Frank Göhre: "Verdammte Liebe Amsterdam". Roman
Culturbooks, Hamburg 2020
156 Seiten, 15 Euro
Eine kleine schmutzige Geschichte
02:35 Minuten
Reihenhäuser, schäbige Hotels, Familienväter: Frank Göhre zeigt in seinem Kriminalroman „Verdammte Liebe Amsterdam“ noch einmal sein Gespür für die Gewalt inmitten der Normalität.
"Verdammte Liebe Amsterdam" erzählt, wie oft bei Frank Göhre, eine "kleine" Geschichte: Der Bruder des Hamburger Gastronomen Köster ist auf einem Autobahnrastplatz zu Tode geprügelt worden. Köster lässt alles stehen und liegen und eilt nach Köln, um den Hintergründen dieses Mordes auf die Spur zu kommen.
Diese Spur führt einerseits nach Amsterdam, dem alten Sehnsuchtsort der Brüder, und zudem in die eigene Familiengeschichte. Sein Bruder, so erfährt Köster, wollte eine jugendliche Ausreißerin aus Holland finden, die dort ins kriminelle Milieu gerutscht war. Aber das ist nur ein Teil der Wahrheit. Der andere Teil ist blutiger.
Glasklarer Blick auf die Verhältnisse
Göhre hat ein einzigartiges Gespür für die gewalttätigen und abstoßenden Potenziale ganz normaler Milieus – Reihenhäuser, Supermärkte, schäbige Hotels oder Kneipen und deren Personal. Schlagende Polizisten, die aber gerne grillen und angeln, tyrannische Familienväter, gierige (Zweit-)Gattinnen, pädophile Stiefväter, geile Vorgesetzte und natürlich, nur ein paar Millimeter neben solchen Leuten, kleinkriminelle Ganoven, die unteren Ebenen des organisierten Verbrechens, die notfalls nicht minder gewalttätig oder tödlich sein können.
Alles nicht besonders spektakulär als Einzelphänomen, aber alles zusammen erzeugt, eben weil Göhre einen glasklaren Blick auf die Verhältnisse hat, eine Stimmung, die sich nur mit den Mitteln der Literatur abbilden lässt. Sie existiert in diesem Land, auch wenn man sie soziologisch nicht präzise beschreiben kann. Und sie existiert vor allem in sozialen Gegenden, denen sich die Literatur nur in seltenen Fällen annimmt. Oder wenn, dann sensationell.
Lakonie und Ironie beiläufig eingearbeitet
Göhres Bio- und Soziotope sind aber keine reinen Höllen, sondern nur deprimierende Beschreibungen von realen Zuständen, die man – makropolitisch – nicht sehen will. Wenn die Bezeichnung "Roman noir" überhaupt eine Berechtigung hat, dann für das Gesamtwerk von Frank Göhre.
Dazu gehört natürlich auch die Inszenierung. Göhre erzählt knapp, auf den Punkt, ohne aufwendige Kunstgriffe, aber mit hohem Bewusstsein dafür, was er tut. Die Lakonie und Ironie, die grimmige Komik des Textes sind nicht unterstrichen, sie sind wie beiläufig eingearbeitet und wirken genau deswegen.
Roman mit politischer Dimension
Und selbstverständlich hat auch diese kleine, schmutzige Geschichte ihre politische Dimension. Die aber steckt nicht in irgendwelchen Thesen oder Anklagen oder Problembenennungen, sondern in der Perspektive, die Göhre wählt, in seiner literarischen Haltung. Nirgends sitzt der Erzähler über den Dingen und Menschen, sein Blick ist der Blick "von unten", er hierarchisiert nie.
Also die Perspektive, die Kriminalliteratur von Bedeutung schon immer wirklich zu politischer Literatur gemacht hat. Dabei ist der Roman ist mit 156 Seiten sehr schmal geraten, konzentriert, die reine Substanz.