Von der Montage des Geistes
Die Auseinandersetzung mit der Macht künstlicher Intelligenz steht im Mittelpunkt des Theaterstücks "Frankenstein oder der moderne Prometheus", das im Schauspielhaus Zürich uraufgeführt wird. Die Bühnenfassung stammt von Dietmar Dath.
Vor 200 Jahren erfand die Schriftstellerin Mary Shelley die Geschichte von Dr. Frankenstein und seinem namenlosen Geschöpf. Der Naturwissenschaftler Victor Frankenstein verschiebt eigenmächtig die Grenze zwischen Leben und Tod, indem er aus Leichenteilen ein neuartiges Wesen montiert und mit einem Stromstoß zum Leben erweckt. Doch die Schöpfung misslingt und wird zur Bedrohung für ihren Schöpfer.
Was lebt, was nicht lebt
Shelley begründete mit ihrem Roman "Frankenstein oder der moderne Prometheus" das ganze Genre von Science-Fiction. Nun wird eine Bühnenfassung des Romans am Schauspielhaus Zürich uraufgeführt, unter der Regie von Stefan Pucher, der bereits mit Arbeiten wie "Woyzeck", "Ein Volksfeind" und "Am Königsweg" erfolgreich war.
Zum Zeitpunkt der Entstehung des Romans habe man gerade den Unterschied zwischen dem, was lebt und dem, was nicht lebt, in Frage gestellt, sagte der Autor der Bühnenfassung, Dietmar Dath, im Deutschlandfunk Kultur. "Nicht nur religiöse Leute, sondern sogar die Wissenschaft hat damals gedacht, zum Beispiel chemische Stoffe, die in Lebewesen vorkommen oder von denen erzeugt werden, sind etwas total anderes als chemische Stoffe sonst in der Natur."
Bröckelnde Gewissheiten
Dieser Unterschied sei damals gerade ins Wanken gekommen. "Was heute bröckelt, ist natürlich der Unterschied zwischen dem, was denkt und dem, was nicht denkt."
Es sei viel von intelligenten Algorithmen oder intelligenten Maschinen die Rede. In der Züricher Uraufführung setzt Frankenstein deshalb nicht Körper zusammen, sondern den Geist. Dath sagte, er habe es bei der Bearbeitung des Romans erstaunlich gefunden, dass die Antworten von Shelley viel raffinierter seien, als man aus der Filmversion von Frankenstein in Erinnerung habe.
(gem)
Das Interview im Wortlaut:
Liane von Billerbeck: Heute Abend wird ein Stück am Schauspielhaus Zürich uraufgeführt, "Frankenstein oder der moderne Prometheus", und zwar in der Bühnenfassung von Dietmar Dath nach Mary Shelley, die ja mit ihrem "Doktor Frankenstein" nicht nur einen Roman, sondern ein ganzes Genre begründet hat, nämlich das Genre der Science Fiction. Dath hat Physik und Literaturwissenschaft studiert, war Redakteur beim Magazin "Spex", schreibt für die "FAZ", ist Lyriker und eben auch Dramatiker.
Und mit dem Regisseur Stefan Pucher, mit dem er jetzt wieder zusammengearbeitet hat, hat er schon mal einen Theatererfolg gelandet, auch in Zürich, als die beiden Ibsens "Volksfeind" bearbeiteten und damit zum Theatertreffen eingeladen wurden. Jetzt also "Frankenstein". Und was Dietmar Dath aus diesem 200 Jahre alten Stoff für die Bühne gemacht hat, werden wir dann heute Abend wissen. Wir haben jedenfalls vor der Sendung mit ihm gesprochen. Ich grüße Sie!
Dietmar Dath: Hallo, guten Tag!
von Billerbeck: In Ihrem aktualisierten "Doktor Frankenstein", ist das Wesen, an dem er flickschustert, äußerlich kein Monster. Das Flickwerk spielt sich im Gehirn ab. Also, Frankenstein versucht, einem toten Körper Bewusstsein zu geben, indem er ihm die Denkmuster gleich mehrerer Menschen ins Gehirn pflanzt. Warum das?
Dath: Damals, als die das geschrieben hat, war der aktuelle Stoff ja der, dass man diesen Unterschied zwischen dem, was lebt, und dem, was nicht lebt, plötzlich in Frage stellte. Nicht nur religiöse Leute, sondern sogar die Wissenschaft hat damals gedacht, zum Beispiel chemische Stoffe, die in Lebewesen vorkommen oder von denen erzeugt werden, sind was total anderes als chemische Stoffe sonst in der Natur. Deswegen dieses Wort "Organische Stoffe". Und dieser Unterschied bröckelte damals gerade. Zehn Jahre, nachdem das Buch erschien, hat tatsächlich der Friedrich Wöhler, deutscher Chemiker, den Harnstoff dann künstlich hergestellt.
Und was heute bröckelt, ist natürlich der Unterschied zwischen dem, was denkt, und dem, was nicht denkt. Man sagt die ganze Zeit "intelligente Algorithmen", "intelligente Maschinen" und so weiter. Das heißt, das Aktuelle an dem Stoff ist diese Konstellation. Man denkt, da gibt es eine Trennung zwischen was, was nur wir haben oder was nur Lebewesen haben oder, in dem Fall, was nur der Mensch hat, und dem, was irgendwie sonst vorkommt in der Natur. Und diese Trennung wackelt gerade, denn wenn man zum Beispiel in einen Rechner "2 + 2 = 4" eingibt, und dann jemand sagt, der rechnet das nicht wirklich, der tut nur so, das kommt einem komisch vor. Aber wenn er es wirklich rechnet, dann macht er ja, was wir machen – also, was ist denn da los?
Maschinen als Ersatz
von Billerbeck: Warum setzt aber Ihr modernisierter Frankenstein nicht Körper zusammen, sondern Geist?
Dath: Genau, weil das der Punkt ist. Weil intellektuelle Arbeit im Moment ersetzt wird durch Maschinen. Weil im Moment dieses Gefühl, wir sind die einzigen, die das haben, so erschüttert ist, wie damals das Gefühl erschüttert war, nur Menschen haben Kraft, zum Beispiel. Also nicht nur diese Harnstoffsynthesen-Geschichte ist passiert, sondern es gab ja plötzlich auch diese ganzen Maschinen, die sozusagen Leute arbeitslos machen und dann eben nicht Leute wirklich arbeitslos gemacht haben, sondern viele Leute, die in der Fabrik, die mussten plötzlich mehr arbeiten, nämlich mit der Maschine mithalten, und andere wurden arbeitslos. Und was Ähnliches passiert ja mit all den Dingen, die der Kopf machen kann, im Moment, auf der Ebene dieser Computergeschichten. Und ich glaube, ich bin ihr da sehr treu geblieben, insofern die Frage halt ist, ist das gut, ist das schlecht, oder ist es was Drittes, was weder gut noch schlecht ist.
von Billerbeck: Ihr Frankenstein ist also dabei, eine künstliche Intelligenz und, mehr noch, ein künstliches Bewusstsein zu schaffen?
Dath: Wenn man so will, also wenn er das wirklich tut. Das bleibt dann offen, beziehungsweise im Stück kann man sich sozusagen davon ein Bild machen, ob so was überhaupt geht. Ob das überhaupt die richtige Frage ist, ob man diese Vergleiche überhaupt so ziehen kann.
von Billerbeck: Taugt denn der Mensch überhaupt zum Schöpfer, also dass er sich zum Gott macht? Und taugt der Computer zum Menschen mit Bewusstsein?
Dath: Ich finde diese Vergleiche – der Mensch ist ein Gott, wenn er bestimmte Sachen kann, die in der Natur vorkommen –, ein bisschen gefährlich, weil das macht den Menschen ein bisschen zu groß. Das macht aber auch Gott ein bisschen zu klein. Genauso, wie man sagt, irgendwas ist eine Ersatzreligion, zum Beispiel, die Wissenschaft ist eine Ersatzreligion, das ist weder fair zur Wissenschaft noch zur Religion, weil die Religion ja zum Beispiel darauf besteht, dass man da Sachen glaubt, die eben niemand beweisen und anfassen kann, weil man sie halt glauben muss.
Ich finde es viel interessanter, diese Explosion von Wissen damit zu konfrontieren, dass dadurch, dass wir vieles mehr wissen als früher, können wir auch vieles mehr. Und dann ist die Frage, dürfen wir das. Und da kann man nicht nur in der Religion nachgucken, sondern da müssen wir auch miteinander reden, ob wir das wollen, ob das gut für alle ist, ob das gut für manche ist und so weiter. Und das sind eben genau die Fragen, die sie damals vor 200 Jahren gestellt hat mit ihrem Buch, Mary Shelley mit diesem Buch "Frankenstein".
Ich fand es ganz erstaunlich, dass die Antworten, die sie gibt, viel raffinierter sind, wenn man anfängt, das Stück zu bearbeiten, beziehungsweise den Roman zu bearbeiten, und daraus ein Stück zu machen, als man so in der Erinnerung hat, wenn man nur die Filmversionen kennt oder wenn man nur so oberflächlich im Kopf behalten hat, was da so ungefähr erzählt wird von Mord und Totschlag.
Beherrschung der Natur
von Billerbeck: "Frankenstein oder der moderne Prometheus" hieß ja Mary Shelleys berühmter Roman von 1818 mit vollständigem Titel, und Ihr Bühnenstück heißt auch so. Die Erzählung vom Titan Prometheus, der den Menschen vor den harten Forderungen des Göttervaters Zeus schützen will, der sogar das Feuer am Ende stahl, das göttliche Feuer, ist ja auch so ein Mythos darüber, wie sich Menschen von den Göttern emanzipiert haben und ihre eigene Lebenswelt erschaffen haben. Und auch Doktor Frankenstein will ja den Menschen von Gott befreien, indem er selbst zum Schöpfer wird. Aber er will dann auch beherrschen. Was wäre denn der bessere Weg als Wissenschaft zur Beherrschung der Natur nutzen zu wollen?
Dath: Ich glaube, dass dieses Bild von der Herrschaft über die Natur, das ist halt entstanden, weil unsere Wissenschaft im Absolutismus entstanden ist, also in einer Zeit, wo es eine ganz heftige Herrschaft gab, wo es halt Kaiser gab, wo es Fürsten gab. Und als die Wissenschaftler all die Dinge herausgefunden haben, gab es dann diesen Begriff der Herrschaft über die Natur, der ja aber eigentlich Quatsch ist.
Wenn ich eine Mühle baue, die irgendwelche Naturgesetze ausnutzt, um Kraft zu erzeugen mit dem Wasser, dann beherrsche ich ja nichts. Weil ’beherrschen’ heißt, ich zwinge jemanden, was zu machen, was der vielleicht gar nicht will. Dann habe ich Herrschaft über ihn. Dann breche ich einen anderen Willen oder zwinge meinen Willen einem anderen Willen auf. Das ist Herrschaft. Die Natur hat aber ja so gesehen keinen Willen. Das heißt, da passiert was anderes.
Und die Frage ist, ob wir es schaffen, neue Bilder dafür zu finden, was passiert, wenn wir mit der Natur aufgrund unseres Wissens wirtschaften. Wäre zum Beispiel so was wie Stoffwechsel oder Tausch mit der Natur vielleicht ein besseres Bild als dieses Bild Herrschaft über die Natur. Aber da müssen wir halt drüber reden, und da kann die Kunst mindestens einen sehr großen Beitrag leisten, wenn nicht sogar einen, der die Wissenschaft an einer wichtigen Stelle ergänzt und vielleicht korrigiert.
Tests für Menschen
von Billerbeck: Frankenstein, ich hab es vorhin schon mal gesagt, war der erste Science-Fiction-Roman überhaupt. Und Science Fiction, so haben Sie das neulich mal in einem Interview gesagt, beschäftigt sich mit dem Verhältnis von Wissen können und -dürfen. Und in unserer aktuellen Realität läuft die Forschung an künstlichen Intelligenzen ja bereits ziemlich intensiv. Was sagen Sie? Was wissen, was können und was dürfen wir bei der Erschaffung von künstlichen Intelligenzen? Und was nicht?
Dath: Ich glaube, der Witz ist, dass eine einzelne Person das gar nicht sagen soll und auch gar nicht sagen darf und dass die Frage vielmehr ist, was kosten Sachen? Wenn man fragt, darf ich das, dann fragt man, was kostet das. Und einer der Effekte könnte zum Beispiel sein, der einen dann irgendwie ein bisschen erschrecken könnte, dass so Tests, die irgendwann mal erfunden wurden, als der Alan Turing gesagt hat, wann kann denn eine Maschine denken – na ja, dann, wenn wir glauben, sie ist ein Mensch, wenn sie also mit uns redet und wir sie mit einem Menschen verwechseln – dass diese Tests inzwischen von Maschinen ganz gut sagen wir ausgetrickst werden.
Dass es aber umgekehrt immer mehr Menschen gibt, wenn man zum Beispiel bei der Deutschen Bahn mal mit dem Kundenservice redet oder auch bei irgendwelchen Internetriesen, die diesen Test nicht mehr bestehen. Und du denkst irgendwie: Ist das echt ein Mensch, oder ist das bloß eine Maschine. Das finde ich ziemlich teuer, das finde ich ziemlich schade. Und da muss man mal gucken, ob man irgendwas umlenken muss oder eine Stopp-Taste drücken oder eine Pause-Taste.
von Billerbeck: Zum Nachdenken …
Dath: Vielleicht.
von Billerbeck: Dietmar Dath war das, der die Bühnenfassung von Frankenstein oder der moderne Prometheus nach Mary Shelley geschrieben hat. Regie führt Stefan Pucher, Uraufführung ist heute Abend am Schauspiel Zürich. Und mehr darüber dann heute Abend in unserer Sendung "Fazit". Herr Dath, ich danke Ihnen für das Gespräch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.