sich von Mentor die politischen Verhältnisse erklären.
"Und wozu nutzt der Krieg? Sind denn nicht wüste Ränder,
die ungebauet seyn: Was plaget man die Länder,
wo man sich schon gesetzt? Es ist ein falscher Ruhm,
es ist ein falscher Geiz, es ist kein Fürstenthum,
es ist der Titel nur, der uns dazu beweget,
dass man ein Land verderbt, die Menschen niederschläget."
die ungebauet seyn: Was plaget man die Länder,
wo man sich schon gesetzt? Es ist ein falscher Ruhm,
es ist ein falscher Geiz, es ist kein Fürstenthum,
es ist der Titel nur, der uns dazu beweget,
dass man ein Land verderbt, die Menschen niederschläget."
Telemach und Mentor überstehen Abenteuer um Abenteuer, beobachten, wie Schmarotzer und Karrieristen ganze Völker ins Unglück stürzen und schaffen Abhilfe. Mit diskreter Eleganz skizziert Fénelon den idealen Fürsten: Er habe weitsichtig, sparsam, gottesfürchtig, friedliebend und loyal zu sein. Das Wohl seines Volkes müsse sein höchstes Gut sein. Der Roman kursierte bald in Abschriften und begeisterte seine Leser; gleichzeitig verstand man ihn als eine Abrechnung mit Ludwigs selbstherrlicher Außenpolitik, dem übersteigerten Prunk und dem Machtmissbrauch am Hof.
Verbannung ins Bistum
Fénelons ehemalige Förderer wandten sich von ihm ab und verstrickten ihn in theologische Dispute. Der gelehrte Mann hatte ein Werk der Frühaufklärung voller fortschrittlicher Ideen geschaffen, war viel zu erfolgreich und fiel in Ungnade.
Als "Die Abenteuer des Telemach" gegen seinen Willen dann auch noch gedruckt wurden, folgte 1699 die Verbannung auf sein Bistum nach Cambrai. Unverdrossen arbeitete Fénelon weiter an seinen Schriften. Am 7. Januar 1715 starb François Fénelon. Seine Maximen kursierten in ganz Europa.
"Es ist eine der wichtigsten Regeln des spirituellen Lebens, sich im gegenwärtigen Augenblick einzuschließen, ohne darüber hinauszuschauen."