Johannes Willms: Tugend und Terror
Geschichte der französischen Revolution
C.H. Beck Verlag, München 2014
831 Seiten, 29,95 Euro
Unglaubliche Schreckenstaten
An die 100.000 Menschen sollen bei der Französischen Revolution umgekommen sein. Johannes Willms stellt den revolutionären Terror in den Mittelpunkt seines Buchs und weist Einschätzungen zurück, nach denen dies Exzesse niederer Chargen gewesen sein sollen.
Das "Wunder der Loire"! Wer je eines ihrer Schlösser besucht hat, der wird mit Erinnerungen an ihre Schönheit mitsamt den Prachtbauten, die sie umsäumen, beschenkt. Er ahnt in der Regel nichts davon, dass dieser Strom von den Jakobinern einmal voller Begeisterung als revolutionärer Fluss besungen wurde.
Revolutionär deshalb, weil er den Wirkungsgrad der Guillotine, die ihrerseits ja bereits ein effizientes Tötungsinstrument gewesen ist, um ein Vielfaches übertraf. Man brauchte nur die unfolgsamen Priester und Aristokraten, deren man habhaft wurde, an Armen und Beinen zu fesseln, sie auf das flache Deck spezieller Kähne zu legen und sie in der Mitte des Stroms einfach ins Wasser zu kippen. Im Nu hatte man sich auf diese Weise etlicher Feinde entledigt.
Doch das war nicht alles und eigentlich noch eine der feineren Methoden. Man legte halbe Städte in Schutt und Asche – das bezaubernde Lyon! –, brandschatzte ganze Regionen, vor allem im anti-revolutionären Westen Frankreichs. Eine extra Sorte von Kolonnen junger Schwärmer wurde gebildet, die sogenannten "colonnes infernales". Sie machten ihrem Namen alle Ehre und wüteten tatsächlich infernalisch.
Französisches Inferno statt Revolution
Nach der Lektüre dieses Buches fragt man sich, wieso die "Französische Revolution" nicht schon längst in "Französisches Inferno" umbenannt worden ist. An die 100.000 Franzosen sollen dabei umgekommen sein. Es handelte sich um nichts weniger als um den versuchten Genozid am eigenen Volk.
Johannes Willms würde vielleicht nicht so weit gehen, aber seine Darstellung des revolutionären Terrors, der nach den berühmten Worten Robespierres nichts als ein Ausfluss der Tugend ist, gelingt so plastisch, dass sie das Zentrum seines Buches bildet.
Die entschuldigenden Einschätzungen mancher französischer Historiker, es habe sich um Exzesse niederer Chargen gehandelt, weist er ebenso zurück, wie den Persilschein, den sich die Revolutionäre selbst ausstellten: die Revolution sei von den feindlichen Mächten des Auslands bedroht worden, daher wären die unglaublichen Schreckenstaten notwendig gewesen.
Und der Historiker und Journalist, der in Paris und München lebt und arbeitet, lässt es auch nicht an dem Hinweis fehlen, wie sehr sich spätere Revolutionen auf das Beispiel der Franzosen berufen konnten – die Bolschewiki werden stellvertretend genannt. Man kann die Linie ohne weiteres bis in unsere Gegenwart verlängern, bis zu den jugendlichen Kämpfern des 'Islamischen Staates'. Denn nicht zuletzt haben Revolutionen mit Religion zu tun, wenn auch in pervertierter Form.
Napoleon exportierte die Politik des Terrors
Willms schließt mit der 'Ankunft' Napoleons – im Sinne des Autors müsste man eigentlich sagen: mit dem 'Advent' des Korsen. Er verkörperte die säkularen Heilserwartungen der Revolution wie kein anderer und exportierte die Politik des Terrors kaltblütig in jene europäischen Staaten, die der Revolution noch hinterherhinkten. Das Ende ist bekannt.
Weil Napoleon diese Erwartungen letztlich nicht erfüllen konnte, beflügelten sie trotz aller Irrwege die revolutionären Hoffnungen der Menschen bis heute – so die Kernaussage des Buches zum Schluss. Darüber lässt sich trefflich streiten. Auch über den Begriff der Despotie, den Willms ganz im Sinne der zeitgenössischen Kritik an der französischen Monarchie verwendet.
Aber unbestreitbar ist, dass ihm nach seinen Büchern über die beiden Napoleons wieder ein großer Wurf gelungen ist. Wer diese Bücher noch nicht kennt, kriegt Lust, sie gleich im Anschluss zu verschlingen.