Frankreich im Mai 1968
"Wenn Frankreich sich langweilt" - unter diesem Titel erschien am 15. März 1968 ein berühmt gewordener Artikel in "Le Monde". Da war zu lesen, in Spanien und in Deutschland, in Japan und sogar in Polen würden die Studenten demonstrieren, aktiv sein, kämpfen. Die französischen Studenten aber beschäftigten sich mit der Frage, ob die Mädchen der Universität Nanterre die Schlafräume der Jungen betreten dürften.
Das sei doch eine recht eingeschränkte Auffassung der Menschenrechte. Die Jugend langweile sich, hieß es. Und der Artikel endete mit der Warnung, ein Land könne auch umkommen vor Langeweile. - Mit der war es allerdings schnell vorbei.
Am Anfang steht eine Petitesse. Die Studenten der noch jungen Universität Nanterre – gelegen in einem tristen Pariser Vorort – empören sich über die nach Geschlechtern getrennten Schlafräume. Es geht eher um Soziales als um Politisches, erinnert sich ein früherer Aktivist der Studentengewerkschaft UNEF:
"Das war nicht maoist(isch) oder anarchistisch, das war für Freiheit, eine größere Freiheit der Verbindung zwischen Studentinnen und Studenten, zwischen Professoren und Studenten, zwischen Institutionen und Leuten und so weiter. Und es ist auch bedeutenswert, dass die Bewegung mit solchen Forderungen angefangen hat."
... und mit der größten Streikbewegung im Europa des 20. Jahrhunderts endet. – Aber von vorn:
22. März: Rund 140 Studierende der Universität Nanterre besetzen das Verwaltungsgebäude; es folgen wochenlange Diskussionen, Demonstrationen, gestörte Lehrveranstaltungen.
2. Mai: Die Universität Nanterre wird von den Behörden wegen der fortgesetzten Unruhen geschlossen. Am
3. Mai besetzen Studenten Räume der Sorbonne im Herzen von Paris. Die Polizei setzt Tränengas ein, nimmt 200 Studierende fest. Es kommt zu andauernden Unruhen im Quartier Latin.
Radio-Reportage: "Die Tränengaswolken machen das Atmen unmöglich und die Polizisten schlagen mit Knüppeln drein. Vorsicht, da fliegt ein Stein! Die Studenten versuchen jetzt einen deux chevaux umzuwerfen."
Die Studenten errichten mitten im Universitätsviertel über 60 Barrikaden. In der Nacht vom 10. auf den 11. Mai, der berühmten "Nacht der Barrikaden", beginnt die Polizei zu räumen. Die Protestierer setzen Autos in Brand, fällen Platanen, reißen das Pflaster auf – denn unter dem liegt bekanntlich der Strand.
Radio-Reportage: "Anwohner versuchen die Feuer zu löschen und schütten Wasser aus ihren Fenstern auf die brennenden Barrikaden. Die Polizei stürmt die letzte Barrikade! Die Studenten fliehen. Der Polizeieinsatz ist massiv, der ganze Straßenzug wird in diesem Augenblick zurückerobert."
Es gibt Hunderte Verletzte, 460 Studenten nimmt die Polizei fest. Zum Erstaunen Vieler sympathisieren die Franzosen mit den Studenten und nicht mit der Polizei.
Am 13. Mai demonstrieren Hunderttausende in Paris. Eine Welle wilder Streiks beginnt. Im ganzen Land besetzen Arbeiter Fabriken.
Am 20. Mai sind – die Angaben schwanken – zwischen sieben und zehn Millionen Franzosen im Streik. Busse und Bahnen fahren nicht, es gibt weder Post noch Telefon, kein Benzin und keine Müllabfuhr, die Schulen sind geschlossen.
Ministerpräsident Georges Pompidou handelt am 25. und 26. Mai mit Gewerkschaften und Unternehmensverbänden kräftige Lohnerhöhungen aus. Die Gewerkschaftsfunktionäre sind zufrieden, die Arbeiter nicht. Viele Fabriken werden weiter bestreikt.
30. Mai: Präsident de Gaulle wendet sich über Radio und Fernsehen an die "Französinnen und Franzosen":
"Ich habe meinen Entschluss gefasst: Ich werde mich unter den gegebenen Umständen nicht zurückziehen. Mit dem heutigen Tag löse ich die Nationalversammlung auf. Gleichzeitig rufe ich die Bürger dazu auf zu entscheiden, ob ich ihr Vertrauen habe oder nicht."
Eine Stunde nach dieser Ansprache versammeln sich hunderttausende Anhänger de Gaulles auf der Place de la Concorde und ziehen die Champs-Elysées hinauf, zum Triumphbogen.
Fini Mai 1968. - Bei den Parlamentswahlen einen Monat später erringen die Gaullisten die absolute Mehrheit.
Beitrag zum Nachhören (MP3-Audio)
Am Anfang steht eine Petitesse. Die Studenten der noch jungen Universität Nanterre – gelegen in einem tristen Pariser Vorort – empören sich über die nach Geschlechtern getrennten Schlafräume. Es geht eher um Soziales als um Politisches, erinnert sich ein früherer Aktivist der Studentengewerkschaft UNEF:
"Das war nicht maoist(isch) oder anarchistisch, das war für Freiheit, eine größere Freiheit der Verbindung zwischen Studentinnen und Studenten, zwischen Professoren und Studenten, zwischen Institutionen und Leuten und so weiter. Und es ist auch bedeutenswert, dass die Bewegung mit solchen Forderungen angefangen hat."
... und mit der größten Streikbewegung im Europa des 20. Jahrhunderts endet. – Aber von vorn:
22. März: Rund 140 Studierende der Universität Nanterre besetzen das Verwaltungsgebäude; es folgen wochenlange Diskussionen, Demonstrationen, gestörte Lehrveranstaltungen.
2. Mai: Die Universität Nanterre wird von den Behörden wegen der fortgesetzten Unruhen geschlossen. Am
3. Mai besetzen Studenten Räume der Sorbonne im Herzen von Paris. Die Polizei setzt Tränengas ein, nimmt 200 Studierende fest. Es kommt zu andauernden Unruhen im Quartier Latin.
Radio-Reportage: "Die Tränengaswolken machen das Atmen unmöglich und die Polizisten schlagen mit Knüppeln drein. Vorsicht, da fliegt ein Stein! Die Studenten versuchen jetzt einen deux chevaux umzuwerfen."
Die Studenten errichten mitten im Universitätsviertel über 60 Barrikaden. In der Nacht vom 10. auf den 11. Mai, der berühmten "Nacht der Barrikaden", beginnt die Polizei zu räumen. Die Protestierer setzen Autos in Brand, fällen Platanen, reißen das Pflaster auf – denn unter dem liegt bekanntlich der Strand.
Radio-Reportage: "Anwohner versuchen die Feuer zu löschen und schütten Wasser aus ihren Fenstern auf die brennenden Barrikaden. Die Polizei stürmt die letzte Barrikade! Die Studenten fliehen. Der Polizeieinsatz ist massiv, der ganze Straßenzug wird in diesem Augenblick zurückerobert."
Es gibt Hunderte Verletzte, 460 Studenten nimmt die Polizei fest. Zum Erstaunen Vieler sympathisieren die Franzosen mit den Studenten und nicht mit der Polizei.
Am 13. Mai demonstrieren Hunderttausende in Paris. Eine Welle wilder Streiks beginnt. Im ganzen Land besetzen Arbeiter Fabriken.
Am 20. Mai sind – die Angaben schwanken – zwischen sieben und zehn Millionen Franzosen im Streik. Busse und Bahnen fahren nicht, es gibt weder Post noch Telefon, kein Benzin und keine Müllabfuhr, die Schulen sind geschlossen.
Ministerpräsident Georges Pompidou handelt am 25. und 26. Mai mit Gewerkschaften und Unternehmensverbänden kräftige Lohnerhöhungen aus. Die Gewerkschaftsfunktionäre sind zufrieden, die Arbeiter nicht. Viele Fabriken werden weiter bestreikt.
30. Mai: Präsident de Gaulle wendet sich über Radio und Fernsehen an die "Französinnen und Franzosen":
"Ich habe meinen Entschluss gefasst: Ich werde mich unter den gegebenen Umständen nicht zurückziehen. Mit dem heutigen Tag löse ich die Nationalversammlung auf. Gleichzeitig rufe ich die Bürger dazu auf zu entscheiden, ob ich ihr Vertrauen habe oder nicht."
Eine Stunde nach dieser Ansprache versammeln sich hunderttausende Anhänger de Gaulles auf der Place de la Concorde und ziehen die Champs-Elysées hinauf, zum Triumphbogen.
Fini Mai 1968. - Bei den Parlamentswahlen einen Monat später erringen die Gaullisten die absolute Mehrheit.
Beitrag zum Nachhören (MP3-Audio)