Guy, Opernsänger aus Lyon© Susanne von Schenck
"Jeder tut das, wozu er gerade Lust hat."
Der Opernsänger Guy Lathuraze kritisiert den zunehmenden Egoismus in der Gesellschaft
Audio Player
"Ich heiße Guy Lathuraze, bin in Lyon geboren und lebe auch dort. Ich bin 61 und Sänger an der Oper. Ich wohne mitten im Zentrum von Lyon. Dort spüren wir die Chemiewerke, die in der Nähe sind – seit zehn Jahren leide ich an Asthma. Aber die Gesellschaft ist auch im übertragenen Sinn verschmutzt und in keinem guten Zustand. Die Leute sind schlecht erzogen, gehen mit öffentlichen Einrichtungen schlampig um. Jeder tut das, wozu er gerade Lust hat: Ich werfe mein Taschentuch auf den Boden, irgendwer wird es schon wegräumen. Jeder Bürger sollte vor der Gemeinschaft für seine Handlungen verantwortlich sein. Wovor ich Angst habe? Vor einer extremen Lösung. Jemand schreibt uns vor, was gemacht werden soll. Das größte Problem für mich ist die Armut. Die gibt es bei uns nämlich. 10 000 Menschen sterben jährlich auf der Straße. Das ist schrecklich, ein Skandal. Darauf muss man eine Antwort finden."
Julien, Kellner aus Vienne© Susanne von Schenck
"Das Hauptproblem: Kein Geld, kaum Arbeit."
Julien, Kellner aus Vienne, fühlt sich von den Politikern betrogen
Audio Player
"Ich heiße Julien, ich lebe in Vienne, bin 32 Jahre alt und arbeite hier als Kellner. Das Hauptproblem: kein Geld, kaum Arbeit, man kann nichts kaufen. Ich habe den Eindruck, dass wir in Frankreich für Idioten gehalten werden. Man verspricht uns alles Mögliche, aber nichts wird gehalten. Alle fünf Jahre heißt es, ihr kriegt mehr Geld, bessere Gehälter, bessere Bedingungen, aber letztendlich passiert gar nichts oder sehr wenig. Bei den Parteien sehe ich keine großen Unterschiede, bei den Kandidaten schon. Zwei Parteien finde ich ganz gut: "La France soumise" von Melanchon und "En marche" von Macron. Der Rest, das ist immer das gleiche, ob Sozialisten, Rechtspartei oder die extreme Rechte."
André, Zimmermann aus Lyon© Susanne von Schenck
"Die Reichtümer besser verteilen! Das wäre eine wirkliche Demokratie."
André Farolet, Zimmermann aus Lyon, fordert mehr Gerechtigkeit.
Audio Player
"Ich heiße André Farolet und bin Zimmermann. Ich werde 75 Jahre alt und lebe im Osten von Lyon. Der beste Politiker, an den ich mich erinnere, war General de Gaulle. Klar, er wird etwas idealisiert, aber er war gradlinig und ehrlich. Heute denken 3/4 der Menschen nur an ihre Vorteile. Präsident Hollande zum Beispiel - er hat nichts für Frankreich gemacht, hat sich aber bereichert. Es gibt eine Partei, die mich interessiert, aber sie ist ganz klein und hat wenig Mittel. Es ist die Partei von Nicolas Dupont-Aignan "Debout la France". Er denkt wie ich: weniger Politiker, die Diäten senken, die Gehälter und die Reichtümer besser verteilen! Das wäre eine wirkliche Demokratie."
Virginie, Straßenmusikerin aus Arles© Susanne von Schenck
"Es gibt viel, was sich in Frankreich ändern müsste."
Virginie, Straßensängerin in Arles, wünscht sich mehr Fröhlichkeit und weniger Kriminalität
Audio Player
"Ich heiße Virginie, komme ursprünglich aus Barcelona, lebe aber seit 1984 in Frankreich. Vor vier Jahren bin ich nach Arles gezogen und mache hier Straßenmusik. Davor lebte ich 25 Jahre auf Korsika, da war ich Köchin. Als ich fünfzig wurde, habe ich das an den Nagel gehängt. Die Kinder waren groß, und ich wollte Straßenmusik machen. Es gibt viel, was sich in Frankreich ändern müsste. Zum Beispiel gibt es hier unheimlich viele Diebe und viel Aggression. Es ist auch ziemlich dreckig, hier bei der Arena sind überall Hundehaufen, gibt es kaum Blumen - für Touristen ist das nicht sehr einladend. Von Politik verstehe ich nichts, ich finde, die Politiker machen nichts, für mich sind die alle gleich. Wichtig wäre, dass es ein bisschen fröhlicher zugeht. Nach Arles kommen die Leute schließlich, um hier ihre Ferien zu verbringen. Aber sie machen alle lange Gesichter. Die sollten doch fröhlicher sein. Warum sind sie das nicht? Keine Ahnung. Sie haben wohl viele Probleme, die sie nicht lösen können, und keiner hilft ihnen."
Jean-Luc, aus der Nähe von Dijon© Susanne von Schenck
"Man muss sich um die Jugend kümmern!"
Jean-Luc Virot lebt auf dem Land und sorgt sich um die Zukunft der jungen Generation
Audio Player
"Guten Tag, ich bin Jean-Luc Virot. Wir leben im Departement Côte d'Or in einem alten Bauernhaus, ungefähr 40 km von Dijon entfernt. Ich habe früher in einem Supermarkt gearbeitet, da war ich für Werbung und Marketing zuständig. Als mir gekündigt wurden, haben meine Frau und ich das Haus gekauft, wir haben jetzt Gästezimmer. Wir haben halbwegs Glück gehabt und hatten meistens Arbeit. Aber die große Sorge bei uns ist die Arbeitslosigkeit, vor allem für die jungen Leute. Die finden kaum Arbeit, können sich keine Wohnung, kein Auto, keine Versicherungen leisten. Die Jungen, das ist doch die Zukunft, und um die muss man sich kümmern. Bei den Wahlen gibt es viele Kandidaten. Wir wissen genau, wen wir nicht wählen, aber noch nicht, für wen wir dann stimmen. Es gab da auch mal andere Zeiten, als die Politiker den Menschen näher waren. Jetzt haben wir den Eindruck, dass sie sich wie Monarchen verhalten."
Milcé, orthodoxer Priester in Paris© Susanne von Schenck
"Der Rassismus ist spürbar."
Milcé Woulder stammt aus Haiti und erhofft sich viel von François Fillon
Audio Player
"Ich bin Milcé Woulder, lebe in Paris und bin dort im russisch-orthodoxen Seminar. Ich studiere Kirchenrecht, stamme aus Haiti und bin 26 Jahre alt. Rassismus habe ich selbst noch nicht erfahren, aber er ist sehr spürbar: Mitstudenten und meine afrikanische Freunde leiden darunter. Das dürfte es in Frankreich nicht geben, in einem Land, das sich als offen gegenüber allen bezeichnet. Mit den Wahlen hoffe ich, dass Frankreich endlich wieder in Gang kommt. Aber mit Marine Le Pen an der Macht würde das Land sich total isolieren und wäre allein. Mein Favorit bei den Wahlen ist – trotz allem - François Fillon."
Marie, Ladenbesitzerin im südlichen Aveyron© Susanne von Schenck
"Die Leute ertragen sich nicht mehr."
Marie, Ladenbesitzerin im südlichen Aveyron, hat Angst vor einem Bürgerkrieg
Audio Player
"Ich bin Marie, wohne im südlichen Aveyron in einem winzigen Dorf, das zum Glück ein bisschen touristisch ist. Da habe ich einen kleinen Laden und verkaufe vor allem lokale Produkte. Geöffnet ist von Ostern bis Anfang November. Meiner Meinung nach müssen die Leute mal wieder richtig arbeiten und aufhören, zu träumen. Um aus der Krise rauszukommen, muss man einfach mehr arbeiten, nicht nur 35 Stunden pro Woche. Ich arbeite doppelt so viel und beklage mich nicht. Es geht doch nicht, dass wir die bezahlen, die nicht arbeiten. Und die, die arbeiten, werden hoch besteuert. Man muss den Leuten das Gefühl zurückgeben, dass es Spaß macht zu arbeiten, in Frankreich zu leben und das Land auch am Leben zu erhalten.Wovor ich am meisten Angst habe, ist ein Bürgerkrieg. Auf dem Land sind wir in gewisser Weise geschützt, aber in der Stadt spürt man allerorten Aggression und Spannung. Die Leute ertragen sich nicht mehr. Die Integration hat nicht funktioniert. Man spürt nirgendwo den Stolz, Franzose zu sein. Wollen wir denn Franzosen sein? Das sollte sich jeder fragen. Will man in diesem Land leben und eine eigene Kultur haben?"
Samir, lebt in Istres bei Marseille© Susanne von Schenck
"Ich habe den Eindruck, dass alles einen Schritt rückwärts geht."
Samir Dhina, Manager, glaubt nicht, dass sich die Krise durch Ausgrenzung lösen lässt
Audio Player
"Ich heiße Samir Dhina, bin 47 Jahre alt und wohne in Istres, im Departement Bouches du Rhone. Dort arbeite ich als Manager in einem Unternehmen, dass sich um Sozialwohnungen kümmert. Ich bin verheiratet und habe zwei 12jährige Töchter. Ursprünglich stamme ich aus Algerien, habe dort Abitur gemacht und bin dann zum Studium nach Frankreich gekommen. Ich habe lange in Montpellier gelebt und bin wegen der Arbeit nach Istres gezogen.Die Lage in Frankreich sehe ich eher pessimistisch. Ich stelle mir viele Fragen, vor allem, was die Zukunft meiner Kinder betrifft. Wir lebten bisher in einem Land, das uns gut aufgenommen hat, mit einem gewissen Fortschrittsgeist. Heute habe ich den Eindruck, dass es alles einen Schritt rückwärtsgeht, dass die Zukunft meiner Kinder und vielleicht auch meine eigene bedroht sind. Das beunruhigt mich sehr. Ressentiments spüre ich schon, man darf jetzt alles sagen, erlaubt sich bestimmte Ausdrücke viel leichter. Auf ‚Ausländer‘ wird heute mit dem Finger gezeigt, das habe ich früher nicht so stark gespürt. Der Front National ist bei uns sehr stark. Aber dessen faschistische Thesen werden Frankreich nicht helfen, aus der aktuellen Krise herauszukommen. Heute erleben wir eine soziale Krise, die sich nicht durch Ausgrenzung lösen lässt."
Unsere Frankreich-Playlist auf Spotify: