Frankreich

Kulturschaffende engagieren sich für Flüchtlinge

Der französische Chansonnier Charles Aznavour bei einem Auftritt am 7.5.2015 im Sportpalast in Madrid, Spanien
Der Chansonnier Charles Aznavour versucht, den Franzosen ins Gewissen zu reden. © picture-alliance / dpa / Luca Piergiovanni
Von Änne Seidel |
Er spricht von einer Pflicht der Franzosen: Seit Monaten setzt sich der Sänger Charles Aznavour für die Unterbringung von Flüchtlingen aus Syrien und dem Irak ein. Jetzt kündigten 60 Kulturschaffende des Landes an, eine Gage an Hilfsorganisationen zu spenden.
"Wir müssen einen Weg finden, sie unterzubringen - denn Frankreich braucht diese Menschen!"
Charles Aznavour sagt das nicht zum ersten Mal. Der französische Sänger setzt sich schon seit Monaten für die Flüchtlinge ein, die aus Syrien oder dem Irak, vor den Terrormilizen des sogenannten Islamischen Staats, geflohen sind. Es gibt in Frankreich viele unbewohnte Dörfer, sagt Aznavour, dort könnte man die Flüchtlinge unterbringen und so auch die verwaisten Dörfer wieder zum Leben erwecken. Es ist die Pflicht der Franzosen, den Flüchtlingen zu helfen, findet er, der selbst armenische Wurzeln hat:
"Wir müssen Wohnungen für sie finden und Arbeit, wir müssen ihnen ein normales Leben ermöglichen. Damit die Flüchtlinge das werden, was wir armenischen Einwanderer auch geworden sind: Franzosen. Wir haben zur Stärke Frankreichs beigetragen. Wir sind in ein Land gekommen, das uns viel gegeben hat. Aber wir haben diesem Land auch viel zurückgegeben."
Seit dem Sommer mehren sich die Stimmen unter Frankreichs Intellektuellen und Kulturschaffenden, die auf die prekäre Lage der Flüchtlinge im Land aufmerksam machen. Im Juli unterschrieben über 200 von ihnen einen offenen Brief, einen Appell an die Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo. Unter den Unterzeichnern: Schauspielerin Juliette Binoche, Schriftstellerin Virginie Despente und die Theaterregisseure Joël Pommerat und Stanislas Nordey.
"Wir sind schockiert darüber, wie in Paris mit den Flüchtlingen umgegangen wird", heißt es in dem Brief, "die Werte Frankreichs und die Menschenrechte werden mit Füßen getreten". Die Künstler forderten ein "Haus der Migranten", eine Unterkunft für die vielen Flüchtlinge, die in Paris auf der Straße schlafen. Etwa weil sie noch keinen Asylantrag gestellt haben - denn das ist Voraussetzung für ein Bett in einer Erstaufnahmeeinrichtung. Die Stadt hat zwar inzwischen versprochen, die bürokratischen Hürden abzubauen und die Antragsverfahren zu beschleunigen. Aber noch immer sieht man in der französischen Hauptstadt Flüchtlinge, die im Freien campieren.
"Nie wieder ein Aylan an einem türkischen Strand!"
Am Wochenende druckte nun auch die Sonntagszeitung "Journal du dimanche" eine Petition von über 60 Kulturschaffenden, darunter international renommierte Künstler, wie die Band Daft Punk oder der Schauspieler François Cluzet - in Deutschland etwa bekannt durch seine Hauptrolle in dem Film "Ziemlich beste Freunde". Die Unterzeichner versprechen, jeweils eine Gage an Flüchtlingsorganisationen zu spenden und fordern: "Nie wieder ein Aylan an einem türkischen Strand!"
Das Foto des toten Jungen aus Syrien sorgte allerdings auch für Streit unter Frankreichs Intellektuellen. Anlass war eine Äußerung des Philosophen Bernard-Henri Lévy im französischen Privatfernsehen:
"Die Stimme versagt einem angesichts dieses Fotos. Dieser kleine Körper, dieser kleine Junge, angeschwemmt am Strand eines Badeortes. Das ist einfach grauenvoll!"
Bernard-Henri Lévy oder BHL, wie er kurz genannt wird, hat in Frankreich Fans, aber auch scharfe Kritiker. Mit weißem, weit geöffnetem Hemd präsentiert er sich gerne und oft im Fernsehen. 2011 befürwortete er den französischen Militäreinsatz in Libyen, an der Seite des damaligen Präsidenten Nicolas Sarkozy. Bis heute kreiden ihm seine Kritiker das an, denn in Libyen blieb es beim Militärschlag, der politische Fahrplan für die Zeit danach fehlte. Es folge das Chaos für die ganze Region. Und so provozierte auch Bernard-Henri Lévys emotionale Reaktion auf das Foto des toten Aylan prompt Entrüstung, etwa vonseiten des Philosophen Michel Onfray:
"Dass er sich nicht schämt, wirklich, dass er sich nicht schämt! Jemand, der dazu aufgerufen hat, Libyen zu bombardieren. Der dazu aufgerufen hat, Libyer zu töten, unter dem Vorwand, dort eine Demokratie zu ermöglichen. Ja, das Land war, was es war, aber immerhin konnte man mit Gaddafi reden. Heute kann man mit Libyen nichts mehr anfangen. Das Land ist zu einer perfekten Basis für den Terrorismus geworden. Bernard Henry Lévy ist doch einer von denen, die zum Tod dieses Jungen beigetragen haben!"
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