Frank Flöthmann: "Shakespeare ohne Worte"

Große Literatur als Comicstrip

William Shakespeare als Wachsfigur
Wachsfigur von Shakespeare: Es geht auch ohne Worte. © picture alliance / dpa / Foto: Jens Kalaene
Von Tabea Grzeszyk |
In seinem Buch "Shakespeare ohne Worte" zeigt der Illustrator große Stücke der Literaturgeschichte als Comic. Das Buch ist ein Ratespaß für Theaterliebhaber - und ein Augenschmaus für alle.
Zwei mit einer Zickzacklinie verbundene Kreise. Ein goldener Haarschopf. Ein weißes Schwert an der Hüfte und ein goldener Schädel in der Hand. Dazu die Sprechblase: "I/O ?". Fertig.
Der Berliner Comiczeichner Frank Flöthmann benötigt nichts weiter als geometrische Figuren in Kombination mit einer Handvoll Satzzeichen, um eine der berühmtesten Szenen der Theatergeschichte in einem einzigen Bild festzuhalten: Hier steht Hamlet, Prinz von Dänemark, mit der Übersetzung seines weltberühmten Monologs "Sein oder Nichtsein, das ist hier die Frage" in der binäre Logik einer Computersprache. Eins oder Null. Sein oder Nichtsein. Ein geniales Buchcover.
In "Shakespeare ohne Worte" übersetzt Frank Flöthmann fünf populäre Shakespeare-Dramen mit hohem Wiedererkennungswert in Piktogramme und globale Icons. So verwandelt beispielsweise das "Victory"-Zeichen ein austauschbares Männchen ohne charakteristische Physiognomie in den erfolgreichen Heerführer Macbeth.
"Daumen hoch" zeigt die Freude des Königs, der Macbeth anschließend zum Fürsten ernennt, und ein "Scheißhaufen" signalisiert die Qualen, die Macbeth von Geistern heimgesucht durchleidet, nachdem er den König ermordet und sich selbst zum Herrscher Schottlands aufgeschwungen hat. Deftig auf den Punkt gebracht: Daumen hoch, Daumen runter, Krone auf, Krone runter. Die Quintessenz eines Fünfakters aus dem frühen 17. Jahrhundert schrumpft zu einem 21-seitigen Comicstrip zusammen.

Handyfotos und "Ikea"-Anleitungen

Das funktioniert erstaunlich gut. Die extreme Reduktion erzeugt besonders dann komische Momente, wenn sich Frank Flöthmann des visuellen Referenzrahmens unserer globalisierten Alltagskultur bedient: In Shakespeares "Sturm" etwa blicken sich der Zauberer Prospero und seine Tochter Miranda ratlos auf der einsamen Insel um, auf der kein Hotel in Sicht ist.
Im nächsten Bild prangt eine siebenstufige Anleitung, die eine Aufbauskizze für ein Billy-Regal sein könnte: Erstens aus einem Ast und einem Stein ein Beil bauen. Zweitens Bäume fällen. Unterm Vergrößerungsglas ist unter fünftens die Stelle im Detail hervorgehoben, wo eine Vertiefung in die Dielen zu schlagen ist, um sie sechstens in Form einer Holzhütte ineinander zu stecken. (Die zu vermeidenden Fehler und der korrekte Aufbau sind unter siebtens rechts unten im Bild aufgeführt.)
Ob "Ikea"-Anleitung zum Bau einer Hütte im "Sturm" oder die Ersetzung des verräterischen Taschentuchs in "Othello" durch ein Photoshop-manipuliertes Handyfoto: Frank Flöthmann katapultiert Shakespeares Dramen treffsicher ins 21. Jahrhundert. Fünf Evergreens hat er dafür ausgewählt, allesamt gezeichnet in den Farben Grün, Gold, Schwarz und Weiß.
Doch Hand aufs Herz, ohne Henschels Theaterlexikon oder Wikipedia lässt sich nicht jede Geschichte als Shakespeare-Drama entschlüsseln. Neben den ohnehin komplexen Originaltexten nimmt sich der Autor weitreichende Freiheiten: Die Tragödie Othellos schreibt Frank Flöthmann etwa zur gendersensiblen Superheldengeschichte mit Happyend um.
Anders als Grimms Märchen oder die Weihnachtsgeschichte, die Flöthmann zuvor ohne Worte veröffentlicht hat, markiert Shakespeare vielleicht das Ende der Skala dessen, was sich komplett ohne Text erzählen lässt. Doch das Experiment ist geglückt: Shakespeare als piktografischer Comicstrip ist ein Ratespaß für Theaterliebhaber - und ein Augenschmaus für alle!

Frank Flöthmann: Shakespeare ohne Worte
DuMont, Köln 2016
104 Seiten, 19,99 Euro

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