Französische Meisterwerke

Von Tamara Tischendorf |
Vor zwei Jahren präsentierte das MoMa, das Museum of Modern Art in New York, über 200 seiner bedeutendsten Werke des 20. Jahrhunderts in der Neuen Nationalgalerie in Berlin. Ab Juni 2007 schickt das Metropolitan Museum of Art erneut rund 140 Meisterwerke nach Berlin. Titel der Ausstellung: "Highlights der französischen Kunst des 19. Jahrhunderts".
Gary Tinterow: "Wir stehen jetzt vor einem Bild von Cézanne, es zeigt die leidende Madame Cézanne in einem roten Kleid und wurde wahrscheinlich um 1890 in Paris gemalt. Es ist ein seltsames Gemälde, weil alles perspektivisch verschoben ist. Sie selbst sitzt krumm da. Es sieht aus, als würde die ganze Welt gerade von einem Erdbeben erschüttert."

Gary Tinterow, Chefkurator des Metropolitan Museum of Art in New York, führt durch die Sammlung französischer Kunst des 19. Jahrhunderts - das Herzstück des renommierten Hauses am Central Park.

Gary Tinterow: "”Weil Cézanne sich seinem Sujet immer wieder aufs Neue zugewandt hat, ergibt sich eine Kombination aus verschiedenen Perspektiven, die allesamt in das Bild hineingezwungen sind.""

Paul Cézanne war vielleicht der langsamste Maler seiner Generation.
Er nahm sich meist mehrere Wochen Zeit für ein Gemälde. Edouard Manet hingegen brauchte oft nur wenige Stunden oder Tage. Im Nachbarraum hängen die Bilder, mit denen Manet in den1860er Jahren bekannt geworden ist:

Gary Tinterow: "”Mademoiselle Victorine im Kostüm eines Stierkämpfers", das in dem berühmten "Salon der Zurückgewiesenen" ausgestellt wurde, ist immer noch ein rätselhaftes Bild. Es zeigt Manets Lieblingsmodel. Sie ist gekleidet wie ein Stierkämpfer - trägt Männerkleider - hält ein Schwert und ein rosafarbenes Tuch, als sei sie in einer Stierkampfarena. Man merkt aber sofort, dass sie gar nicht wirklich in einer Stierkampfarena ist. Sie posiert, als ginge sie zu einem Maskenball an der Oper.""

Manets aufreizende Stierkämpferin und Cézannes bewegtes Bild von seiner Frau gehen bald auf Reisen - zusammen mit rund 140 weiteren französischen Meisterwerken. Der Anlass ist profan: Der Flügel, der diese Gemälde beherbergt, wird erweitert. Während des Umbaus schickt das Metropolitan Museum seine Schätze erst nach Houston in Texas und im Anschluss nach Berlin in die Neue Nationalgalerie. Die Idee ist nicht neu: Vor zwei Jahren bereits hatte das MoMa umbauen müssen und der Neuen Nationalgalerie solange seine wichtigsten Werke überlassen:

Gary Tinterow: "”Wir alle haben den Erfolg der MoMa-Ausstellung in Berlin natürlich genau verfolgt. Wir haben uns für das MoMa und für die Leute, die diese großen Meisterwerke in Berlin sehen konnten, sehr gefreut. Und als klar wurde, dass unsere Räume geschlossen werden müssen, dass wir die Gemälde nicht mehr würden zeigen können und wir außerdem keinen Ort haben, an dem wir sie während dieser Zeit verwahren können, war es wichtig, einen Platz für sie zu finden. Und warum nicht ein Museum, wo die Leute etwas davon haben.""


Ab dem ersten Juni werden die Bilder der Impressionisten und ihrer Wegbereiter vier Monate lang in Berlin zu sehen sein. Porträts und Landschaftsbilder von Ingres, Delacroix, Géricault und Courbet. Impressionistische Stadtszenen und Landschaftsporträts von Monet, Manet, Renoir und Seurat.

Viele der Gemälde wirken wie Echos ihrer unzähligen Reproduktionen: Claude Monets "Brücke über Seerosenteich" wird ebenso gezeigt wie Gauguins farbenprächtige "La Orana Maria": ein Bildnis, das die Jungfrau Maria mit dem Jesuskind auf dem Arm darstellt. Beide haben tahitiianische Züge und sind umgeben von einem Südseeparadies.
Viele der Gemälde, die auf die Reise geschickt werden, haben das Metropolitan Museum of Art in New York noch nie verlassen.

Gary Tinterow: "”Das ist eine Jahrhundertchance für die Leute in Berlin aber auch für das Museum. Wir haben noch nie so viele Meisterwerke verliehen und werden es auch nie wieder tun.""

Musik: Debussy

Neben den Popstars unter den Impressionisten werden auch weniger bekannte Maler verschifft. Mit im Boot: Werke der Künstlerin Berthe Morisot, eine informelle Schülerin von Edouard Manet und die spätere Frau von dessen Bruder Eugene.

Gary Tinterow: "”Sie stößt in dasselbe Horn wie Manet. Sie hat diesen wundervoll schwungvollen Pinselstrich und malt, wie Manet, wunderschöne Frauen in Paris in ihrer typischen Tracht, wobei sie stets deren Schönheit und die reizvolle Umgebung hervorhebt. Sie versucht, dieses milde, graue Pariser Licht auf die Leinwand zu bannen. Und ich finde, diese feine, zarte, ja fast weibliche Herangehensweise, ist bei Berthe Morisot in besseren Händen als bei Manet. Sie verwendet seine Methode, geht aber einen Schritt darüber hinaus.""

In unmittelbarer Nachbarschaft von Bert Morisots Bildern im Metropolitan Museum hängen die Gemälde von George Seurat. Der Pointilist hat die Lichtanalyse auf die Spitze getrieben, wie eine Vorstudie zu seinem berühmten Bild "Sonntag Nachmittag auf der Insel Grande Jatte" zeigt: Auf der Insel in der Seine führt ein bourgoeoises Paar seinen Affen spazieren, ein feiner Herr mit Zylinder und Stock hat sich am Ufer niedergelassen, unweit daneben lümmelt ein Arbeiter im Gras.

Gary Tinterow: "”Das Bild ist einerseits ein Kommentar zu den sozialen Klassen, ihren Unterschieden aber auch ihren Gemeinsamkeiten. Andererseits reflektiert es Seurats Interesse an der Farbentheorie. Alle Farben sind in ihre Bestandteile zerlegt: Das Grün besteht aus gelben und blauen Punkten mit ein bisschen Rot dabei. Außerdem spiegelt es seine Theorien über die Gefühlswerte von Linien: Dass eine aufstrebende Linie Glück symbolisiert, eine abwärtsstebende Linie Traurigkeit. Ein sehr, sehr wichtiges Gemälde, das sehr viel über das Denken und über die Kunst im Paris der späten 1880er und frühen 1890er Jahre aussagt.""
Wenn die meisterlichen Franzosen und Französinnen aus New York ihre Sommerfrische in Berlin verbringen, gibt es also einiges zu entdecken.