Frankfurter Ökonom: "Putins Regime bleibt die beste von den schlechten Lösungen"

Alexander Libman im Gespräch mit Jörg Degenhardt |
Der Ökonom Alexander Libman hält die Rückkehr Wladimir Putins an die Spitze Russlands für alternativlos. "Es gibt einfach keine funktionsfähige Alternative unter der Opposition", sagte Libman, Professor für Internationale Politische Ökonomie von der Frankfurt School of Finance & Managment.
Jörg Degenhardt: Wladimir Putin gibt sich siegessicher. Der russische Ministerpräsident will morgen bei der Präsidentenwahl die Nase vorn haben. Selbst die Proteste gegen ihn und seine Partei Einiges Russland können ihn nicht irritieren, und auch das Ausland geht wohl in der Mehrzahl davon aus, dass er den Präsidentenjahren von 2000 bis 2008 weitere hinzufügen kann. Ex-Bundeskanzler Schröder, der Putin-Freund, wäre darüber gewiss nicht traurig, und die deutsche Wirtschaft ebenso wenig. Ich habe mit Alexander Libman gesprochen, Professor für internationale politische Ökonomie an der Frankfurt School of Finance and Management. Wäre die Wahl Putins für die deutsche Wirtschaft ein gutes Signal oder wird der Einfluss des Staatsoberhauptes auf die Geschäfte der Unternehmen überschätzt?

Alexander Libman: Zunächst mal würde ich behaupten, dass der Einfluss des Staatsoberhauptes auf die Geschäfte der deutschen Unternehmen eher überschätzt ist, weil – das muss man auch klar verstehen – Putin war nie von der Machtspitze weg. Auch im Laufe der vergangenen vier Jahre, als er formal als Ministerpräsident tätig war, war er trotzdem die Person, die Entscheidungen getroffen hat. Deswegen hat man auch keine bedeutenden Veränderungen zu erwarten – zumindest in den kommenden Jahren.

Degenhardt: Aber kann es der deutschen Wirtschaft zum Beispiel egal sein, ob Putin bei der Wahl vielleicht auch mit dem Vorwurf der Fälschung oder der Manipulation konfrontiert wird?

Libman: Das ist etwas anderes, und da könnte man tatsächlich unterschiedliche Effekte betrachten, die aber für die deutsche Wirtschaft zum Teil negativ, aber zum Teil auch positiv sein können. Auf der negativen Seite ist natürlich das, dass die Wirtschaft, dass die deutsche Wirtschaft wie alle ausländischen Investoren wirtschaftliche und politische Stabilität braucht, um ihre Tätigkeit durchzuführen, und die Stabilität in Russland ist heute mehr oder weniger die Fortsetzung vom Putin-System. Es gibt einfach keine funktionsfähige Alternative unter der Opposition, was sicherlich zum Teil auch sozusagen ein Verdienst dessen ist, was Putin selbst gemacht hat in dem letzten Jahrzehnt. Und das ist natürlich schlecht für die ausländischen Investoren. Was allerdings positiv ist, ist, dass die russische Regierung offensichtlich auf die Proteste, wie es zum Beispiel bei den Parlamentswahlen im Dezember war, eher konstruktiv reagiert und versucht, gewisse Veränderungen durchzuführen. Und diese Veränderungen könnten für die ausländischen Investoren zum Teil die Rahmenbedingungen in Russland etwas verbessern.

Degenhardt: Das heißt, Sie gehen davon aus, dass wenn Putin die Wahl gewinnt, er versuchen wird, einen Dialog zu beginnen mit seinen Gegnern, und nicht eher einen härteren Kurs einschlägt?

Libman: So sieht es zumindest jetzt aus. Es ist wirklich schwierig, eine Aussage zu machen, was eine Person entscheiden wird – und das ist jetzt in Russland so –, aber so lange war die Reaktion eher die eines Dialogs und einer Einbindung als die einer harten Entscheidung.

Degenhardt: Sie haben auf die politische Stabilität abgehoben, die es auch in den letzten Jahren gab, auch unter Medwedew. Ist die denn in der Tat noch so wichtig für Investoren, zählt nicht anderes mehr, zum Beispiel die Liquidität, aber auch ob Rohstoffe in dem Land vorhanden sind?

Libman: Das ist natürlich eine gute Frage. Ich glaube nicht, dass es im russischen Fall eher um strukturelle Begrenzungen zu ausländischen Investoren gehen kann. Der Markt ist groß, ist permanent wachsend, weil die Einkommen im Land immer wachsen und auch die Rohstoffe und zum Teil auch die Arbeitskräfte im Land durchaus attraktiv sind. Es gibt aber andere Probleme, die natürlich die Kehrseite der Stabilität sind: Das ist sehr hoher Bürokratiedruck und sehr unfreundliches Investitionsklima. Das auch ist etwas, worüber die ausländischen Investoren systematisch negative Aussagen machen, und das ist ein wirkliches, sehr großes Problem. Vor allem Korruption. Korruption hat sich in Russland in dem letzten Jahrzehnt nach konservativen Schätzungen verdoppelt – würde ich so sagen. Ich glaube allerdings, dass es heute keine tatsächlich attraktivere Alternative gibt, und auf diese Weise bleibt Putins Regime doch das Beste von den schlechten Lösungen.

Degenhardt: Für wen ist denn diese Lösung gut, nur für die großen deutschen Unternehmen oder etwa auch für den deutschen Mittelstand? Der könnte ja vielleicht am ehesten an dem verzweifeln, was Sie Bürokratie genannt haben, auch an der Korruption oder vielleicht auch an gewissen Zollbarrieren.

Libman: Das ist absolut richtig. Ich glaube, für die Großunternehmen ist die Stabilität sowieso wichtiger als die beliebigen formalen Institutionen, weil einfach die Großunternehmen einen wesentlich besseren Zugang zu den Entscheidungsträgern haben. Und für den Mittelstand sind die Institutionen wirklich entscheidende Barriere. Zollhemmnisse haben Sie genannt, sie werden sich aber jetzt verbessern, weil Russland letztendlich Mitglied von Welthandelsorganisationen geworden ist, Korruption bleibt ein bedeutendes Problem, die Sache ist allerdings nur, wenn die Destabilisierung passiert, dann wird auch der Mittelstand darunter sehr stark leiden. In Russland bedeutet Destabilisierung zum Beispiel immer, dass es sehr unterschiedliche Reaktionen auf regionaler Ebene geben wird, und wenn Sie mit einem deutschen Investor sprechen, der in Russland tätig ist, dann werden Sie sofort hören, es ist in Russland wirklich entscheidend, wie die regionalen Entscheidungsträger reagieren und wie das regionale Wirtschaftsklima aussieht. Und da kann es ziemlich unangenehme Konsequenzen haben. Also ich würde sagen, selbst für den Mittelstand ist Stabilität – so, wie es sie heute gibt – eher die bessere Lösung, aber wiederum die bessere von vielen schlechten.

Degenhardt: Herr Libman, dann wagen Sie mal eine Prognose – wie werden sich die Geschäfte in nächster Zukunft entwickeln? Auch deswegen gut, weil Russland bekanntlich nicht zum Euroraum gehört und dadurch auch nicht von der Eurokrise betroffen ist?

Libman: Russland ist definitiv von der Eurokrise betroffen, ebenso wie die ganze Welt. Die Europäische Union und insbesondere Deutschland sind ja unter den wichtigsten Handelspartnern, unter den wichtigsten Investitionsquellen für Russland. Ich würde sagen, die Entwicklung der deutsch-russischen Wirtschaftsbeziehungen wird von Sicht der Veränderungen in Russland jetzt kaum negativ beeinflusst. Es wächst vielleicht nicht so schnell, wie es unter besseren Bedingungen wachsen könnte, aber da würde ich keine starken negativen Einflussfaktoren erwarten.

Degenhardt: Welche Unternehmen werden denn von dieser Entwicklung, die Sie gerade kurz skizziert haben, besonders profitieren?

Libman: Ich glaube, in dem letzten Jahrzehnt haben wirklich ganz unterschiedliche Wirtschaftsbranchen in Russland sich aktiv durchgesetzt. Ein Beispiel, wo vielleicht die Wachstumsraten wirklich enorm waren, war Retail Trade, Einzelhandel. Da haben sich zum Teil die deutschen Investoren sehr aktiv in Russland mit dem russischen Markt beschäftigt und haben auch sehr viel erreicht. Aber ich würde sagen, es ist natürlich nicht nur darauf begrenzt, ich würde vermuten, dass es auch für einige Produktions- oder Dienstleistungsunternehmen infrage kommen würde.

Degenhardt: Deutsche Firmen machen gute Geschäfte in Russland. Der Ausgang der Präsidentenwahl morgen wird daran wenig bis nichts ändern, eher im Gegenteil. Das war Professor Alexander Libman von der Frankfurt School of Finance and Management. Vielen Dank, Herr Libman, für das Gespräch!

Libman: Vielen Dank!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.