Frauen als Verhängnis
Er war ein rebellischer Literat und Don Juan des Fin de Siècle - der Dichter Frank Wedekind. Anatol Regnier hat eine spannende Biografie über die ruhelose Existenz des Literaten geschrieben, dem die Zensurbehörden im Nacken saßen und in dessen Leben der Kampf mit dem anderen Geschlecht eine nicht unbedeutende Rolle spielte.
"Tilly, die oft lethargisch wirkt, soll aufgeweckt werden, weshalb Wedekind mit ihr neben dem Training auf der Lauftrommel Spagat übt."
Mit dieser pikanten Eintragung aus den "Notizbüchern" des Dichters Frank Wedekind will Anatol Regnier Einblick in den bereits fortgeschrittenen Alltag der Eheleute - und damit auch seiner Großeltern - geben. Der 1864 in Hannover geborene Dramatiker, Lyriker, Essayist, Prosaautor, Schauspieler und Rezitator Wedekind hatte die 22 Jahre jüngere Tilly Newes (1886-1970) nach einem chaotischen Lebensjahrzehnt, das er in Berlin, München, Zürich, Dresden, Leipzig verbrachte, 1906 geheiratet.
Die Lauftrommel, auf der die Schauspielerin aus Berufsgründen trainiert, eignet sich auch als Bild, um die ruhelose Existenz des rebellischen Literaten und Don Juan des Fin de Siècle auszudrücken. Immer wieder sitzen Wedekind die Zensurbehören im Nacken, die nicht nur den Druck und die Aufführung seiner Stücke "Frühlings Erwachen", "Der Erdgeist" oder "Die Büchse der Pandora" überwachen und verhindern, sondern ihm auch wegen Majestätsbeleidigung im "Simplicissimus" den Prozess machen.
Die Jahrhundertwende verbringt er deshalb in Festungshaft auf Königstein bei Dresden, wo eine Ordonnanz für das "leibliches Wohl" sorgt und die sieben Monate "kurzum das reine Paradies" sind.
Erst mit Max Reinhardts deutscher Uraufführung von "Frühlings Erwachen" am Deutschen Theater in Berlin scheint diese Epoche wenigstens in künstlerischer Hinsicht beendet zu sein. Auch das Drama "Franziska" (1911) wird 1912 unzensiert in den Münchner Kammerspielen aufgeführt. Vielleicht liegt es daran, dass Thomas Mann inzwischen dem Münchner Zensurrat angehört und die Freigabe dieses "modernen Mysteriums" ausdrücklich empfiehlt.
Da Anatol Regnier sein Buch im Untertitel als eine "Männertragödie" bezeichnet und damit den Mann Wedekind - quasi im trauten Salon der Familie - einer internen Reflexion aussetzt, wird die Lauftrommel noch in anderer Weise zum Symbol. In drei chronologisch aufgebauten Kapiteln steht sein Kampf mit dem anderen Geschlecht im Mittelpunkt, den er physisch wie psychisch in endlosen Runden austrägt.
Jede Begegnung mit einer Frau erzeugt Angst und Begierde, sorgt für Erfüllung und Verdruss. Von Wedekind sind kabbalistische Schemata überliefert, in denen er die Weiblichkeit in Prinzessinnen, Patrizierinnen, Zigeunerinnen, Klavierlehrerinnen und Köchinnen einteilt. Die Zigeunerin als die in jeder Hinsicht Fremde genießt als "Prostituierte" seine uneingeschränkte Bewunderung, da sie zu den "Erfüllerinnen eines nicht ausrottbaren männlichen Bedürfnisses" gehört.
Dass sie dabei das schlechteste "Geschäft" macht, liegt nicht an ihrem Gewerbe:
"Es ist deshalb so schlecht, weil die von ihnen angebotene Ware von Konkurrentinnen aus dem bürgerlichen Lager immer wieder UMSONST geliefert wird."
Wedekind verschwendet sich bis zu seiner Ehe als gieriger Liebhaber und stößt dabei auf die eigene Verletzbarkeit und Schwäche. Er wird sich selbst zum Schauobjekt und lässt viele seiner radikalen Beobachtungen in die Theaterstücke und Prosatexte einfließen.
Anatol Regnier geht es darum, die tragische Zerrissenheit eines Mannes zu zeigen, der das Mirakel Frau entzaubern will und sich dabei oft selbst zum Verhängnis wird. Dabei nutzt er zahlreiche Quellen, die aus dem familiären Nachlass stammen und nun erstmals veröffentlicht werden.
Das macht den Text vor allem für denjenigen zur spannenden Lektüre, der berühmten Menschen gern auch mal intim begegnet. Was er dabei vor allem entdeckt, ist eine Zeitenwende, die wie Wedekind selbst voller Widersprüche und Katastrophen ist.
Rezensiert von Carola Wiemers
Anatol Regnier: Frank Wedekind. Eine Männertragödie
Knaus, München 2008
464 Seiten, 22,95 Euro
Mit dieser pikanten Eintragung aus den "Notizbüchern" des Dichters Frank Wedekind will Anatol Regnier Einblick in den bereits fortgeschrittenen Alltag der Eheleute - und damit auch seiner Großeltern - geben. Der 1864 in Hannover geborene Dramatiker, Lyriker, Essayist, Prosaautor, Schauspieler und Rezitator Wedekind hatte die 22 Jahre jüngere Tilly Newes (1886-1970) nach einem chaotischen Lebensjahrzehnt, das er in Berlin, München, Zürich, Dresden, Leipzig verbrachte, 1906 geheiratet.
Die Lauftrommel, auf der die Schauspielerin aus Berufsgründen trainiert, eignet sich auch als Bild, um die ruhelose Existenz des rebellischen Literaten und Don Juan des Fin de Siècle auszudrücken. Immer wieder sitzen Wedekind die Zensurbehören im Nacken, die nicht nur den Druck und die Aufführung seiner Stücke "Frühlings Erwachen", "Der Erdgeist" oder "Die Büchse der Pandora" überwachen und verhindern, sondern ihm auch wegen Majestätsbeleidigung im "Simplicissimus" den Prozess machen.
Die Jahrhundertwende verbringt er deshalb in Festungshaft auf Königstein bei Dresden, wo eine Ordonnanz für das "leibliches Wohl" sorgt und die sieben Monate "kurzum das reine Paradies" sind.
Erst mit Max Reinhardts deutscher Uraufführung von "Frühlings Erwachen" am Deutschen Theater in Berlin scheint diese Epoche wenigstens in künstlerischer Hinsicht beendet zu sein. Auch das Drama "Franziska" (1911) wird 1912 unzensiert in den Münchner Kammerspielen aufgeführt. Vielleicht liegt es daran, dass Thomas Mann inzwischen dem Münchner Zensurrat angehört und die Freigabe dieses "modernen Mysteriums" ausdrücklich empfiehlt.
Da Anatol Regnier sein Buch im Untertitel als eine "Männertragödie" bezeichnet und damit den Mann Wedekind - quasi im trauten Salon der Familie - einer internen Reflexion aussetzt, wird die Lauftrommel noch in anderer Weise zum Symbol. In drei chronologisch aufgebauten Kapiteln steht sein Kampf mit dem anderen Geschlecht im Mittelpunkt, den er physisch wie psychisch in endlosen Runden austrägt.
Jede Begegnung mit einer Frau erzeugt Angst und Begierde, sorgt für Erfüllung und Verdruss. Von Wedekind sind kabbalistische Schemata überliefert, in denen er die Weiblichkeit in Prinzessinnen, Patrizierinnen, Zigeunerinnen, Klavierlehrerinnen und Köchinnen einteilt. Die Zigeunerin als die in jeder Hinsicht Fremde genießt als "Prostituierte" seine uneingeschränkte Bewunderung, da sie zu den "Erfüllerinnen eines nicht ausrottbaren männlichen Bedürfnisses" gehört.
Dass sie dabei das schlechteste "Geschäft" macht, liegt nicht an ihrem Gewerbe:
"Es ist deshalb so schlecht, weil die von ihnen angebotene Ware von Konkurrentinnen aus dem bürgerlichen Lager immer wieder UMSONST geliefert wird."
Wedekind verschwendet sich bis zu seiner Ehe als gieriger Liebhaber und stößt dabei auf die eigene Verletzbarkeit und Schwäche. Er wird sich selbst zum Schauobjekt und lässt viele seiner radikalen Beobachtungen in die Theaterstücke und Prosatexte einfließen.
Anatol Regnier geht es darum, die tragische Zerrissenheit eines Mannes zu zeigen, der das Mirakel Frau entzaubern will und sich dabei oft selbst zum Verhängnis wird. Dabei nutzt er zahlreiche Quellen, die aus dem familiären Nachlass stammen und nun erstmals veröffentlicht werden.
Das macht den Text vor allem für denjenigen zur spannenden Lektüre, der berühmten Menschen gern auch mal intim begegnet. Was er dabei vor allem entdeckt, ist eine Zeitenwende, die wie Wedekind selbst voller Widersprüche und Katastrophen ist.
Rezensiert von Carola Wiemers
Anatol Regnier: Frank Wedekind. Eine Männertragödie
Knaus, München 2008
464 Seiten, 22,95 Euro