Frank Schirrmacher gegen Verleihung des Hessischen Kulturpreises
Für FAZ-Mitherausgeber Frank Schirrmacher zeigt das Gerangel um die Vergabe des Hessischen Kulturpreises, dass der Dialog der Religionen nur in den Sonntagsreden stattfindet. "Aber wenn es dann um die Sache geht, dann sieht das ganz schön schlecht damit aus". Dieses "Desaster" zeige, "wie wichtig es ist, wegzukommen von den Sonntagsreden und die Widersprüche und die Abgründe zu erkennen und ein wirkliches Gespräch zu beginnen". Zugleich sprach er sich dafür aus, den Preis in diesem Jahr nicht zu vergeben, da der Sinn der Preisverleihung "zerstört" sei.
Matthias Hanselmann: Wir sprechen mit Dr. Frank Schirrmacher. Er ist Mitherausgeber der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung". Guten Tag, Herr Schirrmacher!
Frank Schirrmacher: Tag, Herr Hanselmann!
Hanselmann: Wir müssen vorab eines kurz klären. Wir haben Ihren Namen auf der Liste der Kuratoriumsmitglieder des Preises gefunden. In Klammern dahinter steht: "War wegen Abwesenheit an der Entscheidung nicht beteiligt." Bitte erklären Sie uns das!
Schirrmacher: Ja, ich war da wegen dienstlicher Abwesenheit, also dienstlicher Verpflichtungen habe ich dieses Jahr nicht teilgenommen an den Sitzungen, aber man ist dann ja halt noch Kuratoriumsmitglied, und habe diese Sache auch erst zu einem Zeitpunkt dann erfahren, als die Explosion unmittelbar bevorstand.
Hanselmann: Und ich denke, wenn Sie aus Protest zurückgetreten wären, dann hätten wir das auch früher erfahren.
Schirrmacher: Ja, das ist eine Frage, die ich mir übrigens gestellt habe, sollte man eigentlich dann nicht zurücktreten. Man darf nicht vergessen - und das war für mich relevant bei dieser ganzen Sache -, dass den Preis ja auch noch Salomon Korn erhält. Salomon Korn, der Vizevorsitzende des Zentralrats der Juden, der hier in Frankfurt eine sehr wichtige Rolle spielt für uns alle, und das hätte wiederum Korn beschädigt. Darum trete ich da auch nicht zurück.
Hanselmann: Die Preisverleihung, wir haben es gehört, wird nun also auf den Herbst verschoben. Man wolle die vier Preisträger vorher noch an einen Tisch bekommen. Was halten Sie denn von dieser Entscheidung?
Schirrmacher: Ich frage mich mittlerweile, ob der Sinn, den diese Preisverleihung haben sollte, nämlich im Sinne des Dialogs der Religionen ein Forum zu bieten, ob der nicht jetzt schon zerstört ist. Also wollte man einen Preis für Nichtdialog vergeben, dann hätte man es so machen müssen, wie es geschehen ist. Sie haben es ja erwähnt in Ihrem Beitrag, ob das jetzt irgendwelche Briefe sind und Proteste sind, von denen Kermani gar nichts wusste. Ich hoffe, ich meine, ich hoffe, dass jetzt die Zeit genutzt wird, dann tatsächlich, das wäre natürlich ein tolles Ergebnis, dass am Ende da eine Diskussion stattfindet und man auch im Dissens dann den Preis entgegennehmen kann. Aber meine Befürchtung ist, dass das nicht passiert und dass jetzt schon so viel Schaden angerichtet ist, wie man ihn eigentlich nie hatte haben wollen.
Hanselmann: Aber eine Entscheidung für sich selber haben Sie offenbar noch nicht getroffen. Von der grundsätzlichen Idee des Preises waren Sie ja zunächst überzeugt, sonst wären Sie nicht Kuratoriumsmitglied geworden?
Schirrmacher: Nein, der Kulturpreis ist, ich bin schon seit Jahren im Kuratorium, also das hat jetzt nichts mit den dreien zu tun, das heißt, ich bin schon an vielen früheren Entscheidungen beteiligt gewesen, und was das jetzt angeht, das muss ich mir jetzt - wie alle anderen Beteiligten auch - überlegen. Da bedarf es auch noch eines gewissen Aufklärungsbedarfes, wer da mit wem geredet hat. Wir haben hier in der Zeitung die Sache ja sehr deutlich kommentiert. Kermani hat sich bei uns auch geäußert.
Die Sache müssen Sie sehen, es ist immer sehr heikel, wenn Sie von religiösen Gefühlen reden und religiöse Gefühle verletzt sein können. Und das muss man auch immer akzeptieren, dass das Menschen so geht. Aber hier in diesem Fall, wenn da jetzt so rüberkommt, da hat der Muslim Kermani das Kreuz beleidigt, dann ist das einfach nicht wahr, das entspricht nicht den Tatsachen. Und ich finde es auch nicht sehr verantwortungsvoll, dass jetzt Kardinal Lehmann diese These so verkürzt unkommentiert lässt, die da auf ihn bezogen wird.
Hanselmann: Stein des Anstoßes - wir haben es eben kurz beschrieben - war ja ein Text des Schriftstellers Navid Kermani, in dem er über das Symbol des Christentums, das Kreuz, nachdenkt, es auf sich wirken lässt. Er schildert die Kreuzigung des Künstlers Guido Reni in Rom. Und dazu sind ihm zunächst Begriffe wie Gotteslästerung und Idolatrie - also Bildervergötterung - eingefallen. Aber offenbar haben die christlichen Preisträger den Artikel nicht zu Ende gelesen?
Schirrmacher: Sie behaupten ja, Steinacker hat das ja auch bei uns geschrieben, er habe es zu Ende gelesen. Was mich etwas sprachlos macht, ist, dass gerade Theologen doch wissen müssten, dass Kritik an Christus-Darstellungen nicht nur ein Bestandteil sind sozusagen außerreligiösen oder mit anderen Religionen geführten Dialog, sondern auch im Christentum eine ganz lange Geschichte haben. Sozusagen das Problem des Kreuzes, das Problem, diesen Schmerzensmann zu sehen, hat auch Theologen über Jahrhunderte bewegt: Warum hat das Christentum sich dazu entschlossen, einen in Todespein sich befindlichen Menschen dort zu zeigen? Und das hat das Christentum, die Reformation, wen auch immer beschäftigt.
Und was jetzt Kermani tut, ist etwas, was ganz - das ist eine Suchbewegung. Er sieht dieses Bild, er sagt, er hat nie verstanden, warum das Christentum den Gekreuzigten anbetet. Er sieht dieses Bild in Rom und fängt plötzlich an, auch durch die Kraft der Kunst Guido Renis natürlich, darüber neu nachzudenken.
Und diese Suchbewegung, dass die gar nicht honoriert oder dass die gar nicht gesehen wird, das ist ja nicht nur mir und anderen so fragwürdig, warum das nicht geschieht. Mittlerweile hat sich ein bedeutender Theologe in Rom gemeldet, ein katholischer, der das auch nicht versteht, weil wenn ein Text - der ist ja kein Theologe, der Kermani -, aber der Text eines muslimischen Intellektuellen beweist, der Versuch des Verständnisses einer anderen Religion, dann ist es dieser Text.
Und ich glaube, darum ist man auch so außer sich, weil es nicht das übliche ... Wissen Sie, in der Kultur haben wir ständig die Debatten und es geht immer ... und meistens steckt was ganz anderes dahinter. Aber hier ist ein Text da, und diesen Text, das müssen ja auch Theologen, kann man ja lesen. Und in diesem Text bemüht sich auch jemand, sozusagen, in Anführungszeichen, "die andere Seite" zu verstehen.
Es ist ja kein Zufall, dass der katholische Schriftsteller Martin Mosebach, der auch zu diesem Zeitpunkt gerade in Rom war, mit Kermani darüber viel diskutierte, wie ich höre den Text sogar einigen Gewährsleuten im Vatikan zu lesen gab, die ihn auch nicht schlecht fanden, sondern sogar sehr gut, dass der jetzt in einem Artikel einige doch sehr deutliche Fragen an Kardinal Lehmann stellt, warum er sich so äußert, wie er das tut.
Hanselmann: Kermani lässt sich ja von der Betrachtung des Werkes schließlich zu der Aussage bringen, dass das Kreuz ihm den Zugang zum christlichen Glauben ermöglichen könne, das Bild ihn sogar, wie er in Ihrer Zeitung geschrieben hat, an den Rand der Konversion gebracht habe. Das wiederum dürfte ja in islamischen Kreisen sicherlich nicht gern gehört werden.
Schirrmacher: Das ist ungeheuerlich, und man muss sehen, in welchem Zeichen das steht. Das Zeichen, indem er das äußert, ist der Schmerz, ist das Leid dieses - jetzt ist die Frage, das ist auch eine theologische Frage - dieses Menschen oder dieses Sohn Gottes. Das entscheidet er auch nicht. Das entscheiden ja auch viele Theologen nicht, das ist ja eine offene Frage. Das heißt, über eine menschliche sozusagen Verinnerlichung dieses Bildes kommt er zu einer Äußerung, die für andere Muslime mit Sicherheit spektakulär und anrüchig oder gefährlich ist, was auch immer.
Dieser Preis dieses Jahr steht von Anfang an unter einem unglaublich schlechten Stern. Bedenken Sie, dass ja vor Kermani ein anderer Preisträger gewählt wurde, der den Preis ablehnte, weil er nicht mit Salomon Korn zusammen den Preis entgegennehmen wollte.
Das immerhin sehen wir jetzt: Der sogenannte Dialog der Religionen, das ist offenbar noch immer, was wir sonntags reden. Aber wenn es dann um die Sache geht, dann sieht das ganz schön schlecht damit aus. Und so muss man, glaube ich, auch dieses Desaster jetzt verstehen. Es zeigt, wie wichtig es ist, wegzukommen von den Sonntagsreden und die Widersprüche und die Abgründe zu erkennen und ein wirkliches Gespräch zu beginnen.
Hanselmann: Herr Schirrmacher, vielleicht zum Schluss: Sollte der Kulturpreis in diesem Jahr überhaupt noch vergeben werden oder wäre es nicht besser, es bei der Diskussion zu belassen?
Schirrmacher: Sie sprechen aus, was meine tiefste Überzeugung ist. Ich meine, der Preis sollte nicht vergeben werden. Ich meine, man sollte das Fenster, das sich jetzt öffnet, als Möglichkeit einer Diskussion sehen. Wobei man auch dazu sagen muss, da sind jetzt auch Verletzungen, auch im persönlichen Bereich, geschehen, die fragwürdig sein lässt, ob es dazu kommt. Kermani ist ja aufgefordert worden, seinen Artikel zu erläutern, als sei er da irgendwie vors Hohe Gericht zitiert. Das müsste alles in einer ganz anderen Form stattfinden. Dann wäre es eine wirkliche Chance.
Nur - ich meine, nach dem jetzt zweimal passiert ist in diesem Jahr, dass es diese Probleme mit dem Preis gab, wäre ein Zeichen, auch der Ehrlichkeit, zu sagen, wir sind noch nicht so weit, wir können das nicht beschönigen durch irgendwelche schönen Feierstunden mit Staatsregierung und Musik, sondern wir müssen anerkennen, nein, wir stehen noch mitten im Konflikt.
Frank Schirrmacher: Tag, Herr Hanselmann!
Hanselmann: Wir müssen vorab eines kurz klären. Wir haben Ihren Namen auf der Liste der Kuratoriumsmitglieder des Preises gefunden. In Klammern dahinter steht: "War wegen Abwesenheit an der Entscheidung nicht beteiligt." Bitte erklären Sie uns das!
Schirrmacher: Ja, ich war da wegen dienstlicher Abwesenheit, also dienstlicher Verpflichtungen habe ich dieses Jahr nicht teilgenommen an den Sitzungen, aber man ist dann ja halt noch Kuratoriumsmitglied, und habe diese Sache auch erst zu einem Zeitpunkt dann erfahren, als die Explosion unmittelbar bevorstand.
Hanselmann: Und ich denke, wenn Sie aus Protest zurückgetreten wären, dann hätten wir das auch früher erfahren.
Schirrmacher: Ja, das ist eine Frage, die ich mir übrigens gestellt habe, sollte man eigentlich dann nicht zurücktreten. Man darf nicht vergessen - und das war für mich relevant bei dieser ganzen Sache -, dass den Preis ja auch noch Salomon Korn erhält. Salomon Korn, der Vizevorsitzende des Zentralrats der Juden, der hier in Frankfurt eine sehr wichtige Rolle spielt für uns alle, und das hätte wiederum Korn beschädigt. Darum trete ich da auch nicht zurück.
Hanselmann: Die Preisverleihung, wir haben es gehört, wird nun also auf den Herbst verschoben. Man wolle die vier Preisträger vorher noch an einen Tisch bekommen. Was halten Sie denn von dieser Entscheidung?
Schirrmacher: Ich frage mich mittlerweile, ob der Sinn, den diese Preisverleihung haben sollte, nämlich im Sinne des Dialogs der Religionen ein Forum zu bieten, ob der nicht jetzt schon zerstört ist. Also wollte man einen Preis für Nichtdialog vergeben, dann hätte man es so machen müssen, wie es geschehen ist. Sie haben es ja erwähnt in Ihrem Beitrag, ob das jetzt irgendwelche Briefe sind und Proteste sind, von denen Kermani gar nichts wusste. Ich hoffe, ich meine, ich hoffe, dass jetzt die Zeit genutzt wird, dann tatsächlich, das wäre natürlich ein tolles Ergebnis, dass am Ende da eine Diskussion stattfindet und man auch im Dissens dann den Preis entgegennehmen kann. Aber meine Befürchtung ist, dass das nicht passiert und dass jetzt schon so viel Schaden angerichtet ist, wie man ihn eigentlich nie hatte haben wollen.
Hanselmann: Aber eine Entscheidung für sich selber haben Sie offenbar noch nicht getroffen. Von der grundsätzlichen Idee des Preises waren Sie ja zunächst überzeugt, sonst wären Sie nicht Kuratoriumsmitglied geworden?
Schirrmacher: Nein, der Kulturpreis ist, ich bin schon seit Jahren im Kuratorium, also das hat jetzt nichts mit den dreien zu tun, das heißt, ich bin schon an vielen früheren Entscheidungen beteiligt gewesen, und was das jetzt angeht, das muss ich mir jetzt - wie alle anderen Beteiligten auch - überlegen. Da bedarf es auch noch eines gewissen Aufklärungsbedarfes, wer da mit wem geredet hat. Wir haben hier in der Zeitung die Sache ja sehr deutlich kommentiert. Kermani hat sich bei uns auch geäußert.
Die Sache müssen Sie sehen, es ist immer sehr heikel, wenn Sie von religiösen Gefühlen reden und religiöse Gefühle verletzt sein können. Und das muss man auch immer akzeptieren, dass das Menschen so geht. Aber hier in diesem Fall, wenn da jetzt so rüberkommt, da hat der Muslim Kermani das Kreuz beleidigt, dann ist das einfach nicht wahr, das entspricht nicht den Tatsachen. Und ich finde es auch nicht sehr verantwortungsvoll, dass jetzt Kardinal Lehmann diese These so verkürzt unkommentiert lässt, die da auf ihn bezogen wird.
Hanselmann: Stein des Anstoßes - wir haben es eben kurz beschrieben - war ja ein Text des Schriftstellers Navid Kermani, in dem er über das Symbol des Christentums, das Kreuz, nachdenkt, es auf sich wirken lässt. Er schildert die Kreuzigung des Künstlers Guido Reni in Rom. Und dazu sind ihm zunächst Begriffe wie Gotteslästerung und Idolatrie - also Bildervergötterung - eingefallen. Aber offenbar haben die christlichen Preisträger den Artikel nicht zu Ende gelesen?
Schirrmacher: Sie behaupten ja, Steinacker hat das ja auch bei uns geschrieben, er habe es zu Ende gelesen. Was mich etwas sprachlos macht, ist, dass gerade Theologen doch wissen müssten, dass Kritik an Christus-Darstellungen nicht nur ein Bestandteil sind sozusagen außerreligiösen oder mit anderen Religionen geführten Dialog, sondern auch im Christentum eine ganz lange Geschichte haben. Sozusagen das Problem des Kreuzes, das Problem, diesen Schmerzensmann zu sehen, hat auch Theologen über Jahrhunderte bewegt: Warum hat das Christentum sich dazu entschlossen, einen in Todespein sich befindlichen Menschen dort zu zeigen? Und das hat das Christentum, die Reformation, wen auch immer beschäftigt.
Und was jetzt Kermani tut, ist etwas, was ganz - das ist eine Suchbewegung. Er sieht dieses Bild, er sagt, er hat nie verstanden, warum das Christentum den Gekreuzigten anbetet. Er sieht dieses Bild in Rom und fängt plötzlich an, auch durch die Kraft der Kunst Guido Renis natürlich, darüber neu nachzudenken.
Und diese Suchbewegung, dass die gar nicht honoriert oder dass die gar nicht gesehen wird, das ist ja nicht nur mir und anderen so fragwürdig, warum das nicht geschieht. Mittlerweile hat sich ein bedeutender Theologe in Rom gemeldet, ein katholischer, der das auch nicht versteht, weil wenn ein Text - der ist ja kein Theologe, der Kermani -, aber der Text eines muslimischen Intellektuellen beweist, der Versuch des Verständnisses einer anderen Religion, dann ist es dieser Text.
Und ich glaube, darum ist man auch so außer sich, weil es nicht das übliche ... Wissen Sie, in der Kultur haben wir ständig die Debatten und es geht immer ... und meistens steckt was ganz anderes dahinter. Aber hier ist ein Text da, und diesen Text, das müssen ja auch Theologen, kann man ja lesen. Und in diesem Text bemüht sich auch jemand, sozusagen, in Anführungszeichen, "die andere Seite" zu verstehen.
Es ist ja kein Zufall, dass der katholische Schriftsteller Martin Mosebach, der auch zu diesem Zeitpunkt gerade in Rom war, mit Kermani darüber viel diskutierte, wie ich höre den Text sogar einigen Gewährsleuten im Vatikan zu lesen gab, die ihn auch nicht schlecht fanden, sondern sogar sehr gut, dass der jetzt in einem Artikel einige doch sehr deutliche Fragen an Kardinal Lehmann stellt, warum er sich so äußert, wie er das tut.
Hanselmann: Kermani lässt sich ja von der Betrachtung des Werkes schließlich zu der Aussage bringen, dass das Kreuz ihm den Zugang zum christlichen Glauben ermöglichen könne, das Bild ihn sogar, wie er in Ihrer Zeitung geschrieben hat, an den Rand der Konversion gebracht habe. Das wiederum dürfte ja in islamischen Kreisen sicherlich nicht gern gehört werden.
Schirrmacher: Das ist ungeheuerlich, und man muss sehen, in welchem Zeichen das steht. Das Zeichen, indem er das äußert, ist der Schmerz, ist das Leid dieses - jetzt ist die Frage, das ist auch eine theologische Frage - dieses Menschen oder dieses Sohn Gottes. Das entscheidet er auch nicht. Das entscheiden ja auch viele Theologen nicht, das ist ja eine offene Frage. Das heißt, über eine menschliche sozusagen Verinnerlichung dieses Bildes kommt er zu einer Äußerung, die für andere Muslime mit Sicherheit spektakulär und anrüchig oder gefährlich ist, was auch immer.
Dieser Preis dieses Jahr steht von Anfang an unter einem unglaublich schlechten Stern. Bedenken Sie, dass ja vor Kermani ein anderer Preisträger gewählt wurde, der den Preis ablehnte, weil er nicht mit Salomon Korn zusammen den Preis entgegennehmen wollte.
Das immerhin sehen wir jetzt: Der sogenannte Dialog der Religionen, das ist offenbar noch immer, was wir sonntags reden. Aber wenn es dann um die Sache geht, dann sieht das ganz schön schlecht damit aus. Und so muss man, glaube ich, auch dieses Desaster jetzt verstehen. Es zeigt, wie wichtig es ist, wegzukommen von den Sonntagsreden und die Widersprüche und die Abgründe zu erkennen und ein wirkliches Gespräch zu beginnen.
Hanselmann: Herr Schirrmacher, vielleicht zum Schluss: Sollte der Kulturpreis in diesem Jahr überhaupt noch vergeben werden oder wäre es nicht besser, es bei der Diskussion zu belassen?
Schirrmacher: Sie sprechen aus, was meine tiefste Überzeugung ist. Ich meine, der Preis sollte nicht vergeben werden. Ich meine, man sollte das Fenster, das sich jetzt öffnet, als Möglichkeit einer Diskussion sehen. Wobei man auch dazu sagen muss, da sind jetzt auch Verletzungen, auch im persönlichen Bereich, geschehen, die fragwürdig sein lässt, ob es dazu kommt. Kermani ist ja aufgefordert worden, seinen Artikel zu erläutern, als sei er da irgendwie vors Hohe Gericht zitiert. Das müsste alles in einer ganz anderen Form stattfinden. Dann wäre es eine wirkliche Chance.
Nur - ich meine, nach dem jetzt zweimal passiert ist in diesem Jahr, dass es diese Probleme mit dem Preis gab, wäre ein Zeichen, auch der Ehrlichkeit, zu sagen, wir sind noch nicht so weit, wir können das nicht beschönigen durch irgendwelche schönen Feierstunden mit Staatsregierung und Musik, sondern wir müssen anerkennen, nein, wir stehen noch mitten im Konflikt.