Literaturbetrieb

Schluss mit der Männerdominanz

Illustration von drei identischen Männern in jeweisl blauen oder roten Anzügen, mit einem aufgeklapptem Buch in den Händen.
Werke von Männern gelten so gut wie immer als welthaltig und bedeutsam, die von Frauen als alltagsbezogen und deshalb trivial, sagt Sabine Scholl. © Getty Images / Vetta / CSA Images
Ein Plädoyer von Sabine Scholl · 21.03.2022
Wenn unter 70 Büchner-Preisträgern nur 13 Frauen sind, stimmt etwas nicht, kritisiert die Germanistin Sabine Scholl. Ungerechte Strukturen sieht sie überall im Literaturbetrieb und fordert die dort vertetenen Männer auf: Helft mit, das zu ändern!

Der Georg-Büchner-Preis gilt als die renommierteste Ehrung der deutschsprachigen Literatur. Wer es bis dorthin geschafft hat, dessen Werk gilt als unumstritten. Wie kann es aber sein, dass von den 70 Malen, die er vergeben wurde, nur 13 Autorinnen damit bedacht wurden? 
Zählungen und Studien der letzten Jahre haben ergeben, dass ungleiche Geschlechterverhältnisse sich in der Literatur reproduzieren. Der jahrhundertelange Ausschluss von Frauen aus Bildungseinrichtungen hatte zur Folge, dass sie weniger Werke verfassen konnten. Falls doch, verschwanden sie häufiger aus der Literatur. Bis heute existiert ein Ungleichgewicht zwischen männlichen und weiblichen Schreibenden.

Literatur von Männern wird besser bewertet

Studien wie FRAUENZÄHLEN# ergeben, dass von Frauen verfasste Literatur sowohl bei Preisen als auch bei Kritiken deutlich unterrepräsentiert ist und unterschiedlich bewertet wird. Werke von Männern gelten so gut wie immer als welthaltig und bedeutsam, die von Frauen als alltagsbezogen und deshalb trivial. Männliche Liebesirrungen sind tiefgehend und für alle gültig, weibliche hingegen können selten zur Welterkenntnis beitragen.
Eine weitere Studie zählt für den deutschsprachigen Raum einen Anteil von 70 Prozent männlicher Rezensenten im Feuilleton: „Der Literaturbetrieb und eben auch die Literaturkritik sind ein gesellschaftlicher Mikrokosmos, das heißt, wir finden hier viele Formen und Mechanismen des Geschlechterverhältnisses, wie wir sie in der Gesellschaft als solche auch finden“, schreibt die Initiatorin Veronika Schuchter.
Sie zeigt zudem, dass Debüts von Frauen hauptsächlich von weiblichen Kritikerinnen besprochen werden, und zwar bis zu 90 Prozent. Sobald eine Autorin es geschafft hat, in den Kanon aufgenommen zu werden, wird sie zu einem Viertel von Frauen besprochen und zu drei Vierteln – weil nun anerkannt – von Männern. Das Problem dabei: Frauen erreichen schwerer den Status der Kanonisierung.

Weniger Übersetzungen von Frauenliteratur

Umgerechnet auf den Buchhandel, der in starkem Maße auf die von Feuilletons und Literaturpreisen vorgegebenen Muster reagiert, zeigt sich, dass zwar immer mehr Frauen veröffentlichen, jedoch eher im Taschenbuchbereich. Das bringt weniger ein und wird als belangloser eingeschätzt als das gebundene Buch.
In Übersetzungen spiegelt sich dieses Ungleichverhältnis wider. Werke von Frauen werden weniger oft und in weniger Sprachen übertragen. Die Benachteiligung reicht bis ins Akademische, wo es Wissenschaftlerinnen schwerer fällt, höhere Positionen zu erlangen und wenn, dann umso eher, je stärker sie sich von Männern verfasster Literatur als Forschungsobjekt widmen.
Schwächster Faktor in akademischen Institutionen sind also Wissenschaftlerinnen, die zu Autorinnen abseits des Kanons forschen. Autorinnen werden dadurch entweder gar nicht oder äußerst selten oder bloß im Verhältnis zu einem kanonisierten männlichen Kollegen sichtbar. Ausnahmen sind einige wenige Autorinnen, auf die sich der Großteil der Forschungsarbeit – weil akzeptiertes Feld ohne Statusverlust – konzentriert.

Reform müsste alle Bereiche angehen 

Eine Änderung dieser Gegebenheiten müsste also in allen Bereichen ansetzen: Bildung, Verlagswesen, Agenturen, Feuilleton- und Jurybesetzungen, wissenschaftliche Forschung. Dies kann jedoch nur gelingen, indem auch die männlichen Teilnehmer des Betriebs davon überzeugt sind.
Eine Welle von Wiederentdeckungen von „vergessenen“, sprich eigentlich „gelöschten“ Autorinnen wie Gabriele Tergit, Friederike Manner, Maria Lazar, Victoria Wolff etc. zeigt: Es besteht ein Interesse an der Revision des alten Kanons.

Sabine Scholl studierte Germanistik, Geschichte, Theaterwissenschaften, lebte und lehrte in Portugal, den USA, Japan, Wien und Berlin. Ihre Essays erscheinen auf "ZeitOnline" und im „Standard“. Sie ist Mitglied in Jurys, schreibt Rezensionen, lehrt Literarisches Schreiben. Zuletzt publizierte sie den Essayband „Lebendiges Erinnern – Wie Geschichte in Literatur verwandelt wird“ 2021 im Sonderzahl-Verlag, Wien, sowie den Roman „Die im Schatten, die im Licht“ weissbooks-Verlag, Berlin 2022.

Porträtaufnahme Sabine Scholl
© Uta Tochtermann
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