Frans de Waal: "Der Unterschied"

Auch Schimpansen kennen Gender

06:33 Minuten
Das Buchcover "Der Unterschied" bildet die Hand eines Affen ab, die von oben auf zwei Menschen zeigt
© Klett Cotta

Frans de Waal

Übersetzt von Claudia Arlinghaus

Der Unterschied. Was wir von Primaten über Gender lernen könnenKlett-Cotta, Stuttgart 2022

480 Seiten

28,00 Euro

Von Susanne Billig |
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Tiere als Beleg für eine starre, „natürliche“ Geschlechterordnung? Frans de Waal zeigt: Sexuelle Präferenzen, diverse Geschlechtsidentitäten und kulturelle Weitergabe - all das gibt es auch unter nicht-menschlichen Primaten.
Donna ist außergewöhnlich groß und haarig für eine Frau. Wenn die Männer ihre Kraftmeiereien starten, mischt sie mit. Sex interessiert sie mit keinem Geschlecht und ernsthaft aggressiv zeigt sie sich nie. Alle in der Schimpansengruppe mögen Donna.
Eines gefalle ihm gut an Tiergemeinschaften, erklärt der Primatenforscher Frans de Waal in seinem Buch „Der Unterschied“: Sie seien völlig frei von Vorurteilen. Schimpansen, Bonobos, Gorillas und Orang Utans zeigen sexuelle Vorlieben ohne Scheu und reagieren ihrerseits auf das, was andere beim Sex so tun, ohne Urteil, es sei denn, die wichtigen Sozialstrukturen der Gruppe sind davon berührt.

Ein Buch, so vorurteilsfrei wie die Protagonisten

Vorurteilsfreiheit kennzeichnet auch das Buch, wenn nur die Einführung nicht wäre. Darin nimmt der Autor, anstatt offene Fragen aufzuwerfen, viele seiner Schlussfolgerungen vorweg, ohne zu bedenken, dass sein Publikum noch nicht so weit ist. Es kratzt schwer am Vertrauen, wenn Frans de Waal scheinbar aus dem Nichts formuliert: „Bei den meisten Säugetierarten sind die männlichen Tiere auf Macht oder Territorium fixiert, die weiblichen auf den Schutz ihres Nachwuchses.“ Und impliziert: So sei es auch beim Menschen, zur Weitergabe der Gene, Punkt.

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In den folgenden Kapiteln gewinnt der Autor das Vertrauen zurück; dafür sorgen seine sorgfältigen Reflexionen über die Möglichkeiten und mehr noch die Grenzen des Unterfangens, nature und nurture beim Menschen auch nur einigermaßen trennscharf experimentell, also belastbar, voneinander abzugrenzen. Dazu kommt seine engagierte Parteinahme für die Gleichberechtigung von Menschen aller Gender und erotischer Präferenzen.

Kurzweilige Anekdoten aus dem Urwald

So grundiert, behandelt sein Buch das Spielverhalten von Primaten, die Sorge um den Nachwuchs, Territorialität, Freundschaften, Hierarchien, Konfliktlösung und gleichgeschlechtlichen Sex, wobei sich Frans de Waal wunderbar darauf versteht, zwischen harter Verhaltensforschung und kurzweiligen Anekdoten aus dem Urwald nahtlos hin und her zu vagabundieren.
Überzeugend zeigt der Autor, dass auch nicht-menschliche Primaten Kultur kennen und es auch tradierte Genderrollen bei ihnen gibt. Männliche Schimpansen im Osten Afrikas sind aggressiver als im Westen – Jungs schauen es sich von den Erwachsenen ab. Auch die Kindererziehung beruht keineswegs auf Instinkt, betont das Buch, sondern Mütter weisen ihre Töchter in die Aufgabe sorgfältig ein.

Große Verhaltenspotenziale

Ja, sagt Frans de Waal, Geschlechterunterschiede sind bei allen Primaten deutlich wahrnehmbar, von körperlichen Differenzen bis weit hinein in das Verhalten. Allerdings gebe es immer wieder Situationen, die zeigten, dass sehr viel umfassendere Verhaltenspotenziale angelegt seien, etwa wenn Schimpansenmänner Waisenkinder fürsorglich adoptierten.
Am Ende kann Frans de Waal überzeugen, wenn er sich eine entspanntere Debatte um die wenigen geschlechtertypischen Verhaltensunterschiede wünscht, auf die sich beim Menschen relativ sicher der Finger legen lässt. Ärgerlich bleibt, dass er die Ausnahmen nicht konsequent genug erwähnt, doch klar ist auch: Sie bestätigen die Regel.
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