Franz Liszt - sein Leben auf Papier

Eine Künstlerbiografie stellt man sich aufregend vor. Doch dafür braucht es Einfühlung und Fantasie. Der Liszt-Biograf Oliver Hilmes hingegen ist ein strenger Dokumentarist, so dass der Leser zwar viele Fakten über den Komponisten, aber kaum EInblicke in seine Seele erhält.
Franz Liszts ungemein turbulenter Lebensweg gäbe einen wunderbaren Roman her – wenn auch einen ohne rechte pädagogische oder philosophische Pointe, denn von den verschiedenen Konzepten, die der Künstler im Laufe der Jahre durchspielte, ging am Ende keines wirklich auf. Und selbst sein Nachruhm als Miterfinder der "Zukunftsmusik" bleibt bis zum heutigen Tage eine zweischneidige Angelegenheit.

Oliver Hilmes versteht diesen Zwiespalt in seiner Biographie des Künstlers durchaus plastisch zu machen; er meidet allerdings die Untiefen (und damit freilich auch Reize) einer psychoanalytischen oder poetisierenden – also letztlich eben tendenziell romanhaften – Betrachtungsweise und hält sich ziemlich strikt ans Dokumentarische.

Dabei stützt er sich vor allem auf die reichhaltig überlieferten Briefwechsel und Memoiren Liszts und seines Umfeldes und bringt auch einige neue und recht aufschlussreiche Papiere ans Licht. Die Kehrseite einer solchen Dokumentation im Grenzbereich von Journalismus und Populärwissenschaft ist freilich – abgesehen davon, dass hier ein Musikerbuch vor uns liegt, in dem die Musik selbst ziemlich stiefmütterlich abgehandelt wird – eine gewisse Nüchternheit der Darstellung, zusätzlich befördert durch einen stellenweise etwas altbackenen Sprachgebrauch.

Auch entsteht der Eindruck, dass die Gewichtungen und Akzentuierungen innerhalb der einzelnen Lebensetappen manchmal eher nach vorhandener Aktenlage als nach ihrer wirklichen Bedeutsamkeit für die Vita des Komponisten gesetzt werden.

Bei alledem bleibt Hilmes’ Buch eine kurzweilige, streckenweise spannende Lektüre, die – sozusagen auf dem Umweg über das Leben seines Superstar-Helden – auch interessante zeitgeschichtliche Einblicke gewährt: sei es über die Erziehungsmethoden damaliger höherer Töchter, sei es über Verkehrswege oder das Wirken der Geheimdienste im 19. Jahrhundert.

Am Ende hat man den griffigen Nachvollzug einer der spannendsten Künstlerbiographien der romantischen Ära mit all ihren Widersprüchlichkeiten. Wer mag, kann den ausführlichen Anmerkungs- und Quellenapparat als Ausgangspunkt weiterer Vertiefung in Sachen Liszt nutzen; doch auch so gewinnt man auf den knapp 400 Textseiten ein gutes Bild davon, wie diese exzentrische Persönlichkeit tickte.

Warum sie allerdings so und nicht anders wurde, sich so und nicht anders gab, bleibt weit gehend offen, weil das Angehen solcher Fragen ohne die Mobilisierung eines gewissen Maßes an Spekulation, Fantasie und künstlerischer Überhöhung nicht möglich ist. Dass Oliver Hilmes sich den damit unvermeidbar verbundenen und bekannter Maßen absturzgefährdeten Gratwanderungen entzieht, macht den Reiz und gleichermaßen die Schwäche seines Buches aus.

Besprochen von Gerald Felber

Oliver Hilmes: Liszt – Biographie eines Superstars
Siedler Verlag, München 2011
432 Seiten, 24,99 Euro