Es hängt nicht vom Alter ab, ob man Recht hat oder nicht
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Der frühere SPD-Chef Franz Müntefering hat viel Verständnis für die "Fridays for Future"-Proteste der Jugend. Einen Generationenkonflikt sieht er darin aber nicht. Es gebe Vernünftige und Bekloppte, meint er - bei den Jungen wie bei den Alten.
Stephan Karkowsky: Auf einmal waren sie da, und jetzt sind sie überall: Kinder und Jugendliche aktiv im Kampf gegen den Klimawandel, mit der Schwedin Greta Thunberg an der Spitze. Immer freitags wird nahezu weltweit demonstriert und vielerorts auch die Schule geschwänzt unter dem Motto: Fridays for Future!
Die Jungen trauen es den Alten nicht mehr zu, Wege aus der Klimakrise zu finden, und machen Druck. Ob das den Vorsitzenden der Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorenorganisationen ganz besonders schmerzt, das frag ich ihn selbst: Franz Müntefering. Haben die Kinder Recht?
Müntefering: Zumindest haben sie das Recht, uns Älteren zu sagen, was sie empfinden, was sie wollen und wo sie glauben, dass dringend gehandelt werden muss.
Karkowsky: Nun hat ja FDP-Chef Christian Lindner gerade ein "Bild"-Interview gegeben, für das er kritisiert wird. Da hat er gesagt, Klimaschutz sei was für Profis und nicht für Kinder, die verstünden die Zusammenhänge noch gar nicht. Ist das wirklich so kompliziert, wie Lindner glaubt?
Müntefering: Das ist kompliziert, das ist richtig, aber über so eine Position müssen wir uns gar nicht länger unterhalten. Das ist Unsinn.
Zur Demokratie gehört, dass Menschen, die Sorgen haben, die Einsichten haben, sich melden und die auch deutlich mit klarer Stimme sagen, und das tun die jungen Leute, und das ist gut.
Sie sagen ja nicht, dass sie das besser können, aber sie sagen, da passiert etwas nicht, was dringend passieren müsste, und wenn Herr Lindner sagt, da sind die Profis zuständig, da sage ich: Ja, wo sind denn die Profis? Da warten wir aber drauf an vielen Stellen.
"Unsere Generation hat das Problem später erkannt"
Karkowsky: Gestern ist Ihr neues Buch erschienen, es heißt "Unterwegs: Älterwerden in dieser Zeit". Nun verstehen ja auch die Älteren nicht mehr alles. In Sachen Digitalisierung zum Beispiel, da hat doch manche 14-Jährige vielleicht mehr Profil als so Politprofis wie Sie, oder?
Müntefering: Das ist ganz sicher so, und das ist etwas, was auch neu ist in der Gesellschaft. Das Senioritätsprinzip, dass die Alten Recht haben und die Alten lehren und die Jungen nehmen auf, das funktioniert an vielen Stellen nicht mehr, und deshalb: Meine Lebenserfahrung ist, die Frage, wie alt jemand ist, sagt wenig drüber aus, wie vernünftig er ist, wie viel er weiß. Deshalb ist das Alter keine Messlatte für die Frage, ob einer Recht hat oder nicht Recht hat.
Karkowsky: Nun ist ja dieser Klimastreik, Fridays for Future, mit den vielen Kindern und Jugendlichen, die zum Teil dabei auch die Schule schwänzen, ein ganz klarer Vorwurf an Ihre Generation, Herr Müntefering. Die fragen dann, warum habt ihr nicht mehr getan und das schneller? Sie waren ja immerhin 30 Jahre lang im Bundestag, Sie waren SPD-Parteivorsitzender, Vizekanzler, mitverantwortlich. Was sagen Sie denen denn?
Müntefering: Dass wir das Problem sicher später erkannt haben, noch nicht in unserer Jugend. Als ich so alt war, 14 war, 16 war, 18 war, da war der Krieg zu Ende, da ging es darum, wieder was unter die Füße zu bekommen, Arbeit zu finden, was zu essen zu bekommen zunächst mal, aufzubauen. Das waren andere Sorgen, und es war der große Krieg, vor dem wir Angst gehabt haben, gegen den wir demonstriert haben.
Der war damals da, und der schwebte auch über Deutschland. In den 70er-Jahren begann ja ganz intensiv diese Debatte um die Risiken in der Umwelt, und seitdem ist das Thema da. Woran es hapert, ist, es wird nicht gemeinsam gehandelt.
Dieses Thema der Umwelt kann nur international gelöst werden, und das ist das beste Beispiel dafür, dass Nationalismus Egoismus ist an der Stelle, sondern dass die Länder alle miteinander auf der Welt zusammen eine Linie haben müssen. Jetzt gibt es die VN-Agenda 2030, das ist ein guter Anschluss, und an dem muss man weiter arbeiten, ganz klar, aber da muss noch mehr passieren.
Karkowsky: Früher hat man vom Generation-Gap gesprochen, als die Generation sich von der Elterngeneration distanzierte, die tatsächlich noch die Nazi-Zeit erlebt haben.
Heute ist es so, dass die junge Generation sagt, wir haben unsere Zukunft noch vor uns, und deswegen ist uns der Klimawandel wichtiger als euch Alten. Glauben Sie, man muss ältere Menschen noch stärker davon überzeugen, wie wichtig Generationengerechtigkeit ist?
Müntefering: Ich glaube schon, dass auch bei den Älteren ganz viele sind, die das über die Jahre gesehen haben und eingesehen haben und auch immer mehr verstehen und auch bereit sind, da mitzumachen.
Meine Theorie dazu ist, das ist nicht eine Frage von Generationen, die da gegeneinanderstehen. Ich war in den letzten zehn Tagen in zwei Schulklassen zu Besuch, in Delmenhorst und in Neuenburg am Rhein, und überall junge Leute, die auch zu diesem Thema einen ansprechen voller Sorge. Da muss man drauf eingehen, da kann man nicht sagen, das ist Unsinn.
Das ist eine Riesenherausforderung für die Menschheit insgesamt und auch für unser Land. Was können wir eigentlich beitragen, um eine sichere Zukunft zu haben, damit der Planet nicht kaputtgeht. Das ist ganz klar ein Thema für diese junge Generation, die jetzt jung ist, das alles überwölbt.
"Zeit ist die Währung der Älteren"
Karkowsky: In Ihrem neuen Buch "Unterwegs: Älterwerden in dieser Zeit" plädieren Sie für einen tätiges Älterwerden, wo sich die Rentner nicht im Schaukelstuhl verkriechen, sondern sich ehrenamtlich engagieren und gesellschaftlich einmischen sollen. Da wird jetzt womöglich der eine oder andere sagen, Moment, ich habe das ganze Leben gerackert, das Ausruhen habe ich mir redlich verdient. Das stimmt doch auch, oder?
Müntefering: Ja, da bleibt ja auch Zeit zum Ausruhen, aber wir haben gut Zeit, die Währung der Älteren. Unsere Währung ist die Zeit, auch wenn wir mit einem Augenzwinkern sagen, jetzt haben wir gar keine Zeit mehr. Das ist ja nicht wahr. Viele sind ja auch aktiv und machen in der Gesellschaft mit.
Den Austritt aus dem Berufsleben als einen Einschnitt im Leben zu sehen, als sozusagen das Ende des aktiven Lebens, das ist natürlich Unsinn, ist auch überhaupt nicht gesund. Da sind auch viele Ältere, die sich einmischen dabei.
Ich glaube, dass viele dabei sind, die vernünftig sind, bei den Jüngeren viele, die vernünftig sind und dazwischen auch, und die Vernünftigen, die müssen sich unterhaken und müssen dafür sorgen, dass nicht die Bekloppten das Sagen kriegen.
Das ist immer mein Spruch dabei, und dabei bleibe ich auch. Das ist eine Sache, die geht quer durch alle Generationen. Es gibt auch bei den Jungen welche, die ignorieren die Situation der Umwelt. Es ist ja nicht so, als ob die alle klug wären an der Stelle, und das ist bei uns Älteren auch so.
"Es lohnt sich, mit der Jugend zu reden"
Karkowsky: Wie ist es denn bei Ihnen persönlich? Bei Berufspolitikern hat man ja häufig den Eindruck, dass Freizeit gar keine große Rolle spielt, weil die es gewohnt sind, auch immer am Wochenende zu arbeiten. Und jetzt, Herr Müntefering, Sie sind 79, haben Sie auch mal einen freien Tag neben Ihren ganzen Engagements?
Müntefering: Oh ja, klar, natürlich, aber ich bin auch noch immer interessiert und neugierig, und das Neugierigbleiben und am Leben dicht dran bleiben, das ist eine gute Methode, lebendig zu bleiben und auch von den Jahren was zu haben.
Ich will ja nicht nur leben, sondern will auch gut leben, interessant leben. Ein bisschen kann man selbst mitwirken dabei. Der Staat hat eine Aufgabe, die Gesellschaft hat eine Aufgabe, aber der Einzelne kann auch so ein bisschen mitwirken.
Es gibt so viele interessante Dinge auf der Welt, zum Beispiel diese jüngere Generation. Es lohnt sich, mit denen zu reden, und ich kann meinen Freundinnen und Freunden, den Älteren einfach nur sagen, redet mit den Enkelkindern, bietet euch in den Schulen an, macht Gespräche, redet mit denen.
Das ist das Wichtigste, was wir denen jetzt sagen müssen, nicht, wie wir mal eben schnell die ganze Welt retten können, sondern dass die merken, wir hören ihnen zu, wir wollen wissen, was ist eure Intention, und im Rahmen unserer Möglichkeiten unterstützen wir euch.