Frank Schulz: Anmut und Feigheit: Erzählungen
Verlag Galiani, Berlin 2018
336 Seiten, 22 Euro
Angst vor der Generation Beige
Der Erzählungsband "Anmut und Feigheit" wurde durch seinen 60. Geburtstag inspiriert, bekennt der Schriftsteller Frank Schulz. Es sei die nackte Angst, mit der sich zum Beispiel seine Figur namens Juniorsenior von Älteren abgrenzt, die gern Beige tragen.
Frank Meyer: Der Autor Frank Schulz hat unter anderem einen höchst merkwürdigen Privatdetektiv erfunden, Onno Viets hat er den genannt. Das ist ein Versager, der alles Mögliche vermurkst, auch als Privatdetektiv, und er ist ein Mann, den man einfach ins Herz schließen muss. Drei "Onno Viets"-Romane hat Frank Schulz geschrieben, dafür wurde er unter anderem mit dem Kasseler Literaturpreis für grotesken Humor geehrt. Es gibt weitere tolle Bücher von Frank Schulz, und jetzt gibt es einen neuen Erzählungsband mit dem Titel "Anmut und Feigheit". Der Autor ist jetzt in Osnabrück für uns im Studio. Guten Tag, Herr Schulz!
Frank Schulz: Guten Tag, Herr Meyer!
Meyer: "Anmut und Feigheit" ist ja schon mal eine interessante Kombination in Ihrem Buchtitel. Warum haben Sie das Buch denn so genannt, "Anmut und Feigheit"?
Schulz: Aus einer Laune heraus, die sich dann immer mehr zu einer Gewissheit verfestigte. Mir gefiel vor allem der Pseudogegensatz, der da drinsteckt, ist ja eine Art Wortspiel – Anmut und Feigheit. Und nachdem ich festgestellt habe, dass diese Eigenschaften in der einen oder anderen Geschichte dieses Bandes durchaus eine Rolle spielen, habe ich diesen Titel gewählt.
Die Anmut der Singvögel
Meyer: Ja, das mit der Feigheit ist mir ja klar, es gibt öfter mal Figuren, die sich so wegducken, die neidisch sind auf andere, aber das auch nicht so richtig offen austragen möchten. Welche spezifische Anmut sehen Sie denn bei Ihren Figuren oder in Ihren Texten?
Schulz: Das ist eine Sphäre, die man sich selbst erschließen muss als Leser. Ich sehe zum Beispiel die Anmut in verschiedenen peripheren Dingen, wie zum Beispiel den Singvögeln im Vogelhaus beispielsweise in der einen Geschichte, oder aber auch in einem bestimmten Verhalten, dass selbst der feigste Typ aus meinen Erzählungen, der Dr. phil. Büttner an den Tag legt. Selbst dort sehe ich in manchem Verhalten, als er dann mit ein paar Bier intus plötzlich doch einem seiner Feinde quasi vergibt, eine gewisse Form von Anmut. Und ansonsten fände ich es toll, wenn eben das quasi eine Aufgabe wäre, der sich der Leser gerne stellt, indem er die Anmut in der Poesie, die hoffentlich aus den Erzählungen sich hervortut, erkennen kann.
Reflexionen zum 60. Geburtstag
Meyer: Gut, wir füllen alle einen Auftragszettel "Anmut in den Erzählungen von Frank Schulz" aus und schicken Ihnen die dann zu. Ihr Buch hat außerdem auch noch einen schönen Untertitel, "Ein Prosaalbum über Leidenschaft" heißt er. Und eine Leidenschaft von spezieller Anmut erlebt man gleich in der ersten Geschichte, "Szenen in Beige" heißt die. Da lernt man ein Paar kennen, das sich so richtig herzhaft anfrötzelt, gerade auch was ein Thema angeht, nämlich sein fortgeschrittenes Alter, der Erzähler muss sich seinem 60. Geburtstag stellen. Herr Schulz, Sie sind letztes Jahr auch 60 geworden, wie ist das denn eingegangen in diese Erzählung?
Schulz: Ja, nicht gerade eins zu eins, aber doch, sagen wir mal, wie bei einem guten Cocktail eins zu drei. Also ich bin eben 60 geworden, und dieser Umstand ist für diese Geschichte prägend natürlich, aber nicht nur das, sondern auch etwas, was mir persönlich auch zugestoßen ist, nämlich ein leichter Schlaganfall. Und beides zusammen in Kombination hat doch etliches an Reflexionen bei mir ausgelöst. Und da ich eine Lebensgefährtin habe, die etliche Jahre jünger ist als ich, ergab sich dadurch dann auch gleich ein ganz gutes Motiv für diese Geschichte, die in diesem Altersunterschied steckt eben. Und das ein bisschen auszuloten, aber auf eine leichte, wenn auch nicht seichte Weise, das war mir ein Anliegen für die Geschichte.
Meyer: Ein Motiv dieser Erzählung ist, wie sich dieser Juniorsenior, so nennt er sich auch immer, mit seinen 60 Jahren abgrenzt gegen die Menschen, die er jetzt so richtig alt findet, also die so 15 Jahre älter sind als er. Das ist dann die Generation Beige, die in dieser Erzählung "Szenen in Beige" auftaucht. Warum hat der so ein Bedürfnis, sich gegen die Älteren abzugrenzen?
Schulz: Ja, ein ganz feiges Bedürfnis, anmutig finde ich es jedenfalls nicht. Es ist Angst, es ist die nackte Angst, dass es ihm auch bald so gehen wird. Ich hab mal irgendwo gelesen, in einer soziologischen Studie, dass Menschen andere Menschen als alt empfinden, wenn ein Altersunterschied von 15 Jahren mindestens vorhanden ist, und das hab ich dann gleich mal, quasi so die Nagelprobe für die Prosa gemacht. Und da es eine gewisse Komik erzeugte, bin ich dabei geblieben und hab das ein bisschen ausgemalt.
"Ich kann das Leben besser mit Humor ertragen"
Meyer: Komik ist überhaupt bei Ihnen wichtig, oder? Man stößt auf ganz viele komische Momente, komische Redeweisen, komisches Verhalten – das war ja auch bei Ihren Romanen so, und in Ihren Erzählungen begegnet einem das wieder. Ist das für Sie ein notwendiger Bestandteil Ihres Erzählens, die Komik?
Schulz: Ja, ich glaube schon, also nicht nur des Erzählens, sondern des Lebens an sich. Für mich ist Komik oder Humor ein absolut notwendiges Ingredienz des Lebens. Ich kann das Leben im Grunde besser ertragen oder auch führen mit Humor oder mit Komik – deswegen schaue ich danach aus, wo ich sie finde, versuche aber auch selber, welche zu produzieren. Ich wüsste nicht, was ich täte, wenn das nicht der Fall wäre. Es gibt eine Erzählung in diesem Band, die weitgehend auf Humor verzichtet, einfach weil sie so traurig ist, auch für mich als Menschen und als Autor, dass mir da das Lachen vergangen ist – das gibt es also auch –, aber ich brauche eben deswegen umso mehr wo möglich den Ausgleich in anderen Geschichten.
Meyer: Die Erzählung, die Sie gerade ansprechen, die weitgehend auf Komik verzichtet, das ist sicherlich die zweite Erzählung in dem Band "Rotkehlchen. Ein Fragment". Da erzählt ein Mann vom Tod seiner Mutter, die Mutter ist Mitte 70, stirbt ganz unerwartet im Krankenhaus. Der Text, mir kam der überhaupt nicht fragmentarisch vor, warum haben Sie das ein Fragment genannt?
Schulz: Aus Unsicherheit, weil ich keinerlei Handhabe hatte, den in irgendeine Form zu gießen. Wenn es dann letztlich eine Form geworden ist, die eine gewisse Rundung erfahren hat, dann soll's mir auch recht sein, aber persönlich hab ich das Gefühl, es ist ein Fragment und es bleibt auch ein Fragment, und deswegen hab ich's so genannt.
Meyer: "Rotkehlchen" heißt dieser Text, man sieht jetzt auf dem Umschlag des Erzählungsbandes auch ein Rotkehlchen – heißt denn das so etwas wie, dass diese "Rotkehlchen"-Geschichte die autobiografische, die zentrale dieses Buches ist oder eine zentrale?
Schulz: Ja, vermutlich schon. Beispielsweise Verlag und Lektorat und Erstleser und Erstleserinnen haben das durchaus so empfunden, dass "Rotkehlchen", die zweite Geschichte, eine zentrale Erzählung ist dieses Bandes. Und für mich persönlich als Autor dieser Geschichte ist es definitiv eine besondere Geschichte – sowohl vom Schreiben her, so bin ich noch niemals an irgendein Prosastück herrangegangen, als auch vom Inhalt her. Ich hab noch niemals einen reinen autobiografischen Text geschrieben und hab auch hier lange gezögert, ob ich den überhaupt mit hineinnehmen soll. Und es ist jetzt in der Welt, und ich muss mich da irgendwie zu verhalten, wenn es darauf Reaktionen gibt, und ja, also es ist eine offene Geschichte.
Strukturprinzip der Jahreszahlen
Meyer: Also ich muss als Leser sagen, ich bin auf jeden Fall froh, dass dieser Text in diesem Band ist, weil das ein Text ist, der einem diese Trauer, die diesen Mann da befällt, den Erzähler, einem diese sehr nahekommt beim Lesen, und dass man auf eine gewisse Art auch froh ist, diese Erfahrung teilen zu können. Ich wollte Sie gern noch fragen, Herr Schulz, über den Geschichten stehen ja immer Jahreszahlen. 2018 steht über der ersten, und über der letzten Geschichte, also die man als Letztes liest in Ihrem Band, steht 1950 bis 1955. Jetzt waren Sie 1950 noch gar nicht geboren. Es geht da um einen jungen Mann, Gerhard Schulz heißt dieser junge Mann, und man fragt sich automatisch, Frank Schulz, 1950 Gerhard Schulz, ist das jetzt Ihr Vater, von dem Sie da erzählen?
Schulz: Ja, so ist es. Vielleicht erst mal generell zu dem Strukturprinzip der Jahreszahlen: Ich habe bei der Arbeit an diesem Band, auch ausgehend eben von der Erfahrung, dass ich auf das 60. Lebensjahr zusteuere, in alten Sachen gekramt und das Bedürfnis verspürt, einen weiteren Bogen zu spannen, also im Prinzip über mein ganzes Leben. Ich habe nicht nur neue Geschichten über alte Dinge geschrieben, sondern auch alte Geschichten so bearbeitet, dass sie ihre alte Anmutung behalten haben, aber trotzdem hineinpassen und heute auch hoffentlich lesbar sind. Also ich wollte einen weiten Bogen aufspannen, der vielleicht dann auch so ein Gefühl vermittelt für das Vergehen der Zeit, und auf diese Art und Weise hab ich kleine Geschichten gesetzt, die dann insgesamt vielleicht so eine Art Holographie erzeugen können.
Meyer: Also ein ganzes Bild, meinen Sie, quasi ein Bild Ihres Lebens letztendlich in diesen teils fiktiven, teils eben auch autobiografischen Geschichten.
Schulz: Ja, oder aber eben, da es ja nicht nur um meine Erfahrungen geht, sondern da ich auch andere Figuren einsetze, dass es vielleicht ein Gesamtbild erzeugt im Leser, wo er sagen kann, ich auch so und ich nicht so, jedenfalls dass es ein Gesamtbild dieser vergangenen Zeit von 1950 bis 2018 erzeugt unter der Maßgabe von verschiedenen Figuren oder Blickweisen, Perspektiven und so weiter. Das war das Experiment, was mich interessiert hat. Na ja, und dann wollte ich eben einen Bogen schlagen. Der Erzähler der ersten Geschichte in diesem Band kommt mir eben altersmäßig und in zwei, drei anderen Aspekten relativ nahe. Und die Figur in der letzten Geschichte, die eben 1950 bis 55 spielt, kommt der Figur meines Vaters relativ nahe.
Meyer: Das Buch heißt "Anmut und Feigheit: Erzählungen", ein Band mit 336 Seiten im Verlag Galiani erschienen, 22 Euro ist der Preis für dieses Buch von Frank Schulz. Ich danke Ihnen sehr herzlich für dieses Gespräch, Herr Schulz!
Schulz: Ich hab Ihnen zu danken, Herr Meyer, vielen Dank!
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