Das unterschätzt, dass er sich eigentlich für Fußball interessiert hat. Wir wissen das. Er hat in den Hebräisch-Aufzeichnungen, die er von einer aus Palästina stammenden Hebräisch-Lehrerin erhielt, sich immer wieder Wörter aus dem Sportbereich, also zu Fußball und so weiter, notiert, weil er offensichtlich dort auch Interessen hatte.
Der Sportler Franz Kafka
Franz Kafka war auch ein begeisterter Sportler. © picture alliance / CPA Media Co. Ltd
Schwimmen war seine Leidenschaft
06:16 Minuten
Depressiv, düster, rätselhaft: Das ist ein Bild, das von Franz Kafka kursiert. Doch der Schriftsteller hatte auch eine andere Seite - eine sportliche. Rudern, Tennis und Schwimmen gehörten zu seinen liebsten Sportarten.
Kafka war nicht nur in den Feuilletons der Zeitungen und in den Kultursendungen der Radios präsent. Kafka konnte einem jüngeren Publikum durchaus auch auf TikTok begegnen.
Ob solche kurzen Videos dazu angetan sind, das Bild dieses ohnehin enorm facettenreichen Schriftstellers zu bereichern, sei dahingestellt. Dass Kafka auch 100 Jahre nach seinem Tod überraschen kann, zeigt ein Blick auf seine Aktivitäten.
Kafka war ein begeisterter Sportler - das widerspricht einem Bild, das sich über Jahrzehnte verfestigt hatte, erklärt der Heidelberger Literaturwissenschaftler Roland Reuß:
"Es ist so, dass durch diese sehr häufig reproduzierten Fotografien aus der Spätzeit man den Eindruck hat, er sei ein völlig abgemagerter, energieloser, ohne Körpertonus daherkommender Mensch. Und dieser Mensch ist kränklich. Also die im Prinzip aus der Spätzeit kommenden Vorstellungen, wo er dann tatsächlich schwer krank war, werden nachträglich über die gesamte Biografie drüber gekippt, sodass man eigentlich sagt: Okay, als kleiner Junge hatte der schon die Schwindsucht, hatte schon Tuberkulose und so weiter. Was alles nicht stimmt, sondern das ist irgendetwas, was durch so ein Mechanismus der Assoziation aus der Spätphase auf die früheren und mittleren Jahre einfach drübergestülpt wird.“
Kafka hatte auch Interesse für Fußball
Zutreffend, so Reuß, sind solche Zuschreibungen nur für die späte Lebensphase des Schriftstellers:
sagt Roland Reuß. Er ist der Herausgeber des "Kafka-Kuriers", in dessen sechster Ausgabe sich ein Aufsatz zur Sportbegeisterung Kafkas findet. Der italienische Literaturwissenschaftler Guido Massino hat diese in einen historischen Kontext gestellt.
Vor diesem Hintergrund erscheint Kafkas Begeisterung für den Sport plausibel. Der Sport entwickelte sich seinerzeit zu einem Massenphänomen: Die Menschen strömten in die Fußballstadien, schauten Sechs-Tage-Rennen und Boxkämpfe.
Mit dieser Leidenschaft stand Kafka unter Literaten nicht alleine da. Auch Gustav Meyrink, der Autor des „Golem“, der einige Jahre in Prag verbrachte und später am Starnberger See wohnte, war sportlich.
Meyrink liebte das Rudern, nach eigenen Angaben verbrachte er täglich bis zu vier Stunden auf dem Wasser. Anschaulich hat Meyrink über das Rudern geschrieben, in der kurzen Erzählung „Das dicke Wasser“.
Auch Kafka mochte das Rudern, doch vor allem hatte es ihm das Schwimmen angetan, erklärt Roland Reuß. Und er tat es aus einem ganz bestimmten Grund:
„Die ganze Affektion beim Schwimmunterricht, das ist ja nun notorisch, das ist ja nicht nur so, dass er das macht zur Ertüchtigung. Sondern das macht er natürlich auch, um seinen Körper zu formen. Und das macht er nicht mit irgendwelchen ängstlichen Sachen, sondern weil er das tatsächlich auch für wichtig hält.“
Schwimmen auch als ein literarisches Thema
Auch literarisch hat sich Kafka mit dem Schwimmen beschäftigt. Er hat ein Fragment unter dem Titel „Der große Schwimmer" verfasst. Seine Begeisterung für den Sport kommt dabei deutlich zum Vorschein:
Der große Schwimmer! Der große Schwimmer! Riefen die Leute. Ich kam von der Olympiade in X, wo ich einen Weltrekord im Schwimmen erkämpft hatte. Ich stand auf der Freitreppe des Bahnhofes meiner Heimatstadt - wo ist sie? - und blickte auf die in der Abenddämmerung undeutliche Menge. Ein Mädchen, dem ich flüchtig über die Wange strich, hängte mir flink eine Schärpe um, auf der in einer fremden Sprache stand: dem olympischen Sieger.
Ursprünglich hatte Kafka in diesem Fragment von Antwerpen geschrieben, wo 1920 die Olympischen Sommerspiele stattgefunden hatten, aber er änderte dies nachträglich.
Welch große Bedeutung das Schwimmen für Kafka hatte, lässt sich auch anhand eines Zitats belegen:
„Er hat in der ganzen seltsamen Begeisterung, die vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs von den Zeitungen, Zeitschriften und so weiter, von der ganzen Propaganda geschürt wurde, auffallend in den Heften, die er damals beschrieben hat, sich extrem zurückgehalten. Es gibt doch nur einen geringen Prozentsatz von Intellektuellen, die das nicht, diesen ganzen gepushten, euphorisierten Zustand mitgeteilt haben.“
Stattdessen entschied sich Kafka für den Schwimmsport:
„Interessanterweise ist diese berühmte Notiz ja direkt, also Deutschland hat Russland den Krieg erklärt, 1914, sofort in derselben Zeile gekoppelt mit ‚Nachmittag – Schwimmschule‘.
Das heißt, der Sport und die sportliche Betätigung ist im Prinzip an der Stelle fast der Kontrapunkt. Und er sagt, ich betreibe das weiter, trotzdem Außenrum dieser ganze aufgebauschte Medienzirkus läuft und die Leute eigentlich völlig besoffen sind von dieser Kriegseuphorie.
Das heißt, der Sport und die sportliche Betätigung ist im Prinzip an der Stelle fast der Kontrapunkt. Und er sagt, ich betreibe das weiter, trotzdem Außenrum dieser ganze aufgebauschte Medienzirkus läuft und die Leute eigentlich völlig besoffen sind von dieser Kriegseuphorie.
‚Ich schwimme!’ Und das ist dann schon an der Stelle auch so was wie das Gegenprogramm.“