„Der Fall der in Afghanistan verbliebenen Schüler der Hostatoschule Frankfurt ist uns bekannt. Leider bleiben uns nach Ende der Evakuierungsmission und durch die Schließung der Botschaft in Kabul nur wenige Möglichkeiten, afghanische Staatsangehörige mit deutschem Aufenthaltstitel insbesondere bei der Ausreise aus Afghanistan zu unterstützen. Die Risikoabwägung, sich beispielweise über den Landweg in einen Nachbarstaat zu begeben, müssen die Betroffenen in Abhängigkeit von der aktuellen Sicherheitslage und den persönlichen Umständen individuell treffen. Nach unseren Erkenntnissen erteilen zumindest derzeit die Auslandsvertretungen Pakistans und Irans Visa zur Einreise. Von dort ist eine Weiterreise nach Deutschland möglich.“
Stellungnahme des Auswärtigen Amtes gegenüber dem Deutschlandfunk.
Frankfurter Schüler sitzt in Afghanistan fest
06:00 Minuten
Neun Schülerinnen und Schüler aus Frankfurt am Main steckten nach den Schulferien bei Verwandten in Afghanistan fest. Der Vormarsch der Taliban kam überraschend. Acht sind mittlerweile wieder zu Hause. Die Schule versucht, auch dem Letzten zu helfen.
Das selbst gemalte Transparent hängt auch heute Morgen noch an der Fassade der Hostatoschule in Frankfurt-Höchst. Die Aufschrift: Wir wollen unsere Schülerinnen und Schüler aus Afghanistan zurück!
„Die sind noch nicht alle da. Und wir haben heute darüber gesprochen, dass wir das Transparent unbedingt ändern wollen. Die Schülervertretung ist da auch dran. Wir wollen schreiben, einer fehlt noch", sagt Margarete Magiera.
Kontakt über verschiedene Handynummern
Magiera ist von der Caritas als Theaterpädagogin an der Schule eingesetzt und kümmert sich seit Monaten um insgesamt neun aktuelle und ehemalige Schülerinnen und Schüler der Hauptschule. Sie haben alle eine afghanische Migrationsgeschichte, saßen nach dem schnellen Vormarsch der Taliban seit dem Sommer bei Verwandten fest:
„Ein Schüler aus der achten Klasse ist immer noch in Afghanistan. Der Kontakt zu ihm läuft relativ sporadisch über die Klassenleitung - über vier verschiedene Handynummern. Der Schüler ist bei seiner Familie. Aber viel hören wir nicht, außer dass es ihm gut geht.“
Magiera hofft, dass der Schüler demnächst einen Weg findet, aus Afghanistan wieder zurück nach Frankfurt am Main zu kommen. Die Schule erwartete Hilfe vom Auswärtigen Amt in Berlin. Dort will niemand vor dem Mikrofon zu dem Fall Stellung nehmen. Schriftlich bekommt der Deutschlandfunk folgende Mitteilung:
Den Weg über Pakistan wählten tatsächlich einige Schülerinnen der Hostatoschule in Frankfurt am Main mit ihren Familien, um nach der Machtübernahme der Taliban aus Afghanistan herauszukommen. Doch dieser Weg war beschwerlich. Mehrmals wurden die Familien an der Grenze zurückgewiesen und mussten nach Kabul zurückfahren, bevor es dann doch mit der Ausreise klappte.
Das erste Mal Krieg erlebt
„Ich heiße Alena und komme aus der Hostato-Schule."
"Ich bin Sherin."
"Und ich bin Leila und komme auch aus der Hostatoschule.“
"Ich bin Sherin."
"Und ich bin Leila und komme auch aus der Hostatoschule.“
Alena, Sherin und Leila – das sind nicht die richtigen Namen der Gesprächspartnerinnen. Sie wollen unerkannt bleiben, weil ein Teil ihrer Familie noch in Afghanistan lebt. Auch diese drei Jugendlichen besuchen die Hostatoschule. Sie sind nach mehrmonatiger Odyssee inzwischen wieder zurück in Frankfurt am Main und schildern, wie sie die Flucht vor den Taliban erlebt haben.
„In der Nacht sind mehrmals Bomben geplatzt, und wir waren geschockt. Für mich war das das erste Mal, eine Bombe gehört zu haben - und so in der Nähe. Wir sind nicht zum Flughafen gegangen, weil die uns gesagt haben, dass wir zu Hause bleiben sollen.“
„Und da sind schon sehr viele Ängste bei uns aufgetaucht. Aber worum es genau geht, das wussten wir erstmal nicht.“
„Wir sind schon sehr oft nach Afghanistan geflogen. Aber wie gesagt, das war das erste Mal, dass wir einen richtigen Krieg miterlebt haben. Aber für die Leute da - also für meine Verwandten - ist das Normalität. Die haben gesagt, es gibt noch Schlimmeres. Und für uns war das natürlich das Schlimmste, weil wir so etwas noch nie gesehen haben, noch nie Erfahrungen damit hatten.“
Mit dem Auto nach Pakistan
Per E-Mail habe das Auswärtige Amt in Berlin zu ihren Familien Kontakt aufgenommen, während sie in Afghanistan festsaßen, berichten zwei der Schülerinnen. Man habe ihnen mitgeteilt, dass man sie nach Katar ausfliegen werde. Die dritte Schülerin begab sich mit ihrer Familie per Auto auf den Fluchtweg in Richtung Pakistan:
„Meine Familie hat sich spontan dazu entschieden, nach Pakistan zu fahren. Wir haben gemerkt, die Lage wird immer schlimmer. Wir haben eine Liste bekommen, also eine Bestätigung, dass wir nach Pakistan dürfen. Und als wir an der Grenze angekommen sind, haben wir die Liste gezeigt und gesagt, dass wir durch dürfen. Und nur mit der Liste konnte man nach Pakistan fahren, also rübergehen. Und da hat auch kein Visum oder der deutsche Pass geholfen, sondern nur die Liste und ein pakistanischer Pass. Und da sind wir rübergefahren und waren noch zwei Wochen dort.“
Insgesamt habe es zwei Monate gedauert, bis sie wieder zu Hause waren, schildern die jungen Frankfurterinnen. Ein ehemaliger Mitschüler hat demnächst wohl die Chance, direkt aus Kabul zurückzufliegen, berichtet die Caritas-Theaterpädagogin Margarete Magiera:
„Er hat mir gestern geschrieben, dass er jetzt Tickets von Kabul nach Frankfurt hat. Am 21.12. kommt er mit seiner großen Schwester. Da freut sich die Familie natürlich sehr. Ich hatte neulich mit dem Vater gesprochen. Er meinte, dass sie die großen Kinder jeden Tag vermissen. Der Schüler kommt anscheinend aus Kabul direkt raus. Also ich habe auch mit dem Auswärtigen Amt noch mal telefoniert, und die sagten, einmal in der Woche gibt es ein Flugzeug. Da kommen so ungefähr 300 Leute rein. Aber es sind ja Tausende, die noch raus wollen, deswegen gebe einen Stau.“
Alena, Shirin und Leila wollen trotz der Probleme, die ihre Mitschüler immer noch mit der Ausreise haben, irgendwann wieder Afghanistan besuchen – trotz der erschreckenden Kriegseindrücke, die sie noch verarbeiten müssen:
„Ich habe dort auch viel Verwandtschaft und glaube: Nur wegen dieses Krieges kann man die Verwandtschaft dort nicht einfach zurücklassen. Irgendwann mal muss man ja auch mal wieder dort hingehen und vielleicht nachfragen, wie es denen geht.“