Frankfurt am Main

Der Anti-Gentrifizierer vom Bahnhofsviertel

Nazim Alemdar, der Besitzer des YokYok
Nazim Alemdar, der Besitzer des YokYok © Deutschlandradio / Matthias Thiel
Von Ludger Fittkau |
Gentrifizierung liegt im Trend. In vielen Stadtvierteln wird die alteingesessene Bevölkerung durch steigende Mieten verdrängt. Auch das ehemals verruchte Bahnhofsviertel in Frankfurt am Main wird zunehmen hip. Der Kioskbesitzer Nazim Alemdar wehrt sich dagegen.
Das blaue T-Shirt über dem stattlichen Bauch, darunter Bluejeans. Die Arme in die Hüfte gestemmt. Ein rundes Gesicht mit einem verschmitzten Lächeln, die Lesebrille auf der Nase. Der aufmerksame Blick geht über den Rand auf die Straße hinaus. Nicht irgendeine Großstadtstraße. Sondern seine. Die Münchener Straße im Bahnhofsviertel von Frankfurt am Main.
Nazim Alemdar ist Mitte 50 und betreibt hier seit einem Jahrzehnt den Kiosk "Yok Yok" .Das ist türkisch und heißt übersetzt: "Geht nicht – gibt’s nicht".
"Wir haben von Damenstrümpfen bis Milch, von Bier bis Bioeiern, Auspuff-Reparatursets, Fahrradreifen-Reparaturkit – ich habe so viele Sachen auch im Keller. Katzenfutter, Hundefutter , immer zwei, drei Stück."
Ich bin ein Frankfurter mit türkischen Wurzeln. So beschreibt sich Nazim Alemdar selbst, während er zwei Limonaden aus dem Kühlschrank nimmt. Seit 35 Jahren lebt er in der Main-Metropole. Doch eigentlich ist es das Bahnhofsviertel und ganz speziell die Münchener Straße, in der er sich heimisch fühlt:
"Dieses Gebiet hat mir das Gefühl gegeben, dass ich mich Frankfurter nenne. Hier war mal fast 70 Prozent Leerstand. Viele Geschäfte hatten keinen Nachwuchs mehr. Und dann haben sich hier Szenen gebildet. Junkie-Szene, Rauschgift, kriminelle Milieus. Und dann haben hier die Türken angefangen, die leeren Läden zu mieten."
Mit den türkischen Lebensmittelläden, den Hinterhofmoscheen und den Döner-Restaurants belebte sich die Straße wieder. Heute ist die Münchener Straße eine der beliebtesten Ausgeh-Meilen der Stadt. Nazim Alemdar ist einer derjenigen, der für diesen Aufschwung mitverantwortlich ist. Darauf ist er stolz.
"Das ist keine Parallelgesellschaft, das ist auch keine Parallelstraße. Das ist nur eine Parallelstraße zur Kaiserstraße, sonst keine Parallelgesellschaft. Weil die Kundschaft, das sind meistens Nicht –Türken."
Viele Altbauten werden luxussaniert
Nazim Alemdar geht voraus in den hinteren Teil seines Kiosks. Er öffnet eine Tür – plötzlich steht man in einer kleinen Kunstgalerie. Fünf oder sechs Gemälde und eine Skulptur finden hier Platz – mehr nicht. Trotzdem veranstaltet Alemdar hier regelmäßig Vernissagen. In einem kleinen Buch, das neben der Kiosk-Kasse liegt hat er festgehalten, wer hier schon ausgestellt hat.
"Zum Beispiel von Clemens Rolff haben wir eine Ausstellung gehabt und von dieser Ausstellung haben wir Postkarten gemacht. Und das ist jetzt eine Achter-Serie. Die kann man kaufen."
Gleich über der Kiosk-Kasse hängt ein Plakat, das vor einer Gentrifizierung des Bahnhofsviertels warnt. Denn jetzt, wo die Straße wiederbelebt ist, kommt die wohlhabende Mittelschicht: Viele Altbauten werden luxusmodernisiert, Banker und IT-Spezialisten ziehen ein. Die türkischen und indischen Ladenbesitzer befürchten steigende Mieten und einen Effekt wie im Frankfurter Westend. Das war einst ein lebendiges Viertel, das heute von Wirtschaftsprüfungsgesellschaften und Kapitalfonds-Verwaltern okkupiert ist. Eine solche Entwicklung will Nazim Alemdar in seiner Straße verhindern:
"Diese teuren Sanierungen bringen nichts. Hier ist ein Mischgebiet, hier passiert immer was. Und hier wird nie ein Westend draus. Und wir wollen auch in Frankfurt kein zweites Westend. Eins reicht. Wie eine Geisterstadt. Und das Bahnhofsviertel wird nie eine Geisterstadt."
Alemdar deutet auf ein Schreibwarengeschäft schräg gegenüber auf der anderen Straßenseite.
"Ich habe hier nie so ausländerfeindliche Tendenzen erlebt. So was gibt es nicht hier. Wir haben ganz gute Geschäftsleute hier. Zum Beispiel Frau Fleischhauer. Dieses Geschäft ist ungefähr 110 Jahre alt, glaube ich. Sie ist mehr als 90 Jahre alt. Heute noch arbeitet sie. Vor 30 oder 32 Jahren habe ich mit ihr das erste Mal gesprochen. Ich habe bei von Papier bis Geschäftsbüchern alles in ihrem Laden gekauft."
Einmal rüber über die Münchener Straße, da steht Kunigunde Fleischhauer an der Ladenkasse:
"Wir haben hier 1902 eröffnet. Und immer im Familienbesitz."
Seit einigen Jahren geht es aufwärts
Seit mehr als 60 Jahren steht Kunigunde Fleischhauer fast jeden Tag im Laden. Sie ist froh darüber, dass es mit Nachbarn wie Nazim Alemdar in der Münchener Straße seit einigen Jahren wieder aufwärts geht.
"Es ist doch schön hier, auch zu leben. Es kommen jetzt ganz viele junge Leute hier in dieses Gebiet, die eine Wohnung suchen. Und das ist sehr schön."
Ein paar Geschäfte weiter – die Schumacherei Lenz. In der Mittagspause strömen die Banker aus den nahe gelegenen Hochhäusern herein, um ein paar Schuhe zur Reparatur abzugeben. Die Punkerin Luisa Grundmann steht hier hinter der Ladentheke und begrüßt ihre sehr unterschiedliche Kunden.
"Wir haben hier wirklich alles. Wir haben die Banker, wir haben die Obdachlosen, die mal einen Druckknopf für ihren Brustbeutel brauchen, wir haben alles. Wirklich. Hausfrauen, Muttis, alles."
Kiosk-Besitzer Nazim Alemdar kennt alle Nachbarn. Schuhmacher Lenz ist für ihn besonders wichtig.
"Der hat mich nie als Ausländer gesehen. Ich habe ihn auch nie als Deutschen gesehen. Einfach von Geschäftsmann zu Geschäftsmann haben wir gesprochen. Und wenn ich Probleme hatte am Anfang schon, da habe ich ihn gefragt und dann hat er gesagt: Ja, machst du so!"
Nazim Alemdar ist glücklich, wenn er mit verschränkten Armen am Stehtisch vor seinem Kiosk steht. "Yok Yok – Geht nicht – gibt’s nicht". Das gilt für fast alles. Doch nicht für die Gentrifizierung. Die geht hier nicht.
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