Frankfurt am Main

Ein Lehrstuhl für die Holocaust-Forschung

Bei der Gedenkveranstaltung vor dem Eingang des Konzentrationslagers Auschwitz ist ein Überlebender des Holocaust auf einer großen Leinwand zu sehen.
Bei der Gedenkveranstaltung vor dem Eingang des Konzentrationslagers Auschwitz ist ein Überlebender des Holocaust auf einer großen Leinwand zu sehen. © afp / Odd Andersen
Von Ludger Fittkau |
Die Goethe-Universität in Frankfurt soll eine Professur für die Erforschung des Holocaust bekommen − die erste in Deutschland überhaupt. Reichlich verspätet reagiert die Hochschule damit auf die Abwanderung des renommierten Historikers Raphael Gross.
Den Anstoß gab ein schmerzlicher Verlust, den Frankfurt am Main zu beklagen hat. Den Verlust von Raphael Gross nämlich. Der Schweizer Historiker leitete knapp ein Jahrzehnt nicht nur das Frankfurter Jüdische Museum, sondern gleichzeitig auch das Fritz-Bauer-Institut an der Goethe-Universität, das sich explizit mit der Forschung zur Geschichte des Holocaust beschäftigt. Raphael Gross war unbestritten eine intellektuelle Bereicherung für Frankfurt am Main. Doch nun geht er nach Leipzig. Auch deswegen, weil die Goethe-Uni ihm keinen festen Lehrstuhl anbot. Das beklagt Jutta Ebeling. Die Grünen-Politikerin war ehemals Bürgermeisterin der Stadt und ist nun Vorsitzende des Fördervereins des Fritz-Bauer-Instituts:
"Ja, zumindest hätte er sich das sehr gründlich überlegt und wir hätten ihn in Frankfurt halten können, der ja allgemeine Reputation genießt. Aber die Universität und Herr Müller-Esterl haben kein Angebot gemacht."
Werner Müller-Esterl war bis Ende 2014 Präsident der Frankfurter Goethe-Universität. Doch nun gibt es mit Birgitta Wolff eine neue Uni-Präsidentin. Sie unterstützt den Plan für die erste Professur zur Holocaust-Forschung in Deutschland persönlich. Ebenso wie das historische Seminar der Uni. Der renommierte Historiker Christoph Cornelißen ist dort für die Neueste Geschichte zuständig. Frühere Bedenken des Instituts, die Holocaust-Professur würde den Historikern der Goethe-Uni durch die Politik aufgedrückt, seien weitgehend ausgeräumt, versichert Cornelißen. Bedingung sei jedoch ein reguläres Berufungsverfahren durch den Fachbereich. Wir erreichen ihn am Telefon in Italien:
"Also das Wichtige dabei ist, dass wir natürlich auch heute bei der jetzt in Frage stehenden, hoffentlich kommenden Professur nicht von außen gewissermaßen eine Platzierung genannt bekommen."
Berufung nach streng akademischem Verfahren
Jetzt versprechen die Verantwortlichen des Fritz-Bauer-Instituts, das die Berufung der ersten deutschen Professur für Holocaust-Forschung streng nach den üblichen akademischen Verfahren verlaufen wird. Jutta Ebeling, die Vorsitzende des Fördervereins des Instituts ist froh darüber, dass die Frankfurter Historiker ihre früheren Widerstände gegen die Integration der Professur in ihr Fach aufgegeben haben:
"Was aus meiner Sicht nicht geht, ist zu sagen, wir siedeln es bei der Kulturwissenschaft an, da gibt es schon eine Judaistik und der Holocaust hat doch irgendwas mit den Juden zu tun. Das packen wir mal zusammen. Das eine hat mit dem anderen überhaupt nichts zu tun. Es ist die Aufgabe der Nachfolger der Tätergeneration, die Erforschung auch der Wirkungsgeschichte bis heute zu unternehmen, und nicht eine Aufgabe der Kulturwissenschaften."
Der Schriftzug "Johann Wolfgang Goethe-Universität" auf dem Campus Westend in Frankfurt am Main über dem Eingang zum Hauptgebäude.
Der Schriftzug "Johann Wolfgang Goethe-Universität" auf dem Campus Westend in Frankfurt am Main über dem Eingang zum Hauptgebäude.© picture alliance / dpa / Frank Rumpenhorst
Klar ist nun: Die Direktorenstelle des Fritz-Bauer-Instituts, die bisher Raphael Gross innehatte, soll finanziell aufgestockt werden. Die Stelle ist künftig mit der ordentlichen Professur für Holocaust-Forschung verknüpft. Die Frankfurter Goethe-Uni stellt jedoch die Bedingung, dass die dafür notwendigen zusätzlichen Mittel vom Land Hessen kommen. Der hessische Wissenschaftsminister Boris Rhein (CDU) signalisiert grünes Licht:
"Nun, wir wollen unbedingt, dass es in Frankfurt einen Holocaust-Lehrstuhl gibt. Es wäre der erste deutschlandweit. Es wäre gerade für die Stadt Frankfurt mit dem Fritz-Bauer-Institut ein wichtiges Alleinstellungsmerkmal. Und insofern will die Landesregierung das nach Kräften unterstützen."
"Das wird wirklich wegweisend werden"
Boris Rhein ist seit etwas mehr als einem Jahr im Amt des hessischen Wissenschaftsministers. Er glaubt: Die Goethe-Universität in Frankfurt am Main mit dem nach Fritz Bauer benannten Geschichtsinstitut ist der ideale Platz für eine Holocaust-Professur. Fritz Bauer widmete sich als jüdischer Rückkehrer nach dem Krieg dem Aufbau des Rechtssystems in Westdeutschland nach 1945. Als hessischer Generalstaatsanwalt hat er den Frankfurter Auschwitz-Prozess angestoßen.
Für ihn sei es überraschend gewesen, dass es bisher in Deutschland keinen einzigen Lehrstuhl gibt, der explizit der Holocaust-Forschung gewidmet ist, so der hessische Wissenschaftsminister:
"Hat mich auch gewundert, als ich das Amt antrat, und wir damals schon die Idee formuliert haben, etwas draus zu machen. Etwas noch Größeres draus zu machen, als es derzeit ist. Aber wie gesagt: Wenn irgendwo in Deutschland dann in Frankfurt. Mit dieser Geschichte. Fritz Bauer und Fritz-Bauer-Institut. Ich glaube, das wird wirklich wegweisend werden."
Wer weiß: Vielleicht kann man ja sogar Raphael Gross wieder von Leipzig nach Frankfurt am Main zurücklocken. In gut einem Jahr werden wir es wissen. Dann soll die neue Professur besetzt sein.
Raphael Gross
Der ehemalige Direktor des Fritz-Bauer-Instituts in Frankfurt, Raphael Gross, lehrt seit 2015 in Leipzig.© picture alliance / dpa / Fredrik Von Erichsen
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