Erkenntnisgewinne in der Badehose
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Frank Witzel wurde mit dem Roman „Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch-depressiven Teenager im Sommer 1969“ bekannt. Nun versucht er sich an einer anderen Form des Erzählens: einem metaphysischen Tagebuch.
Ein "Zauberwerk" und "das verrückteste Buch des Jahres" nannten die Kritiker Frank Witzels Roman "Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch-depressiven Teenager im Sommer 1969". 800 Seiten stark ist der Roman und gewann 2015 wider Erwarten den Deutschen Buchpreis. Witzel wird inzwischen mit den großen Amerikanern David Foster Wallace und Thomas Pynchon verglichen. Nun hat er eine neue Arbeit vorgelegt: "Uneigentliche Verzweiflung. Ein metaphysisches Tagebuch" heißt es und ist während einer zweimonatigen Phase entstanden, in der sich Witzel tagtäglich hinsetzte und nachdachte.
Der Anfang des Tagebuchs sei eine Art Krise sowohl des Schreibens als auch des Lebens gewesen, erzählt Witzel. "Ich kam eines Morgens auf die Idee, vielleicht einmal anders zu schreiben als ich es bisher, 40 Jahre lang, gemacht habe. Nämlich, dass ich mir etwas ausdenke, dass ich etwas erzähle, dass ich eine Mischung aus Realität und Fiktion herstelle." Stattdessen fand er, er könne sich auch einmal in seiner "Bude hinsetzen und denken".
Denken, schreiben, schwimmen
Ihm sei das metaphysische Tagebuch des existenzialistischen Philosophen Gabriel Marcel eingefallen, der eine ähnliche Dokumentation seiner Denkprozesse vornimmt. Witzel erklärt, sein Tagebuch sei keines im eigentlichen Sinne, sondern ein Gedankentagebuch. Gleich zu Beginn heißt es darin: "Ich kann nur denken, wenn ich schreibe."
Es wird gedacht und geschrieben über das Leben, über eine komplizierte Liebes- und Beziehungsgeschichte, über Sitzungen mit der Psychotherapeutin, über Gott und Transzendenz. Dazwischen geht der Autor/Erzähler schwimmen. Was hat es mit der körperlichen Ertüchtigung und mit dem Erkenntnisprozess zu tun, dem der Autor in der Badehose auf der Spur ist?
Er sei eigentlich ein Sommerschwimmer und nicht mehr im Wasser zu finden, wenn die Tage wieder kälter werden, erzählt Witzel. Aber, habe er sich gedacht, das könne er mit dem neuen Schreibansatz gleich auch noch ändern. Er schwamm und überlegte: "Was ist eigentlich der Anteil des Körpers, was ist der Anteil des Geistes? Woher kommt Überforderung, zum Beispiel beim Schwimmen. Ist das der Körper? Kann sich ein Körper eigentlich überfordern? Das Denken hört beim Schwimmen nicht auf." Und wenn es doch einmal kurz aufhöre, erzählt Witzel, dann bemerke er das natürlich sofort, und denke dann wieder darüber ausgiebig nach.
Von Mäusen und Katzen
Auch der Prozess des Schreibens sei diesmal anders gewesen als sonst: "Ich habe ohne einen Plan angefangen. Ich habe das Buch Tag für Tag geschrieben, hab nicht zurückgeblättert. Anders als bei meinen sonstigen Texten, wo ich einen Nucleus schaffe, den ich dann überarbeite, gibt es hier ein einfaches lineares Vorangehen, das durch den jeweiligen Tag bestimmt ist."
Ein Psychotherapeutenwitz überträgt Witzel auf seine persönliche Situation: "Ein Verrückter ist in der Irrenanstalt, weil er sich für eine Maus hält. Nach mehreren Jahren der Therapie wird er als geheilt entlassen, kehrt aber schon nach einer halben Stunde verängstigt zurück, weil er einer Katze begegnet ist. Auf die Ermahnung des Therapeuten hin, dass er doch mittlerweile wisse, keine Maus zu sein, entgegnet er: "Aber ob die Katze das weiß?!"
Die Katze sei sein Gegenüber, also die Leserinnen und Leser, die er als Autor imaginiere, erklärt Witzel. Es sei ihm nicht leicht gefallen, ein solches Tagebuch zu veröffentlichen, denn es ist ein persönliches, privates Erzählen. "Ich habe keine anderen Masken auf", wie er das sonst als Autor tue, wenn er etwa eine Erzählung in der Rubrik "Roman" veröffentliche, erklärt Witzel.
(aba)