Zwei Kandidaten, ein Schock
Emmanuel Macron und Marine Le Pen haben es in Frankreich in den zweiten Wahlgang geschafft. Der Erfolg Le Pens beschäftigt nun Europa - was bedeutet es, wenn über ein Fünftel der Franzosen stramm rechts wählt? Seine Landsleute seien desorientiert, meint der Geograf und Sozialwissenschaftler Boris Grésillon.
Der Ausgang der Wahl in Frankreich ist für den Geografen und Sozialwissenschaftler Boris Grésillon ein "Schock". Dass Marine Le Pen es in den zweiten Wahlgang geschafft habe, bedeute, dass es Frankreich schlecht gehe, sagte er im Deutschlandradio Kultur. Die Franzosen seien desorientiert.
Seit 30 Jahren punktet der Front National gegen das System
Grésillon zog Parallelen zu der Situation in den USA unter Donald Trump. So wie dieser "America first" sage, könne das Le Pen-Motto "Frankreich zuerst" lauten. Seit rund 30 Jahren punkte der Front National gegen das System und gegen alles, was in den Augen der Partei nicht französisch sei, so der Wissenschaftlicher. Der Kern der Partei stehe für Rassismus.
Macron stehe hingegen für ein offenes Frankreich und ein offenes Europa, betonte Grésillon. Er sage aber nicht, wie man zu einem besseren Frankreich komme. Grésillon forderte, das Denken in Unterschieden aufzugeben und den Versuch zu machen, Arme, Migranten und Le Pen-Wähler zu verstehen: "Die sind ein Teil von uns", so der Experte für soziale und kulturelle Stadtentwicklung.
Politologe Ménudier: Macron wird das System erneuern
Der französische Politologe Henri Ménudier sprach in einem weiteren Interview im Deutschlandradio Kultur von "Erleichterung und Freude": Macron werde das politische System in Frankreich erneuern, sagte er. Dass Le Pen im zweiten Wahlgang zur Präsidentin gewählt wird, hält Ménudier für ausgeschlossen. Ihre Reserven seien sehr klein, keine andere Partei werde sie unterstützen. Für die etablierten Parteien ist das Erebnis dem Politologen zufolge eine Katastrophe.
Literaturwissenschaftler Ritte: Die Mitte hat gewonnen
Der Literaturwissenschaftler Jürgen Ritte von der Sorbonne in Paris sieht den zweiten Wahlgang hingegen noch nicht als endgültig entschieden an. Dem Deutschlandradio Kultur sagte er, Macron habe "sehr viel, was verführt", aber wenig an Programm. In diese Kerbe werde Le Pen die nächsten zwei Wochen hauen.
Das Besondere an der Wahl ist für Ritte, dass sich mit Macron ein "Mann der Mitte" durchgesetzt hat, der sich zwischen Sozialisten und Konservativen bewegt. Das sei "etwas ganz Neues", so der Literaturwissenschaftler - und könne dazu führen, dass Frankreich aus dem politischen "Block-Denken" herauskomme.
Dass sich Schriftsteller und andere Kulturschaffende weitgehend bedeckt im Wahlkampf gehalten haben, erklärte Ritte damit, "dass im klassischen Angebot nichts vorhanden war, mit dem man sich hätte identifizieren können, ohne sich selbst vielleicht zu kompromittieren". François Fillon habe bis zum Hals in Korruptionsaffären gesteckt, und auch die Sozialisten hätten sich "selbst versenkt". (ahe)