"Frantz" von Francois Ozon

Ein Drama über Liebe und Vergebung

Der Regisseur Francois Ozon (l-r), die Schauspielerin Paula Beer und der Schauspieler Pierre Niney bei der Deutschlandpremiere des Films "Frantz".
Der Regisseur Francois Ozon (l-r), die Schauspielerin Paula Beer und der Schauspieler Pierre Niney bei der Deutschlandpremiere des Films "Frantz". © picture alliance / dpa / Gregor Fischer
Francois Ozon im Gespräch mit Patrick Wellinski |
Regisseur Francois Ozon - bekannt durch "Acht Frauen" oder "Swimming Pool" - hat seine erste deutsch-französische Koproduktion vorgelegt: "Frantz" ist eine Liebesgeschichte, die Ende des Ersten Weltkriegs spielt: Am Grab ihres Verlobten trifft die Deutsche Anna einen jungen Franzosen.
Patrick Wellinski: Herr Ozon, Ihr größtenteils in Schwarz-Weiß gedrehter Film basiert lose auf Ernst Lubitschs "Der Mann, den sein Gewissen trieb" von 1932. Was hat Sie an dem Ernst Lubitsch-Film gereizt? Der Film war damals alles andere als ein Hit.
Francois Ozon: Also, ich habe mich eigentlich nicht von Lubitschs Film inspirieren lassen, sondern eher von dem Theaterstück von Maurice Rostand, das letztendlich auch Lubitsch adaptiert hat und das Lubitsch inspiriert hat. Und dann in den 30er-Jahren hat Lubitsch seinen Film gemacht und als ich davon erst gehört habe, habe ich mir gesagt, ich lass das sein! Wenn das ein Lubitsch ist, was soll ich da jetzt noch für einen Film machen?
Aber dann hat man mir gesagt, nee, nee, das war damals ein ganz großer Flop, dieser Film. Und daraufhin habe ich mir den Film dann angeschaut und habe dann plötzlich sehr schnell gemerkt, dass ich in dem Film von Lubitsch wie auch in dem Theaterstück, da wird alles aus dem Blickwinkel des jungen Mannes erzählt. Und ich merke, dass mich das nicht so interessiert.

Aus dem Blickwinkel einer deutschen, jungen Frau

Ich wollte eher aus dem Blickwinkel der jungen deutschen Frau erzählen. Und als ich das beschlossen habe, war das auch für mich die Möglichkeit, die Geschichte dann auszubauen. Und ich habe sie dann auch wirklich sehr verändert.
Wellinski: Sowohl Theaterstück als auch die Lubitsch-Vorlage sind ja nach dem Ersten Weltkrieg ungefähr entstanden, die waren noch sehr von einem starken Pazifismus getragen.
War das für Sie eigentlich eine Erleichterung, dass Sie jetzt 50 Jahre und auch nach dem Zweiten Weltkrieg diesen Film jetzt nicht mehr mit derartig starken pazifistischen Untertönen versehen mussten, sondern dass Sie sich eben auf die Figurenkonstellation stärker konzentrieren konnten?
Ozon: Natürlich ist mein Standpunkt ein ganz anderer, weil ich ja nun auch die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg miteinbeziehen kann. Und bei Lubitsch und auch bei Rostand, da ging es wirklich darum zu zeigen, dass diese beiden Völker, Deutschland und Frankreich, doch eigentlich im Grunde Brudervölker sind. Und dieser pazifistische Grundton war da schon sehr wichtig und sie haben beide eigentlich ein sehr politisches Stück und auch einen sehr politischen Film gemacht. Und in beiden Fällen hat es mit einem Happy End geendet.

"Mir ging es eher um den Humanismus"

Und wir kennen natürlich nun die Folgegeschichte und was natürlich noch wichtig ist, gerade bei Lubitsch, er ist ja aus Deutschland emigriert und hat eigentlich in Deutschland schon noch irgendwie mitbekommen, dass der Nationalsozialismus immer wichtiger wurde in diesem Land, und trotzdem macht er diesen optimistischen Film und setzt noch auf eine deutsch-französische Verbrüderung.
Und natürlich habe ich jetzt einen ganz anderen Standpunkt und habe natürlich versucht, diese Idee des Pazifismus durchaus noch ein bisschen zu bewahren. Aber mir ging es eher um den Humanismus. Und ich war eher der Meinung, dass diese Verbindung zwischen Deutschen und Franzosen eher von diesen beiden Völkern eher über die Kultur stattfindet. Deswegen ist die Musik so wichtig, wenn Geige gespielt wird, wenn es um Chopin geht oder das Gemälde von Manet oder die Poesie von Rilke und von Verlaine.
Also, das war mir sehr wichtig zu zeigen, dass über Bildung und über Kultur doch eine Verbindung stattfinden kann zwischen beiden Völkern. Und dadurch ist mein Film nicht mehr so politisch, auch wenn vielleicht kleine politische Dinge noch drin sind, wie es die Vorgängerstücke oder der Vorgängerfilm dann von Lubitsch waren.

Frantz mit T - ein Rechtschreibfehler mit Folgen

Wellinski: Das Schöne ist ja, der Film heißt zwar "Frantz", aber Frantz ist eine Leerstelle. Wir dürfen nicht zu viel über den Inhalt sprechen, aber es ist schon interessant, dass ja eigentlich Ihr Film auch "Anna" hätte heißen können, denn Anna ist ja eigentlich diese Hauptfigur. Und ihre Bewegung, die Sie halt mit ihr gehen, ist auch die prägende Bewegung des Films.
Vielleicht können Sie erzählen, was Ihnen wichtig an dieser Konstruktion dieser Figur dieser Anna war, was wollten Sie an ihr genau zeigen?
Ozon: Ja, ich hätte den Film auch "Anna" nennen können, aber "Frantz" war für mich offensichtlicher. Weil, gerade für Franzosen klingt "Frantz" auch so ein bisschen wie Frankreich und das Amüsante ist, dass wir eigentlich die Geschichte eines Toten hier erzählen und ich aber - und das ist das Amüsante letztendlich -, ich Frantz falsch geschrieben habe, nämlich mit einem T. Und meine deutschen Koproduzenten machten mich darauf aufmerksam und sagten, na ja, das ist eigentlich ein Rechtschreibfehler, weil Frantz mit t, das gibt es nur in Frankreich.
Gut, habe ich mir gesagt, habe aus dem Drehbuch das T wieder weggenommen, und dann kamen wieder meine deutschen Koproduzenten und meinten, jetzt hast du ja das T rausgenommen! Und ich sagte, na ja, man hat gesagt, das ist ein Fehler. - Ja, aber wir fanden das so charmant mit dem T. Und so ist das T jetzt wieder mit hineingekommen. Und dieser Charakter von Anna ist dann letztendlich der, den ich ausgebaut habe.
Wellinski: Neben der Geschichte von Anna und Adrien zeigen Sie vor allem, wenn der Film in Deutschland spielt, das Aufkommen des Deutschnationalismus. Und ich habe mich gefragt: Wie haben Sie eigentlich das Klima dieser Zeit recherchiert, wie haben Sie versucht, diese Figur, diese Zeit, die ja dann nach dem Versailler Vertrag wirklich aus deutscher Sicht sehr tragisch war, wie haben Sie dieses Klima versucht, irgendwie in Ihren Film einzubauen?

"In Frankreich sieht man den Ersten Weltkrieg anders"

Ozon: Also, ich habe mich mit dieser Zeit sehr befasst und mir ist dabei eben auch klar geworden, als ich mich damit befasst habe, warum dieser Nationalismus damals in Deutschland anfing, wieder hochzukommen, dass ja dann nach dem Versailler Vertrag … Das war ja für Deutschland wie eine Ohrfeige. Und das hat die Deutschen auch sehr verletzt letztendlich, dieser Frieden.
Und in Frankreich sieht man 1914/1918, also den Ersten Weltkrieg wirklich auch ganz anders als in Deutschland. Der hat eine ganz andere Bedeutung, es gibt sehr viel Literatur, auch sehr viel Filme in Frankreich zu dem Thema. Und in Deutschland ist das glaube ich nicht so der Fall, was wahrscheinlich auch damit zu tun hat, dass der Erste Weltkrieg ausschließlich auf französischem Boden stattgefunden hat.
Und ich habe also das auch für sehr interessant empfunden, mich in die Rolle der Deutschen und der Verlierer hineinzuversetzen. Dann habe ich aber, als ich das Drehbuch geschrieben hatte, mit vielen Deutschen geredet, die mein Drehbuch gelesen haben, und habe es eben dann auch noch mal verfeinert, weil diese Diskussionen mich dann auch noch weitergebracht haben in meiner Recherche.
Aber wenn es jetzt um den reinen Nationalismus geht … Nationalismus, egal, ob er in Frankreich oder in Deutschland existiert, der ist eigentlich immer gleich und funktioniert nach gleichen Mechanismen.
Wellinski: Der Film ist jetzt - wir müssen über diese visuelle Komponente des Films sprechen -, er ist schwarz-weiß. Können Sie erklären, wie diese Entscheidung gefallen ist, dass man sagt, "Frantz" soll vor allem in Schwarz-Weiß gedreht werden?
Ozon: Also, wenn man anfängt, über den Ersten Weltkrieg Recherchen anzustellen, wenn es um Kostüme geht, wenn es um Drehorte geht, sind eigentlich alle Referenzen, die wir haben, auch in Schwarz-Weiß. Es gibt ja sehr viele Fotos aus dieser Zeit, das Kino fing ja an, sich damals durchzusetzen, das ist ja auch ein Schwarz-Weiß-Kino. Und insofern, als ich dann diese kleinen Städte wie Quedlinburg sah, die genau dem entsprachen, was ich mir vorgestellt hatte, aber in Farbe, und auch durch das, was jetzt in letzter Zeit so passiert ist, war mir das fast zu bunt.

"Schwarz-Weiß wirkt einfach realistischer"

Ich stellte mir vor, ich bin in einer Walt-Disney-Location gelandet. Und deswegen, so paradox wie das klingen mag, wirkt Schwarz-Weiß einfach realistischer und wahrhaftiger irgendwo auch. Und in unserem Unterbewusstsein, wenn wir über diese Zeit im Ersten Weltkrieg nachdenken, ist das wahrscheinlich auch eher in Schwarz-Weiß. Und dann kommt natürlich hinzu, dass ich eigentlich Farbe liebe.
Also, ich bin ein ganz großer Fan von Technicolor. Und bei dieser Szene von dem ersten Spaziergang zwischen Adrien und Anna dachte ich, das wäre einfach zu schade, das nicht in Farbe zu machen. Und mir fielen eben auch Gemälde von Caspar David Friedrich ein und dann dachte ich mir, nein, also, das muss einfach in Farbe sein. Und es kommt eben auch hinzu, nach dieser langen Phase der Trauer bringt die Farbe dann auch einfach ein bisschen … Ja, die bewegt dann auch etwas, bringt etwas mehr ins Leben der beiden Figuren.
Wellinski: Genau, das wollte ich noch mal vertiefend fragen: Nämlich, wenn die Farbe kommt, müssen Sie ja ganz konkrete Entscheidungen treffen, wann hole ich die Farbe wieder rein in den Film. Koppeln Sie das wirklich immer an die Gefühle, also Trauer, Vergebung, sind das so diese Konnexe, wo der Schwarz-Weiß-Film plötzlich in die Farbe sich rettet?
Ozon: Ja, also, das war ein ganz großes Problem für die Produzenten des Films vor allen Dingen, weil, die wollten eine Logik, die wollten ganz genau wissen, warum und wieso Farbe auftritt in dem Film. Und ich bin kein logischer Mensch in dem Sinne, ich bin da eher ein sinnlicher Mensch und habe eher nach sinnlichen Standpunkten die Farbe ausgewählt. Und mir ist vollkommen klar, dass es oft auch aus anderen Gründen Farbe gibt in dem Film, manchmal hat es mit Glück zu tun, manchmal hat es aber auch mit Lügen zu tun, manchmal hat es mit Erinnerung zu tun.
Auf jeden Fall ist Farbe für mich nur ein weiteres Mittel, Regie zu führen. Und französische Produzenten, die noch sehr im Denken von Descartes verhaftet sind, hatten damit Probleme, und die deutschen Produzenten sagten, nee, wunderbar, das muss man überhaupt nicht erklären und es ist einfach wunderbar so! Und ja, so ist das mit der Farbe gewesen.

"Die Sprache ist unglaublich wichtig"

Wellinski: Eine letzte Frage, Herr Ozon: Das ist nach "Angel" glaube ich Ihr erster Film, den Sie außerhalb des französischen Sprachkontextes gedreht haben. Der Film ist zum großen Teil auf Deutsch. Macht Ihnen das irgendwelche Schwierigkeiten? Ich weiß, Sie verstehen ein bisschen Deutsch … Oder spielt Sprache in der Form bei Ihnen, wenn Sie Filme machen, keine Rolle?
Ozon: Nein, die Sprache ist unglaublich wichtig, also, das spielt schon eine sehr wichtige Rolle. Bei "Angel" habe ich auch sehr viel gelernt, vor allen Dingen in der Folge davon. Und obwohl ich vielleicht besser Englisch spreche als Deutsch, finde ich, dass Deutsch irgendwie dem Französischen mehr ähnelt, wenn man sich das anhört. Allein vom Klang her.
Und ich finde, dass ich ein besseres Ohr habe für deutsche Schauspieler, als ich es damals für die englischen Schauspieler hatte. Ich kann, glaube ich, schon ganz gut einschätzen, ob die Schauspieler gut oder schlecht sind. Nun sind sie fast immer gut, die deutschen Schauspieler, die ich hier ausgewählt habe, aber ich hatte einfach ein besseres Gefühl dazu.
Vielleicht hängt das damit zusammen, dass die erste Fremdsprache, die ich gelernt habe damals als Kind, eben Deutsch war. Aber in meiner Zusammenarbeit mit den Schauspielern hat das hier bei diesem zweiten Film, glaube ich, besser funktioniert.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.