Frankensteins Kartoffelköpfe

Von Udo Pollmer |
Eine simple Kartoffel zog die letzten Wochen den Zorn der Öffentlichkeit auf sich: Die Gen-Kartoffel Amflora. Das Risiko lieferten die Campaigner der Umwelt- und Verbraucherschützer gleich mit: Da sei ein Resistenzgen drin und das könne übertragen werden, mit der Folge, dass Tuberkulose nicht mehr therapierbar sei.
Das ist auf seine Weise richtig: Die Amflora, die für den Menschen nicht genießbar ist, trägt ein Resistenzgen gegen das Antibiotikum Kanamycin. Kanamycin wird wie viele andere Antibiotika von Bakterien, genauer gesagt von Streptomyceten produziert. Das geschieht nicht nur in den Fermentern der Pharmaindustrie, sondern überall in freier Natur. Wo Antibiotika sind, bilden sich auch Resistenzen. Egal ob im Krankenhaus oder im Wald. Die Natur ist deshalb voller Resistenzgene.

Wer also einen Waldspaziergang macht oder sich Gemüse aus dem Garten holt, setzt sich Resistenzgenen aus. Wer will, der kann daraus "ungeklärte Risiken" nach Art von Greenpeace konstruieren. Kein Experte der Welt kann garantieren, dass das Horrorszenario nicht eintritt. Was für ein Risiko gehen hier erst Weidetiere ein? Wenn man den Blödsinn weiterdenkt, dann würde die Freilandhaltung von Biotieren viel schneller zum Resistenz-Supergau führen als eine Industrie-Kartoffel. Aber lassen wir das.

Die BASF sagt natürlich, dass dank ihrer Kartoffel die aufwendige Verarbeitung der bisher angebauten Kartoffeln überflüssig wird. Allein in Deutschland werden daraus jährlich 500.000 Tonnen Amylopektin für die chemische Industrie erzeugt – für Leim oder Textilien. Dafür wurden gewaltige Mengen an Wasser und Energie benötigt. In Sachen Ökobilanz ist an der neuen Amflora-Kartoffel nicht zu tippen.

Aber hier fehlt noch ein Aspekt, ein Aspekt auf den Umweltschützer immer wieder hingewiesen haben: Es gäbe nämlich eine Alternative ganz ohne Gentechnik, eine Amylopektin-Kartoffel, die vom Fraunhofer-Institut entwickelt wurde. Die täte es schließlich auch. Gewiss, mit Amflora hätte Landwirt die Wahl und wäre nicht von einem einzigen Anbieter abhängig – die Abhängigkeit der Landwirte wird ja seitens der Gentechnikgegner ständig strapaziert. Viel wichtiger ist etwas anderes: Was hat es mit dieser gentechnikfreien Kartoffel auf sich?

Die Pressemeldung der Fraunhofer-Gesellschaft lautet: "Turbo-Züchtung schafft Super-Kartoffel". Aha – Turbozüchtung, was bitte ist das? Das ist Mutationszüchtung; das ist die klassische Methode, mit der gezüchtet wurde, bevor die Gentechnik kam. Die Züchtung des Gemüses, das wir heute essen, fand damals in den Atomkraftwerken statt. Dabei wurde die Gene in Stücke geschossen in der Hoffnung, dass neue, bisher in der Natur nicht vorhandene Gene erzeugt würden. Bei der Super-Kartoffel vom Fraunhofer-Institut wurde allerdings nicht mit Radioaktivität, sondern mit Gift gearbeitet.

Der Vorteil der Mutationszüchtung gegenüber der Gentechnik ist, dass man damit das ganze Genom umbauen kann, überhaupt kein Vergleich zur überschaubaren Gentechnik. Der Nachteil aber ist die Zeit, die das kostet. Man musste das bestrahlte Saatgut immer wieder auspflanzen, um zu sehen, was man da angestellt hat. Und das Allermeiste, was hier erzeugt wurde, war züchterischer Schrott. Den hat man einfach untergepflügt. Freisetzung nach dem Geschmack der Gentechnikgegner.

Der entscheidende Fortschritt, der den Forschern am Fraunhofer-Institut gelang, ist es, die Mutationszüchtung massiv beschleunigt zu haben. Mittels Gentechnik wurden die Mutanten gescreent. Diese neue Kartoffel ist schlicht die Kombination von Gentechnik mit Mutationszüchtung. Ein technologischer Durchbruch! Egal welche Kartoffel zur Erzeugung von Amylopektin für Klebstoff oder für Blusen bevorzugt wird: Beide Kartoffeln haben eine super Ökobilanz. Mahlzeit!

Literatur
Fraunhofer-Gesellschaft: Turbo-Züchtung schafft Super-Kartoffel. Pressinformation 8.12.2009
Hetzke G: Frankensteins Knolle. Deutschlandfunk vom 7.3.2010
Dantas G et al: Bacteria subsisting on antibiotics. Science 2008; 320: 100-103
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