Frankreich

Ort der Demütigung - Ort der Versöhnung

Die Kathedrale von Reims
Die Kathedrale von Reims © AFP
Von Ursula Welter |
Die Kathedrale von Reims ist ein Meisterwerk gotischer Baugeschichte, hier ließen sich Frankreichs Könige salben. Vor 100 Jahren zerstörten deutsche Truppen die Kirche - und trafen damit eine ganze Nation ins Herz. Doch heute ist Reims ein Ort der Versöhnung.
Meisterwerk der Hochgotik, Weltkulturerbe - an diesem Ort wurde Chlodwig getauft, hier ließen sich die Könige Frankreichs salben. 83 Meter ragen die Türme der Kathedrale in den Himmel der Champagne, Reims, das Tor Galliens. Mehr als 2300 Skulpturen fügen sich zu einem seltenen Gesamtkunstwerk gotischer Baugeschichte.
Die Schönheit der "Notre Dame de Reims" steht im Kontrast zu ihrer dunklen Geschichte, die sie zu einem zentralen Ort deutsch-französischer Feindschaft und Aussöhnung gemacht hat.
"Der Granatenbeschuss spielte sich schon seit ein paar Tagen ab, aber ab dem Nachmittag des 19. September konzentrierte sich das auf die Kathedrale."
Der Zeitzeugenbericht des Domherrn Hess prägt bis heute die Erinnerung in den französischen Archiven an den Beschuss der gotischen Kathedrale durch deutsche Truppen im Ersten Weltkrieg.
"Es gab an der Fassade, rund um den Nordturm ein Holzgerüst, bis hoch auf drei Viertel des Turms."
Das Feuer greift auf den Glockenturm über, erfasst den Dachstuhl, die Metallabdeckung schmilzt, die Wasserspeier spucken flüssiges Zinn. Die Landschaft der Champagne ist von Schützengräben durchzogen, zerstört, vermint, und nun steht an diesem 19. September 1914 die Krönungskathedrale in Flammen - Rosette, Königsgalerie, viele der mehr als 2000 Skulpturen werden zerstört.
Die Deutschen entehrten das Symbol der französischen Monarchie
Die Behauptung des deutschen Militärs, ein französischer Wachposten sei gesichtet worden und habe den gezielten Beschuss provoziert, verfängt in der Bevölkerung nicht. Im französischen Gedächtnis ist die Zerstörung der Kathedrale von Reims ein Zeichen der Demütigung.
"Warum?", fragt der Zeitzeuge Hess. "Weil es die Krönungskathedrale war, gleichsam die Synthese der französischen Monarchie, und der Feind wollte genau das entehren."
1937 wird die Kathedrale wieder eingeweiht. 2011 werden 800 Jahre Grundsteinlegung gefeiert. Dazwischen entwickelt sich Reims zu einem Ort der Versöhnung.
"Es lebe die deutsch-französische Freundschaft, vive l’amitié franco-allemande."
Im Juli 2012 begibt sich Bundeskanzlerin Angela Merkel mit dem französischen Staatspräsidenten Francois Hollande auf die Spuren zweier Staatsmänner, die sich 50 Jahre zuvor in Reims die Hände gereicht hatten.
"Monsieur le chancelier….” (de Gaulle)
"Herr Staatspräsident, ich danke Ihnen aufrichtig für den so ehrenvollen und freundlichen Empfang…" (Adenauer)
80 Prozent der Stadt Reims wurden im Ersten Weltkrieg zerstört
Charles de Gaulle hatte Konrad Adenauer nach Frankreich eingeladen, und - geschichtsbewusst wie der französische Staatspräsident war - an den Ort der Taufe Chlodwigs gebracht, um die Versöhnungsmesse zu feiern.
"Damals hat das zu heftigem Streit in Reims geführt", sagt die frühere Bürgermeisterin der Stadt, Adeline Hazan. "Da war auf der einen Seite der Teil der Bevölkerung, der den Zweiten Weltkrieg miterlebt hatte, der nach vorne schauen wollte und es gut fand, dass Adenauer nach Reims eingeladen wurde. Und den anderen Teil, der fand, dass die Zeit noch nicht gekommen sei."
Die Bürger von Reims sahen in Deutschland nicht nur den Feind dreier Kriege, Deutschland hatte mit der Zerstörung der Kathedrale 1914 das Herz einer ganzen Nation getroffen.
"Reims ist besonders durch die Kriege gezeichnet. 80 Prozent der Stadt und die Kirche zerstört im Ersten Weltkrieg, das war eine der größten Märtyrerstädte Frankreichs, dann die Waffenstillstandsunterzeichnung im Mai 1945, auch in Reims, und schließlich die Gesten der Aussöhnung am selben Ort."
Ausgangspunkt der deutsch-französischen Annäherung ist die Messe am 8. Juli 1962, historisch das Bild der beiden Staatsmänner, Adenauer und de Gaulle, Seite an Seite neben dem Altar, während Monseigneur Marty von Frieden spricht.
Deutschland will sechs neue Fenster für die Kathedrale stiften
800 Jahre werden 2011 gefeiert, bis heute sind nicht alle Schäden von 1914 behoben, ein Teil der kunsthistorisch bedeutenden Farbfenster bleibt für immer verloren. Was erhalten ist, wird restauriert, mit staatlichen Geldern, Geldern der Region, privaten Fördermitteln. Zu einem zusätzlichen Magneten für die rund eine Million Besucher jährlich sind Marc Chagalls Fenster geworden, die die Geschichte des Wiederaufbaus geprägt haben.
In diesem Gedenkjahr 2014 kündigte der deutsche Außenminister zuletzt in Paris an, dass die Bundesrepublik ihrerseits sechs Fenster stiften will. Frank-Walter Steinmeier hatte an jenem Tag als erster Außenminister Deutschlands an einer Sitzung des französischen Kabinetts teilnehmen dürfen.
"Ich habe heute angekündigt, dass wir in Erinnerung an dieses Ereignis, aber auch mit Blick auf die Veränderungen, die wir im deutsch-französischen Verhältnis in den letzten Jahrzehnten erarbeitet haben, dass wir die letzten noch sechs fehlenden Glasfenster ersetzen werden, dass der deutsche Künstler Imo Knoebel aus Düsseldorf, der bereits in der Kathedrale gearbeitet hat, jetzt die letzten fehlenden sechs Glasfenster herstellen wird, und wir werden sie mit Blick auf die Erinnerung und mit Blick auf eine gemeinsame gute Zukunft stiften."
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