Französisches Elitenwesen

Ausgebildet, um zu bleiben

Emmanuel Macron sitzt am 20.2.2018 in der Micro-Folie von Les Mureaux zwischen mehreren Kindern.
Die besten Karrierechancen haben Absolventen einer Elite-Schule - einer davon ist Präsident Emmanuel Macron. © picture alliance / AP Images / Ludovic Marin
Von Barbara Kostolnik |
In Frankreich ziehen in der Verwaltung und Wirtschaft die Eliten die Fäden. Kaderschmieden sind die Grandes Ecoles: Elite-Hochschulen, deren Absolventen nach dem Abschluss ausgesorgt haben. Doch die Strukturen werden zunehmend durchlässiger.
Oh je. Französische Eliten. Der Soziologe, Historiker und Autor mehrerer Bücher zu diesem Thema, Luc Rouban, zieht die Stirn in Falten: "Das ist eine französische Eigenart, die überaus komplex ist."
Aber er will natürlich trotzdem versuchen, dieses französische Elitenwesen zu erklären. Luc Rouban empfängt in seinem Büro in der Pariser Elite-Hochschule Sciences Po. Wo könnte man besser die Elite erforschen als mittendrin? Über die Verfasstheit der französischen Eliten sind schon Kilometer an Literatur auf den Markt gekommen. Es ist ein Thema, älter als die Republik.
"Unsere Eliten sind in erster Linie Eliten des Staates. Sie werden über die Grandes Ecoles, also die Elitehochschulen, gesucht und gesiebt, diese Unis haben alle eine sehr lange Geschichte. Das reicht bei manchen zurück bis in die Monarchie."

Homogenität der Eliten

Und diese lange Geschichte hallt natürlich bis in die Gegenwart. Frankreich ist stolz auf seine Eliten, seine Elite-Hochschulen, den Drill und den Zwang. Frage an Marion Maréchal, die gerade eine eigene Elite-Hochschule für patriotische Franzosen gegründet hat: Ist Frankreich Eliten-fixiert?
Marion Maréchal: "Das ist vielleicht ein bisschen stark, aber es gibt in der Tat eine Homogenität der Eliten, wir stellen fest, dass unsere führenden Politiker und Wirtschaftsleute fast alle aus der gleichen Kaste kommen."
Die ehemalige Politikerin des rechtsextremen Front National will diese Homogenität mit ihrer eigenen Hochschule aufbrechen. Ob sie Erfolg haben wird, weiß man noch nicht. Ihre Elite wird auf jeden Fall eine andere mentale Struktur aufweisen als die bislang vorherrschende. Luc Rouban von SciencesPo bestätigt in gewisser Weise diesen Corpsgeist, den Marion Maréchal anspricht.
"Lange Zeit gab es in Frankreich eine Allianz zwischen den leitenden Beamten, also der Verwaltungs-Elite und der politischen Elite gegen die Elite der Wirtschaftsbosse, das ist jetzt sehr viel durchlässiger geworden."

Besseres Ranking, besserer Job

Beispiel Emmanuel Macron, der einem sehr angesehen Corps angehört, der leitenden Finanzbehörde, dann in ein privates Bankhaus wechselte und nun als französischer Präsident eine leitende politische Funktion innehat. Die Corps sind das wichtigste, erklärt Forscher Rouban.
"Wenn sie etwa die ENA, die Verwaltungshochschule absolviert haben, steht am Ende ein Ranking, die 15 Jahrgans-Besten kommen in die grands corps de l’Etat in bestimmte Körperschaften, fünf zur Finanz-Aufsicht, fünf zum obersten Verwaltungsgericht, fünf zum Rechnungshof. Der Rest hat weniger angesehene Posten - ihre Karriere wird davon bestimmt. Je höher sie angesiedelt sind im Ranking, desto besser ist ihr Netz und sind ihre Karriere-Chancen."
Ähnlich verläuft die Karriere bei der technischen Hochschule Polytechnique, die Frankreichs Ingenieur-Elite stellt und bei der wissenschaftlichen Hochschule ENS, aus der sich der Forscher-Nachwuchs rekrutiert. Körperschafts-Mitglieder leben in ihren eigenen Welten, sagt Luc Rouban, was ihr Leben oft einfacher macht. So haben sie beispielsweise über zehn Jahre ein Rückkehrrecht auf ihre Corps-Stellen, wenn sie in die freie Wirtschaft gewechselt sind. Luc Rouban:
"Der Zugang zu gewissen sozialen Kreisen ist damit erleichtert, eine gewisse Anerkennung, man ist sozusagen unter sich, was sehr wichtig ist in Frankreich. Es gibt Beispiele von sehr erfolgreichen Unternehmern, wie Bernard Tapie, der ungeheuer reich geworden ist und trotzdem ungeheuer darunter gelitten hat, dass er eben nicht aus dieser Corps-Kaste, aus diesen Eliten-Schmieden kam."

Verschieben der Kasten

Auch Nicolas Sarkozy, immerhin Staatspräsident, war in dieser Beziehung ein Außenseiter, in bestimmten Kreisen behandelte man ihn als Emporkömmling.
"Dabei war er Bürgermeister von Neuilly, er war lokaler Abgeordneter gewesen, aber man hat ihn auch nicht anerkannt. Er hat öfter gegen die geheimen, ungeschriebenen Codes verstoßen, sich falsch, daneben verhalten, nicht so, wie es sich für einen Nachfahren der Monarchen eben gehört."
Mit der Ankunft der neuen Abgeordneten in der Nationalversammlung, von denen viele aus der Zivilgesellschaft kommen, hat sich zumindest in der politischen Kaste etwas verschoben. Doch in der Verwaltung und auch in der französischen Wirtschaft ziehen nach wie vor die Eliten ihre Fäden.
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