Buchkonzern mit intellektuellem Profil
Es ist bis heute die feinste Adresse im Literaturbetrieb Frankreichs. Der erfolgreiche Verlag Gallimard müsse sich ständig hinterfragen - und verändern, betont der Enkel des Gründers Antoine Gallimard. Sein Lektor erklärt die Verlagsphilosophie.
Die Liste ihrer Autoren, die mit den höchsten Auszeichnungen der Literaturwelt geehrt wurden, ist unüberschaubar lang.
"Wir waren der erste französische Verlag, der Freud herausbrachte. Die großen Klassiker aus Deutschland und Spanien. Unser Verlagsprogramm hat eine eigene Kultur begründet. In dieser Tradition sind wir aufgewachsen. Wir sind die Kinder unseres einzigartigen Katalogs. Und das unterscheidet uns von anderen Verlagen."
Gallimard ist eine Legende in der französischen Verlagslandschaft. 1911 gründeten André Gide und Paul Claudel gemeinsam mit Gaston Gallimard das Haus, das bis heute die feinste Adresse im Literaturbetrieb Frankreichs ist. Das spürt auch jeder sofort, der den Verlag besucht. Auch wenn die Straße im 7. Arrondissement von Paris schmal ist und nicht leicht zu finden. Sie heißt seit dem 100. Verlagsgeburtstag im Jahr 2011 Rue Gaston Gallimard. Auch das bronzene Schild unter der Hausnummer 5 wirkt bescheiden. Darauf stehen in geschwungener Schrift drei Buchstaben: n-r-f: Und die kann jeder belesene Franzose als "Nouvelle Revue Française" entschlüsseln. Aus dieser wichtigen Intellektuellen-Zeitschrift, die bis heute erscheint, ging damals der Verlag hervor.
Das Allerheiligste des französischen Verlagswesens
Wer einmal die hölzerne Eingangstür in der Rue Gaston Gallimard durchschritten hat, steht im Allerheiligsten des französischen Verlagswesens. Gallimard residiert in einem alten Pariser Stadtpalais, das auf einen streng angelegten Garten ausgerichtet ist. Mit Blick auf den Springbrunnen arbeiteten nicht nur Gaston, Claude und heute Antoine Gallimard. Auch die Schriftsteller Albert Camus und Raymond Queneau etwa hatten Büros in diesem "Château Gallimard".
Antoine Gallimard ist der Enkel des Gründers, der bis zu seinem Tod 1975 den Verlag entscheidend geprägt hat. Eine große Verleger-Persönlichkeit:
"Es gibt diesen berühmten Ausspruch von Gaston Gallimard: Ich bin ein Kaufmann, der einen Pakt mit dem Geist geschlossen hat."
Der größte Coups
Ökonomisches Geschick liegt offenkundig in der Familie. Der Enkel hat die Bücher-Schmiede in den vergangenen Jahrzehnten zu einem verzweigten Verlagskonzern erweitert. Einer seiner größten Coups war die Übernahme des einstigen Konkurrenten Flammarion - der Verlag, in dem unter anderem Frankreichs literarischer Exportweltmeister Michel Houellebecq erscheint.
Damit ist Gallimard nach Umsatz der drittgrößte Buchkonzern Frankreichs – was das intellektuelle Profil anbetrifft, ist er unbestritten die Nummer Eins. Die Dominanz des Hauses Gallimard wird häufig kritisiert und beneidet. Wer es geschafft hat, bei Frankreichs edelstem Verlag unterzukommen, lobt seine unvergleichliche Tradition und den Esprit.
Die Verlagsphilosophie
Bildung, Subjektivität, Kühnheit, Fragen und Zweifel, kurz: das Eigentliche des Menschen, so beschreibt der Lektor Thomas Simmonet den Kern der Verlagsphilosophie. Bis zu 8000 Manuskripte gehen pro Jahr bei Gallimard ein, die das Comité de lecture – ein illustrer Kreis aus Lektoren, Schriftstellern und Journalisten – sorgsam prüft. Um junge Autoren kümmert sich Maude Simmonot:
"Für ein Haus wie das unsrige sind die Neuentdeckungen unglaublich wichtig. Wir bringen jedes Jahr zwischen sieben und neun Debüts heraus. Viele kommen per Post, auf andere stoßen wir zufällig. Alle durchlaufen die verschiedenen Filter, bis hin zum Comité de lecture. Diese Suche nach dem ersten Roman nehmen wir sehr ernst."
Am anderen Ende des Gartens, dessen Wege mit weißem Kies ausgestreut sind, sind heute die Büros der "Bibliothèque de la Pléiade" untergebracht - in den ehemaligen Pferdeställen des Palais, die mit griechischen Säulen verziert sind.
Die "Pléiade", die Gallimard seit 1931 herausgibt, ist eine ganz eigene Legende in der Literaturlandschaft Frankreichs. Hier sind Klassiker der französischen und der Weltliteratur versammelt, auf feinstem Papier gedruckt und in Schafsleder aus Neuseeland gebunden. Ein Bildungsattribut, das bis heute auf dem Gabentisch in zahllosen französischen Familien liegt. Von Plato über Baudelaire und Proust bis Philip Roth und Milan Kundera.
"Wirken wir omahaft?"
In seinem herrschaftlichen Büro sitzt der gerade 70 gewordene Antoine Gallimard in einem schwarzen Ledersessel vor einer Wand aus Pléiade-Bänden und denkt über die Zeitläufte nach:
"Sind wir nicht ein bisschen verstaubt? Wirken wir omahaft? Sind wir eine tantige Institution wie die Académie française? Haftet uns das Image einer Literatur an, die sich dem Geist der neuen Zeit verschließt? - Ein Haus unserer Größenordnung muss sich das ständig fragen – und sich verändern."
Auch die Digitalisierung macht Gallimard – wie den meisten Buchverlagen – zu schaffen.
"Für Bücher braucht man Zeit. Das ist ein Luxus. Und Bücher kosten Geld. Die große Herausforderung für uns besteht darin, es mit der Gratiskultur aufzunehmen. Wir müssen die jungen Leute zu Büchern verführen."
... sagt Frankreichs renommiertester Verleger. Und setzt schmunzelnd hinzu: Und man darf nicht zu viel falsch machen. Das haben die Gallimards in den mehr als 100 Jahren ihrer Geschichte beileibe nicht getan. Wenn nach den Sommerferien die neuen Bücher erscheinen und die Favoriten für die wichtigen Literaturpreise ausgerufen werden, dann sind die Editions Gallimard als Nummer 1 wieder ganz vorne mit dabei.