"Sozial geförderte Arbeit als letzte Chance"
Der Chef der Bundesagentur für Arbeit befürwortet den Ausbau eines staatlich subventionierten zweiten Arbeitsmarktes. Trotz guter Konjunkturlage gebe es 200.000 Langzeitarbeitslose, die regulär so gut wie nicht zu vermitteln seien, sagt Frank-Jürgen Weise.
Deutschlandradio Kultur: Frank-Jürgen Weise ist Vorsitzender des Vorstands der Bundesagentur für Arbeit, kurz BA-Chef, und das seit elf Jahren. – Herr Weise, herzlich willkommen.
Frank-Jürgen Weise: Herr Ziegler, ich freue mich.
Deutschlandradio Kultur: „Herzlich willkommen" - da sind wir schon eigentlich beim Thema, den Flüchtlingen. „Potenziale nutzen, geflüchtete Menschen beschäftigen." Das fordern Arbeitgeber, die Gewerkschaften und auch die Bundesagentur für Arbeit. – Was muss die Politik jetzt liefern?
Frank-Jürgen Weise: Politik ist natürlich mit einer Situation konfrontiert, die man so nicht absehen konnte. Ich stelle fest, dass sich alle ungeheuer Mühe geben. Wir müssen jetzt die bürokratischen Hürden, die in den einzelnen Bereichen bestehen, abbauen. Das Innenministerium wird auf Sicherheit achten, uns als BA interessiert Arbeit, das Bundesamt für Flüchtlinge und Migration muss das Ganze organisatorisch bewältigen. Das müssen wir jetzt zusammen so bearbeiten, dass die Menschen spüren, dass sie hier tatsächlich willkommen sind und wir, das ist meine Ansicht, sie in Arbeit bringen.
Deutschlandradio Kultur: Aber wir brauchen, das sagen Sie auch, eine schnellere Integration. Brauchen wir auch die Aufhebung des Arbeitsverbots für Flüchtlinge? Sie selber sprechen von einem „Spurwechsel." Das müssen Sie nochmal erklären.
Frank-Jürgen Weise: Ich muss natürlich vorweg sagen, es ist eine einseitige Sicht für Arbeit. Ich habe viel Verständnis, dass zum Beispiel, wie genannt, das Thema Sicherheit gegen manche meiner Überlegungen sprechen kann. Aber ich will das begründen: Wir haben einmal bei dem Thema Flüchtlinge ja diejenigen, die ein sicheres Bleiberecht haben, weil sie aus gefährdeten Ländern kommen. Da gibt es gar keine Frage. Das Erste ist, Sprachfähigkeiten verbessern, und das Zweite, wir haben ja das Glück einer guten Konjunktur, die Unternehmen brauchen die Menschen. Meine Vermutung ist, wenn jemand arbeitet, in der kleinen Lebensgemeinschaft des Betriebes einer Kommune ist, dann ist er schnell integriert.
Das Zweite ist, was Sie mit Spurwechsel ansprechen. Es kommen Menschen überwiegend aus dem Balkan. Die haben kaum eine Chance, Asyl zu bekommen. Und es ist absurd, dass wir denen nicht rechtzeitig sagen: Bitte kommt nicht über den Weg Asyl, wir müssen euch wieder zurückschicken, sondern beantragt eine Arbeit, bringt einen Arbeitsvertrag mit einer deutschen Firma mit und ihr seid herzlich willkommen.
Deutschlandradio Kultur: Jetzt gibt es Forderungen von SPD-Seite, aber auch von den Linken, teilweise auch von der CDU, die sagen, dann lasst uns mal ein klares Einwanderungsgesetz machen. Wenn wir das haben, dann können die Leute, wenn Sie kommen – egal, ob sie im Verfahren sind oder nicht – und einen Job nachweisen ab morgen anfangen zu arbeiten. Schweden macht das auch so. – Wäre das auch was für uns?
Frank-Jürgen Weise: Manche Fachleute sagen, eigentlich sind die gesetzlichen Bestimmungen, wenn man sie denn erkennt und kennt, gar nicht so schlecht. Einwanderungsgesetz wäre ganz gut, es muss sozusagen praktikabel managebar sein.
Ich habe von vielen Fällen gehört, die zwischen uns, dem Bundesamt für Flüchtlinge und Migration, den Ausländerbehörden, den Einwanderungs- und Einbürgerungsstellen hin und her wandern. Die Idee ist zu sagen: das muss ganz einfach und transparent für alle Beteiligten sein. Da könnte so eine Überarbeitung mehrerer Gesetze, die wir ja gar nicht kennen, gar nicht alle lesen, wirklich gut sein.
Deutschlandradio Kultur: Es gibt Stimmen, die sagen, wir machen alles sehr ordentlich in Deutschland, wenn es um Arbeitsmigration geht. Vielleicht müssen wir das etwas schneller und vielleicht auch ein bisschen chaotischer machen. Das heißt: unbürokratischer voranschreiten und nicht alle Gesetzeshürden abarbeiten.
Gemessen an dem Andrang, den wir im Moment überall in Deutschland erleben - 800.000 oder mehr Flüchtlinge kommen - wäre das sinnvoll zu sagen: Lasst uns das einfach unbürokratisch und schnell machen, um allen zu helfen?
Frank-Jürgen Weise: Also, mal ein Widerspruch: Die Leute kommen ja hierher nach Deutschland, weil sie auch Rechtstaatlichkeit schätzen. Und Bürokratie ist Rechtstaatlichkeit. Ich glaube, wir sollten nicht verunsichern. Es gibt viele Rahmenbedingungen. Die schaffen es ja, dass wir in der guten Lage sind und so attraktiv. Nur diese Rahmenbedingungen müssen in einer verständlichen, einfachen, klaren Sprache formuliert sein und transparent. Ich glaube, das ist der Mangel. An den Rahmenbedingungen würde ich gar nicht so viel ändern. Wir wissen gar nicht, wie wir dann unser System gefährden, wenn wir laissez-faire mit den Themen umgehen.
Deutschlandradio Kultur: Das war vielleicht gar nicht gemeint damit, sondern eher zu sagen, wir gehen schneller ran, wenn die Nachfrage da ist. Wenn man sagt, da gibt es Leute aus Syrien, sie finden über die Bundesagentur Arbeit oder von selbst Arbeitgeber, die sie aufnehmen würden, und wir können jetzt nicht warten, bis wir in dritter Lesung alles verändert haben. Wir sollten das schnell jetzt lösen, wäre das ein Ansatz, den Sie befürworten würden?
Frank-Jürgen Weise: Ja, in der Tendenz schnell, aber bedenken Sie, Herr Ziegler, der Langzeitarbeitslose wird verlangen, dass er genauso behandelt wird wie der Flüchtling. Das heißt, da kann nicht privilegiert plötzlich einer gute Unterstützung zur Qualifikation bekommen. Die Arbeitgeber, und das ist ja eine tolle Haltung, die mir heute sagen, ich nehme Flüchtlinge auf, wissen manchmal gar nicht, worauf sie sich einlassen. Da braucht man vielleicht Dolmetscher. Da braucht man kulturelle Begleitung. Die sind das nicht gewöhnt, in so einer Umgebung zu arbeiten. Also, in der Tendenz ja, schneller, einfacher, klarer, aber nicht unsere Rechtstaatlichkeit infrage stellen.
Deutschlandradio Kultur: Wir können festhalten die Bundesagentur bekommt neue Kunden. Sie sprechen ja gerne von Kunden, von Jobcentern, von Servicecentern. Und Sie werden auch neue Aufgaben bewältigen müssen. Die Kanzlerin hat ja diese Woche auch gesagt: „Wer nicht in Not ist", wir sprechen von den Balkanflüchtlingen, „der kann nicht bei uns bleiben." Jetzt wollen wir der Kanzlerin ungern widersprechen, aber man könnte auch sagen: Wenn Arbeitskräfte hier dringend gesucht werden, auch von Leuten, die nicht in Not sind, dann lasst die doch hier.
Frank-Jürgen Weise: Ich glaube, genauso hat sie es gemeint. Wer nicht in Not ist, kann nicht über diesen Weg des Asyl kommen. Der kann aber und ist herzlich willkommen bei uns arbeiten. Genau das ist der Fall. Wir müssen den Menschen klar machen, es gibt in Europa so und so Freizügigkeit. Es kommen ja viele Spanier und Polen und andere Menschen zu uns. Und außerhalb Europas können die Menschen zu uns kommen mit bestimmten Voraussetzungen. Und wir müssen jetzt ganz massiv dafür werben, aber auch erklären, bitte nicht den Asylweg, der ja einen ganz anderen Zweck für den Menschen hat, nämlich denen, die in Gefahr sind, Schutz zu bieten.
Deutschlandradio Kultur: Jetzt gibt es mehrere Institutionen die sich um diesen Flüchtlingsstrom kümmern. – Wo kann eigentlich die spezifische Aufgabe von Jobcentern sein, um diesen Menschen zu helfen? Wo sehen Sie Ihre spezielle Aufgabe?
Frank-Jürgen Weise: Die Aufgabe ist so: Wir würden den Menschen ihre Grundsicherung geben, was ja wichtig ist. Wir würden natürlich ungeheuer viel Beratung geben, die vermutlich auch mehr über die eigentliche Vermittlung hinausgeht. Wir würden darauf zielen, dass die beruflichen Sprachkenntnisse von uns vermittelt werden. Die Grundsprachkenntnisse müssen vom Bundesamt für Flüchtlinge und Migration organisiert werden. Und es geht dann darum natürlich, diese Menschen zu begleiten in einer völlig anderen fremden Kultur mit anderen Regelungen.
Haben wir die Leute? Wir haben ja heute bereits 300.000 Flüchtlinge in der Grundsicherung. Also, wir üben uns darin. Wir haben glücklicherweise wirklich vor zwei, drei Jahren angefangen, solche Projekte zu machen, um zu lernen. Wir wären aber der großen Zahl nicht gewachsen, die jetzt adressiert ist. Das haben wir auch Ministerin Nahles gesagt. Und sie hat, finde ich, sehr konsequent erklärt, dann brauchen wir Personal und Geld, um dem gerecht zu werden.
Deutschlandradio Kultur: Sie brauchen mehr Personal.
Frank-Jürgen Weise: Ganz klar.
Deutschlandradio Kultur: Und Sie finden das auf dem Arbeitsmarkt? Sie sind ja dicht dran.
Frank-Jürgen Weise: Na ja, wir werden es so machen, dass wir sehr gute erfahrene Leute aus unserem Normalgeschäft für diese Aufgabe ansetzen. Denn wir können jetzt nicht von außen welche akquirieren, in einem Schnelllernkurs einarbeiten und dann auf die schwierigste Klientel einsetzen. Also, wir werden umschichten. Wir brauchen dann aber Personal an anderer Stelle und haben das ja benannt. Das werden 2.000 - 3.000 sein.
Deutschlandradio Kultur: Herr Weise, die Bundesagentur selbst kann keine neuen Arbeitsplätze schaffen. Aber Sie haben das immer betont, Sie können passgenau und zielgerichtet Vermittlungsprozesse organisieren, was dann auch den Arbeitsmarkt entlastet. – Wenn Sie das jetzt seit Jahren machen, und wir nehmen mal eine Skala von 1 bis 10, was die Effektivität betrifft, wo würden Sie sich heute einordnen?
Frank-Jürgen Weise: Ich würde schon sagen, dass wir über fünf liegen. Das heißt, es ist erkennbar, dass unsere Beschäftigten wirklich gute Arbeit leisten in beide Richtungen, sowohl den Bewerber beraten, der manchmal mit falschen Vorstellungen kommt, als auch die Firmen, und das dann zusammenzubringen.
Ich glaube, es ist auch technologisch noch einiges möglich, dass man Verschiedenes mit Informationstechnologie macht, sozusagen digital befragt. Es ist auch noch viel drin, die Menschen zu überreden, dass sie ein bisschen mobiler und flexibler werden.
Deutschlandradio Kultur: Für Sie ist immer wichtig zu sagen: Derjenige, der zu uns kommt, wird behandelt wie ein Kunde. Wenn ich jetzt als Kunde zum Bäcker gehe, dann kann ich mir unterschiedliche Brötchen oder Süßigkeiten aussuchen. Gehe ich in eine Werkstatt, kann ich mir überlegen, ob ich das oder jenes reparieren lasse.
Kann jemand, der als Arbeitsuchender zu Ihnen geht, tatsächlich als Kunde auswählen was er will? Oder ist es doch die Wahrheit, dass man sagt, wir können euch das anbieten und das müsst ihr machen, sonst gibt's eben Abzüge bei den Sozialleistungen?
Frank-Jürgen Weise: Ich gebe zu, der Begriff Kunde kann wirklich missverstanden werden. Die Idee dahinter ist, jemanden, der zu uns kommt, höflich, schnell, fachkundig, freundlich zu bedienen. Als Mensch so zu behandeln und sich nicht - wie das vielleicht früher war - als ein Amt aufzuführen, wo der Bürger als Bittsteller kommt.
Deutschlandradio Kultur: Es ist nicht nur eine andere Verpackung? Es hat sich was verändert?
Frank-Jürgen Weise: Ja. Und wir lassen das ja auch messen. Wir machen anonyme Kundenbefragungen von Menschen, die bei uns waren. Wir wissen nicht, wer das ist. Und die werden befragt: Werden sie höflich, schnell, treffsicher, gut beraten etc.? Das ist die Idee. Ja, es wird so sein. Die BA der Zukunft wird wirklich ein Dienstleister sein, der verschiedene Dinge anbieten kann. Das machen wir heute schon in der Berufsberatung. Das machen wir für Firmen, zum Beispiel, wie sie Entlassungen vermeiden können. Dieser Anteil wird steigen. Die Grundlast ist natürlich den Anspruch auf Arbeitslosengeld zu erfüllen und Arbeit zu vermitteln.
Deutschlandradio Kultur: Der Erfolg hat immer viele Väter oder Mütter. In zehn Jahren hat sich die Zahl der Arbeitslosen in Deutschland halbiert. Jetzt könnte man natürlich sagen, wenn sich das so halbiert hat und die Anzahl der Kunden, wenn wir den Begriff nochmal aufnehmen, tatsächlich auch weniger geworden ist, könnte eigentlich auch eine Agentur sich etwas kleiner machen, abspecken. Sie haben aber immer noch die gleiche Zahl an Mitarbeitern.
Frank-Jürgen Weise: Stimmt ja gar nicht. Wir haben wesentlich weniger Mitarbeiter, in der Arbeitslosenversicherung fast 15.000. Und wir haben viel mehr Mitarbeiter in die Grundsicherung schicken müssen, weil die Kommunen sich mit ihrem Personal zurückgezogen haben. Wir haben für unsere Aufgabe heute weniger Mitarbeiter, und zwar beträchtlich weniger. Was man aber auch bedenken muss, es ist ja nicht der Arbeitslosenstamm, sondern der Kundenkontakt. Der ist gestiegen. Das mag Sie überraschen. Heute kommt niemand mehr mit 40 Jahren Siemenskarriere zu uns. Heute sind es mehrere Wechsel. Deshalb haben wir mehr Kundenkontakte, Zugänge aus Arbeitslosigkeit und Abgänge in Arbeit, als das im Schnitt früher war, weil die Menschen nicht mehr so lange bei einem Arbeitgeber bleiben. Also, wir bewältigen ein höheres Arbeitsvolumen.
Nochmal: Wir haben einen ganz großen Teil der Mitarbeiter in die Grundsicherung geschickt, weil die Kommunen nicht genügend Personal stellen konnten. Das ist keine Erhöhung, das ist nur eine Umschichtung, dass wir andere Aufgaben wahrnehmen.
Frank-Jürgen Weise: Und eine große Aufgabe in der Umschichtung ist dann die Leistungsbearbeitung, also schauen, ob die Leute Hartz-IV-Ansprüche haben und ob sie alles richtig abgegeben haben?
Frank-Jürgen Weise: Genau. Das Gesetz ist heute so komplex, dass wir viele, viele Menschen brauchen, um individuell jeden Monat auszutarieren: Wer hat welchen Leistungsanspruch?
Deutschlandradio Kultur: Das nervt doch, oder nicht?
Frank-Jürgen Weise: Wenn ich Ihnen das sage, Sie werden es nicht glauben. Wenn heute eine Familie, die getrennt lebt, die Kinder einmal am Wochenende bei dem einen Ehepartner hat und bei dem anderen, bedeutet das jedes Mal eine neue Rechnung und einen neuen Bescheid – mit allem Drum und Dran. Das ist eigentlich unvorstellbar.
Deutschlandradio Kultur: Wenn man nach elf Jahren, und elf Jahre lang gibt's diese Hartz-IV-Regelung, Bilanz ziehen will und der bürokratische Aufwand so immens ist, wenn ich Sie richtig verstanden habe, schreit das nicht danach, dass man sagt, das muss irgendwie vereinfacht werden?
Frank-Jürgen Weise: Ja. Mein früherer Kollege Herr Alt hier aus Nürnberg hat viele gute Vorschläge gemacht. Das Problem ist, die müssen verhandelt werden zwischen Bund, Ländern und Kommunen. Dann sind noch verschiedene Ministerien dabei. Da hängt es im Moment. Ich glaube, die Erkenntnis ist da, aber Sie haben völlig Recht: Praktischer Bedarf: sehr vereinfachen.
Deutschlandradio Kultur: Dann gibt's noch ein anderes Problem. Es gibt Rechtsanwälte, die sich drauf spezialisiert haben, Ihre Hartz-IV-Kunden zu betreuen und Klagen einzureichen, weil die Berechnungen oft nicht richtig sind. Und das geht in die Hunderttausende. – Wie kommen Sie damit zurecht?
Frank-Jürgen Weise: Das sind Geschäftsmodelle. Da sind natürlich Menschen mit diabolischen Gedanken dabei, zum Beispiel, wenn es hinten dann bei Auf- oder Abrundungen nicht ganz stimmt. Der Gesetzgeber hat manchmal solche Dinge nicht im Voraus bedacht, weil er guten Willens war. Und da machen einzelne Anwälte Geschäftsmodelle daraus. Ich finde das unverantwortlich. Das kann man nur nachträglich durch Gesetzesänderungen ändern.
Deutschlandradio Kultur: Eigentlich war das Ziel, auch bei Hartz-IV-Beziehern, Menschen zu fördern und zu fordern. Und jetzt schlagen Sie sich mit Berechnungen rum, müssen prüfen, ob jemand noch Zulagen bekommt oder nicht. Da ist doch was schief gelaufen!
Frank-Jürgen Weise: Ja, muss man klar sagen. Die gute Absicht, mehr zu fördern und zum Beispiel den Menschen Beratung zu geben, die eben nicht von der Familie die Liebe, Fürsorge und Unterstützung kriegen, die ist ein bisschen angefressen dadurch, dass dieser administrative Aufwand zu groß ist.
Deutschlandradio Kultur: Herr Weise, Sie haben noch ein anderes Klientel, sozusagen andere „Stammgäste" bei Ihnen. Das sind die Langzeitarbeitslosen, also Menschen, die länger als zwölf Monate ohne Arbeit sind. Jetzt gibt es einen OECD-Bericht, der sagt: In Deutschland sind 45 Prozent aller Arbeitslosen schon länger als ein Jahr ohne Job, anders als in den anderen OECD-Ländern. Da liegt der Schnitt wohlgemerkt bei 35 Prozent. – Was läuft da schief?
Frank-Jürgen Weise: Man muss in dem Fall sagen, wir haben eine viel härtere Definition von Erwerbstätigkeit. Wir sagen, wer drei Stunden am Tag arbeiten könnte und nicht arbeitet, ist arbeitslos. Ich will das nur andeuten. In den Niederlanden, in England, in der Schweiz würde man diese Menschen berufsunfähig nennen. Deshalb haben die auch keine so hohe Langzeitarbeitslosenquote. Also, es ist nicht ganz vergleichbar.
Aber von den Tatsachen, und darum geht es ja, wir haben viel zu viele Menschen, die kamen aus der Sozialhilfe der Kommunen, die waren bereits zehn Jahre ohne Arbeit. Die sind bei uns und wir haben es bis jetzt nicht geschafft, allen diese Chance zu geben.
Das hat viele Ursachen. Manchmal schaffen es die Menschen einfach nicht mehr, den Zugang zu Arbeit, manchmal sind unsere Instrumente nicht wirksam und die Zuwendung nicht ausreichend. Das ist immer noch ein gravierender Mangel.
Deutschlandradio Kultur: Trotz guter Konjunktur gibt es einen Sockel an Langzeitarbeitslosen. Sie sprechen in Deutschland von rund 200.000 Menschen. Da können Sie machen und tun, was Sie wollen, Sie werden die nicht in den ersten Arbeitsmarkt unterbringen. Müssen wir wieder verstärkt über einen zweiten, staatlich geförderten Arbeitsmarkt nachdenken?
Frank-Jürgen Weise: Also, es ist so, dass es Menschen gibt, die haben keinen Berufsabschluss, keinen Schulabschluss, haben lange nicht gearbeitet. Und jetzt machen wir uns mal nichts vor. Die würden nicht bei Ihnen in der Firma eingestellt und nicht bei uns. Das ist so. Ja. Und da sagen wir, bevor wir diese Menschen ohne Würde, ohne Sinn zu Hause sitzen lassen, ist dann ein öffentlich gefördertes Arbeitsangebot sozusagen die letzte Chance.
Deutschlandradio Kultur: Beispielsweise Thüringen, die rot-rote Regierung, macht das jetzt.
Frank-Jürgen Weise: Absolut. Ich höre schon, wie alle schimpfen, dass eben so etwas natürlich auch verzerrt und Konkurrenz gegen die Wirtschaft ist. Aber nochmal: Es kommt auf die Auswahl drauf an. Wenn ich jemanden ohne Schulabschluss habe, ohne Berufsabschluss, älter als 50 und zehn Jahre ohne Arbeit, da brauche ich nicht lange nachdenken. Dann ist sozial geförderte Arbeit die letzte Chance. Und die ist besser und übrigens auch nicht viel teurer als Arbeitslosigkeit. Anders wäre der Fall, wenn man Kurzzeitarbeitslose subventioniert. Das ist sicher der falsche Weg.
Deutschlandradio Kultur: Jetzt gibt es seit ein paar Monaten neue Gelder aus Brüssel, sogenannte ESF-Hilfen. Die besagen: Wir geben euch zusätzlich Geld, wenn ihr Arbeitgeber findet, die Langzeitarbeitslose beschäftigen. Dann gibt's Lohnkostenzuschüsse in erheblichem Umfang. – Ist das der zweite Weg und vielleicht der sinnvollere, weil man sagt: Hier besteht zumindest die Chance, dass Langzeitarbeitslose wieder in den ersten Arbeitsmarkt unterkommen?
Frank-Jürgen Weise: Beides, absolut. Die Zielrichtung bleibt immer gleich. Ungefördert in Arbeit. Wenn das nicht geht, gefördert. Wenn das nicht geht, subventioniert, gezielt auf den ersten Arbeitsmarkt. Und wenn das nicht geht, und da sind wir bei den 200.000, dann eben auch so eine Art von Arbeit. Der Herr Ramelow, der Ministerpräsident von Thüringen, hat das mit uns diskutiert. Er sieht es genauso. Es darf nicht ein leichter Weg sein, wo man dann den öffentlichen Bereich aufbläht. Aber es muss eine letzte bessere Chance sein, als zehn Jahre arbeitslos zu Hause.
Deutschlandradio Kultur: Bleiben wir nochmal kurz bei diesen Lohnkostenzuschüssen für Arbeitgeber, wenn sie Langzeitarbeitslose beschäftigen. Die Gefahr, dass da Missbrauch entsteht, sehen Sie nicht?
Frank-Jürgen Weise: Doch, es gibt bestimmt solche Einzelfälle. Es gibt auch immer das Risiko von Missbrauch. Ich bin aber der Meinung, man kann nicht Dinge gestalten immer unter dem Aspekt, da ist irgendein diabolischer Mensch dabei. Man muss es andersrum machen. Und meine Agenturen draußen sind natürlich aufgefordert, bei den Firmen zu beobachten. Wenn da einer ist, der immer gefördert einstellt und nach sechs Monaten wieder entlässt, da brauche ich kein Gesetz dazu. Da brauche ich normalen Menschenverstand, um zu sagen, der zieht uns über den Tisch.
Wir haben jedenfalls jetzt, in den guten Zeiten, viel weniger Eingliederungszuschuss gezahlt als früher. Das macht ja auch die derzeitigen hohen Überschüsse aus, weil es eben nicht notwendig ist.
Deutschlandradio Kultur: In der Vorbereitung auf das Gespräch habe ich mit einem Freund geredet. Der ist Arzt und sagt, er hat lange nach einer Arzthelferin gesucht, hat die über die Bundesagentur gefunden. Die hatte ein gewisses Handicap. Wie auch immer, die hat sich wunderbar entwickelt, hat die Ausbildung gut durchlaufen, ist nach drei Jahren fertig. Er will sie auch behalten. Er ruft bei der Bundesagentur nochmal an. Für ihn ist die Sache eigentlich klar. Und die Leute sagen: Ja, das ist wunderbar, Sie können auch noch drei Monate nach der Ausbildung Lohnkostenzuschüsse bekommen. – Die nimmt er natürlich, aber er hat sich gewundert.
Frank-Jürgen Weise: Na, dann geben Sie mir mal die Anschrift. Das wäre natürlich nicht in Ordnung, so Geld auszugeben. Schön, dass es in dem Fall wirklich funktioniert hat und jemand Arbeit gefunden hat.
Deutschlandradio Kultur: Dann haben Sie noch ein anderes Publikum. Das sind Menschen, die Jobs auf Zeit bekommen. Es gibt eine Statistik, die sagt: Drei Millionen Arbeitnehmer hangeln sich von Vertrag zu Vertrag. Und die Hälfte derer, die diese Verträge unterzeichnen, ist nach weniger als drei Monaten wieder bei der Bundesagentur - und das Spiel fängt von vorne an. Nachhaltig ist das nicht.
Frank-Jürgen Weise: Man muss sagen, es sind Menschen die oft lange vorher arbeitslos waren. Also ist dieser Zustand, der nicht schön ist, den wir uns nicht wünschen würden, immerhin besser als der vorhergehende. Zweitens: Bei seriösen Zeitarbeitsunternehmen haben die Menschen einen längerfristigen Vertrag. Und sie werden dann in diesem Vertrag bei verschiedenen Firmen eingesetzt. Bei den Zeitarbeitsunternehmen, die, wenn sie keinen Auftrag haben, die Leute sofort wieder entlassen, das ist nicht schön. Das ist nicht gewollt. Also, das ist eine Art von Arbeit, die nicht ideal ist, auf jeden Fall besser als Arbeitslosigkeit. Und ich kenne wirklich gute Zeitarbeitsunternehmen, die heute ihre Leute auch über die Dauer ohne Aufträge qualifizieren, weiter bringen. Ich kenne auch manchen Zeitarbeiter, der sagt, ich will an verschiedenen Stellen arbeiten, nicht in einer Firma.
Aber ich will es jetzt auch nicht schönreden. Es ist ein Schwachpunkt. Wir sagen, Einstieg unbedingt -zur Not auch in keine so gute Arbeit- und dann Aufstieg ist besser als Arbeitslosigkeit.
Deutschlandradio Kultur: Zumindest macht sich auch die Bundesarbeitsministerin Gedanken darüber. Im Herbst will sie eine Gesetzesinitiative starten und sagt: Zumindest sachgrundlose Befristungen müssen wir abstellen, weil das insgesamt den Arbeitnehmern und dem Arbeitsmarkt nicht hilft. – Hat sie Ihre Unterstützung?
Frank-Jürgen Weise: Na ja, viel Freude! Der öffentliche Dienst ist einer, derjenigen, der am meisten befristet. Also, ich verstehe die Ministerin. Sie würde als Erstes ihre Kollegen im öffentlichen Dienst ansprechen, auch mich. Wir haben es jetzt als BA in den Griff gekriegt. Auch weil unser Verwaltungsrat interveniert hat und das nicht mehr zulässt, haben wir die Befristungsanteile reduziert. Aber immer noch zehn Prozent der Menschen sind befristet.
Also, Frau Ministerin, Sie hat meine Unterstützung, hat harte Arbeit vor sich.
Deutschlandradio Kultur: Ich will nochmal auf Ihr Team zu sprechen kommen und zu dem Thema aktive Arbeitsmarktpolitik. Das Interessante ist: Im Juli waren es 780.000 Personen, die an Schulungsmaßnahmen teilgenommen haben. Das heißt, die sind zunächst mal nicht in der Arbeitslosenstatistik drin.
Frank-Jürgen Weise: Ja.
Deutschlandradio Kultur: Und die Instrumente, die Sie einsetzen, sind die wirklich so, wie Sie es ja immer gerne haben möchten, passgenau und zielorientiert? Hat sich nicht eine Arbeitslosenbildungsindustrie entwickelt hat, die sich selbst ernährt?
Frank-Jürgen Weise: Wir haben das gesehen, dass diese Frage, hilft die Qualifizierung wirklich den Menschen, kritisch zu sehen ist. Wir haben im Moment – sinnigerweise nennt sich das Projekt „Treffer" – eine Überprüfung. Was war die Idee? Warum diese Qualifikation? War der Bildungsträger gut? Hat es funktioniert? Es liegt natürlich auch an vielen Beteiligten, weil nicht sicher ist, ob der Mensch die Bildungsmaßnahme durchhält. Aber die Betreuung, die Begleitung, der Service der Bildungsträger ist besser geworden.
Deutschlandradio Kultur: Viele Kursteilnehmer sagen, wir machen da Sachen, die helfen uns gar nichts. Wir machen es aber, weil uns das Amt dazu zwingt, damit wir weiterhin unsere Bezahlung bekommen.
Frank-Jürgen Weise: Es gibt manche Maßnahmen, zum Beispiel Bewerbungstraining, wo wir wirklich sagen, das muss jemand machen. Da ist einfach die Erfahrung. Wer da nicht geübt ist, der kommt gar nicht zum Gespräch. Der wird gar wahrgenommen. Das ist, wenn Sie so wollen, schon ein bisschen Nachdruck, auch um zu sehen, ob der Mensch seinen Beitrag leistet. Bei wirklichen Bildungsmaßnahmen kann ich mir das nicht vorstellen. Wenn es vorkommt, ist es Blödsinn, muss man klar sagen. Da jemanden gegen seinen Willen rein zu zwingen, ist Blödsinn.
Deutschlandradio Kultur: Ich habe eine kleine Geschichte in den Agenturen gelesen. Die hat mir gut gefallen. Es gibt die Kreishandwerkerschaft Hellweg-Lippe. Die sagt: Wir wollen handwerklich begabte Hartz-IV-Empfänger einstellen und wir geben denen eine Jobgarantie. Wenn sie sich umschulen lassen und die Prüfungen bestehen, dann kriegen sie bei uns einen Arbeitsplatz. Also: Strengt euch an. Macht den Abschluss und ihr habt den Job.
Frank-Jürgen Weise: Genau das ist das Richtige! Sie sprechen es aus. Die Handwerkskammern und das Handwerk insgesamt ist wirklich in dem Fall einer der besten Partner, weil die bei den Menschen nicht mehr so sehr auf Schulnoten und anderes schauen, sondern auf Kompetenzen. Also, das ist eine sehr gute Zusammenarbeit. Da sehe ich viele Chancen für Menschen.
Deutschlandradio Kultur: Sie sind im vergangenen Jahr zum Vorsitzenden des, ich zitiere „Netzwerks europäischer Arbeitsverwaltungen" gewählt worden. So richtig vergnügungssteuerpflichtig hört sich das nicht an, aber vielleicht ist es ja eine sinnvolle Geschichte.
Frank-Jürgen Weise: Doch, das macht Freude. Es sind ja die Chefs der europäischen Arbeitsmarktservices, 28. Wir treffen uns ganz regelmäßig. Wir tauschen aus, welche Erfahrungen wir machen, zum Beispiel zur Frage Langzeitarbeitslosigkeit, zum Beispiel zur Frage: Was ist denn das gute Qualifizierungsangebot? Wir sind sehr gefragt im Moment, auch als Deutsche.
Deutschlandradio Kultur: Aber wir sind ja nicht nur Musterschüler. Vielleicht können wir ja auch von den anderen Arbeitsverwaltungen lernen, wo wir sagen, die machen etwas schneller, effektiver? Oder sind es die Deutschen, die wissen wie es geht, und alle hören zu? Und dann kommt die Kavallerie und zeigt beispielsweise den Griechen wie es geht? Wäre ja auch nicht gut...
Frank-Jürgen Weise: Nein, das wäre so etwas von falsch und anmaßend. Damit hätten wir nichts gewonnen. Und es wäre auch sachlich nicht gerechtfertigt. Beispielsweise Estland. Ein kleines Land ist in den Angeboten für den Bürger schneller, effektiver, kostengünstiger als wir. Es ist wunderbar zuzuschauen. Und ich habe den früheren Chef der Regionaldirektion von Bayern, Herrn Holzwarth, mitgenommen nach Brüssel, der dort ein Projekt ‚Benchlearning' organisiert, wo wir alles offenlegen und voneinander lernen.
Deutschlandradio Kultur: Herr Weise, herzlichen Dank für das Gespräch.