Frank Schätzing: Die Tyrannei des Schmetterlings
Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2018
560 Seiten, 26 Euro
Rasanter Thriller über künstliche Intelligenz außer Kontrolle
In Frank Schätzings neuem Thriller geht es um die Erfindung eines Computernerds, der die Menschen mittels künstlicher Intelligenz zu Frieden und Glück führen will. Doch die künstliche Intelligenz gerät außer Kontrolle. Kein neuer Einfall - aber Frank Schätzing schafft damit atemlose Spannung.
Was geschieht, wenn der Mensch eine Maschine konstruiert, die so intelligent ist, dass sie ihren Schöpfer überflügelt? Eine Frage, mit der sich Romanautoren von Arthur C. Clarke bis Karl Olsberg auseinandergesetzt haben. Nun liefert Frank Schätzing seinen Beitrag, in einem Thriller, der mit so ziemlich allem aufwartet, was die Wissenschaft zu bieten hat: von Zeitsprüngen und Paralleluniversen über Designer-Insekten bis hin zu einer quasi gottgleichen Computerintelligenz, die – wenig überraschend – die Menschheit irgendwann nur mehr als Störfaktor sieht.
"Die Tyrannei des Schmetterlings" heißt das fast 600 Seiten starke Werk, und in diesem Titel wird die Grundstruktur der Handlung schon vorweggenommen. Als "Schmetterling" sieht der ebenso technologieverliebte wie idealistische Computernerd Elmar Nordvisk seine bahnbrechende Erfindung: eine lernfähige Künstliche Intelligenz, welche die Menschen zu immerwährendem Frieden und Glück führen soll. Allerdings ist es ein Schmetterling mit schwarzen Flügeln. Das wird nicht nur Nordvisk nach und nach klar, sondern auch dem Undersheriff von Sierra County, einem gewissen Luther Opoku, der zufällig auf das Projekt stößt, als er den Tod einer Frau untersuchen soll, die bei Nordvisk Incorporated gearbeitet hat.
Das Thema weidlich ausgekostet
Der scheinbar einfache Fall wird zu einer wilden Jagd durch Zeit und Raum, garniert mit skrupellosen Waffenhändlern, eiskalte Killern, mörderischen Libellen und nicht zuletzt der übermächtigen KI mit dem martialischen Namen "Ares", die eigentlich das anstrebt, was alle wollen: nämlich eine intakte Ökosphäre – aber dieses Ziel mit brachialen Mitteln verfolgt.
Nun ist eine außer Kontrolle geratene Künstliche Intelligenz keine wirkliche Neuheit im Sci-fi-Thriller-Genre, aber Frank Schätzing versteht es, das Thema weidlich auszukosten. Er spielt mit der Theorie des Multiversums, mit quantenphysikalischen Wahrscheinlichkeiten und Gleichzeitigkeiten, mit der -einigermaßen gruseligen - Vorstellung einer Globokultur, in der Algorithmen die Menschen besser kennen als sie sich selbst ("Uniform, soweit Menschen vernetzt sind. Tragen die gleichen Klamotten, essen das gleiche Essen, hören die gleiche Musik. Alles angeglichen"), mit alternativen Realitäten und der Idee von virtuell aufgerüstetem Leben.
Telefon und Türklingel abschalten
Und er stellt Fragen: nach Gut und Böse, nach ethischen Grenzen, nach menschlicher Hybris und Selbstüberschätzung. Die Nähe zur Realität ist unübersehbar, vieles von dem, was Schätzing beschreibt, ist zumindest in Ansätzen bereits vorhanden, und so beinhaltet seine Prosa auch eine Warnung vor naiver Fortschrittshörigkeit und dem Versuch des Menschen, sich als Schöpfergott aufzuspielen.
All das verpackt der Autor in eine monumentale Thrillerhandlung, die in gewaltigem Tempo voranprescht und sich mitunter an der eigenen Rasanz zu berauschen scheint. Aber eben diese Rasanz garantiert atemlose Spannung bis zum Schluss: Man sollte sich für die Lektüre ein langes Wochenende Zeit nehmen – und Telefon und Türklingel am besten abschalten.