Eine einzige Erfolgsgeschichte
Das Goethehaus in Frankfurt ist ein Publikumsmagnet für Touristen aus aller Welt. Kaum jemand ahnt allerdings, dass es sich dabei nicht um ein historisch authentisches Gebäude handelt, sondern um eine Rekonstruktion. Das Original wurde 1944 während des Krieges zerstört. Die Grundsteinlegung fand am 5. Juli 1947 statt.
Eine der vielen Attraktionen des Frankfurter Goethehauses ist die astronomische Uhr, die Johann Wolfgang Goethe beim Hofrat Wilhelm Friedrich Hüsgen immer bewundert hatte. Er beschreibt sie in "Dichtung und Wahrheit" als "für damalige Zeiten wenigstens wundersame Uhr, welche neben den Stunden auch die Bewegungen von Sonne und Mond anzeigte."
Sie hatte nie im Vorsaal des zweiten Stocks gestanden, sondern kam 1933 ins Goethehaus. Und so ist es mit vielen Dingen in diesem Geburtshaus des großen Frankfurter Dichters: Es sind Möbel und Gegenstände aus der Zeit Goethes, sie sollen Atmosphäre und Stimmung von damals wiedergeben.
Bei einem Bombenangriff zerstört
Als am 22. März 1944 das Haus bei einem Bombenangriff in Schutt und Asche sank, schien ein unersetzliches Erbe verloren. Die Pläne zum Wiederaufbau lösten nach Kriegsende eine heftige Diskussion aus: Sollte es eine Rekonstruktion geben oder eine Erinnerungsstätte in moderner Architektur? Der Philosoph Karl Jaspers, der 1947 den Goethepreis der Stadt Frankfurt erhielt, machte sich stark für einen Wiederaufbau, als Chance einer zukunftsgerichteten Erinnerung:
"Es wird nicht mehr das alte Haus sein, denn die Alte Welt ist endgültig verloren ... Es wird eine Imitation sein. Unsere Erinnerung wird durch die Zeit getragen wie ein Modell."
Plädoyer für eine Modellvorstellung für historische Erinnerung
Als am 5. Juli 1947 mit einer Festrede von André Gide und Jugendvertretern aus aller Welt der Grundstein für einen Wiederaufbau des Goethehauses gelegt wurde, war dies auch ein Plädoyer für eine solche Modellvorstellung historischen Erinnerns.
Das von Goethes Großmutter gekaufte Ensemble von zwei Fachwerkhäusern war von Goethes Vater im Jahr 1755 einem weitgehenden Um- und Neubau unterzogen worden. Der sechsjährige Johann Wolfgang erlebte die Verwandlung der ehemals düsteren Fachwerkhäuser in ein stattliches Bürgerhaus mit 18 Zimmern und barockem Treppenhaus.
Dort wuchs er zum Dichter heran, bis er im Jahr 1775 schließlich nach Weimar ging. Nach Verkauf des Hauses durch Goethes Mutter machte es noch einige Metamorphosen durch, ehe es 1863 schließlich vom Freien Deutschen Hochstift durch Spendengelder erworben und historisch rückgebaut wurde. 1947 jedenfalls wurde in heftigen Diskussionen gefragt, ob ein Wiederaufbau überhaupt möglich oder eher eine sentimentale Fälschung sein würde. Joachim Seng, Bibliothekar des Freien Deutschen Hochstifts, Träger des Goethehauses:
"Die Zerstörung des Goethehauses war befürchtet worden, mit Kriegsbeginn sind bestimmte Gegenstände sukzessive aus dem Goethehaus in Lager gebracht worden ... Dazu gehörten die Gemälde, ... die Einrichtung und eben andere Dinge, auch die Stuckaturen, die Türgriffe, ... alles wurde abgezeichnet von Städelschülern, sodass eben der Wiederaufbau, der originalgetreue, auch möglich war."
Auftakt einer Debatte
So ist nicht nur die Gemäldesammlung von Goethes Vater in einer Hängung dicht an dicht rekonstruiert worden, wobei auch die schwarzen Rahmungen nebst goldenen Leisten die ursprüngliche Anmutung wiedergeben. Auch Goethes Arbeitszimmer ist durch Petra Maisak, langjährige Leiterin des Goethehauses und Goethemuseums, anhand einer Federzeichnung des Dichters wiederhergestellt worden.
"Der Raum, der natürlich am dichtesten an Goethe dran ist, ist das Arbeitszimmer im dritten Stock, und dieses Schreibpult ist so schlicht, so faszinierend, dass man sich vorstellen könnte, es ist wirklich das Pult, an dem Goethe stand und schrieb, und in diesem Raum am Werther gearbeitet hat, am "Urfaust", sodass sich die Atmosphäre des jungen Goethe da doch sehr stark verdichtet."
Der Wiederaufbau dieser Erinnerungsstätte war der Auftakt einer Frankfurter Debatte, wie mit historischem Erbe umzugehen sei.
"Ja, vielleicht ist das Goethehaus ein gutes Beispiel dafür, dass die Fantasie eben manchmal auch Illusionsräume braucht, um sich entfalten zu können."
Das Goethehaus jedenfalls, so Joachim Seng, hat sich als eine einzige Erfolgsgeschichte erwiesen.