Kommentar zur Fußball-EM der Frauen
Frauenfußball ist schon längst auch kampfbetont: Kathrin Hendrich (Deutschland, li.) gegen Julia Hickelsberger-Fueller (Österreich) im EM-Halbfinale. © imago-images / Beautiful Sports / Wunderl
Ein neues Klischee vertieft den Kampf der Geschlechter
04:11 Minuten
Die Fußball-EM der Frauen hat neue Maßstäbe gesetzt. Viele Spiele haben begeistert und das Interesse am Fußball der Frauen weiter angefacht. Trotzdem halten sich sexistische Vorurteile hartnäckig, kritisiert die Journalistin Tamara Keller.
Ein Klischee entlarvt sich oft dann, wenn man es umdreht: "Schaden solche Ergebnisse dem Männerfußball?", twitterte gestern der Podcaster Max-Jacob Ost nach dem 6:1-Triumph von Bayern München über Eintracht Frankfurt. Eine Bewertung, die so vor nicht allzu langer Zeit noch über den Fußball der Frauen getroffen wurde.
Gerade erst ist die EM vorbei, da geht die Bundesliga schon wieder los - zumindest die der Männer. Seither bin ich mit einem neuen Klischee konfrontiert: "Wieso tun wir uns nun das robustere Spiel der Männer an, nach den vielen schönen Spielen der Frauen?" Der Zweikampf "der schöne Fußball der Frauen versus der harte Fußball der Männer" ist damit eröffnet. Und das ist ein Problem.
Denn dieses Klischee betont erneut die Trennung der binären Geschlechter, mit zudem problematischen Zuschreibungen: Frauen sollen laut der Gesellschaft schön und zaghaft sein, Männer robust und hart im Nehmen.
Dabei hat uns diese EM doch beides gelehrt. Es wurde wunderschöner Fußball mit tollen Spielzügen und Taktikideen gespielt. Aber vor allem das Finale war auch ein körperbetontes, vom Zweikampf geprägtes Spiel. Auf dem Bolzplatz sagt man dazu auch manchmal "dreckiges Spiel“.
Auch Frauen können "robust" Fußball spielen
Wer jetzt also der Meinung ist, den Weltklasse-Fußball der Frauen gegen den der Männer ausspielen zu müssen, der bedient sich eines komplett sexistischen Klischees, dass nur dazu genutzt wird, den Kampf der Geschlechter im Sport weiter zu vertiefen - denn auch Männer können zaghaft und schön sein und Frauen eben robust und hart im Nehmen.
Trotzdem: Eine nie dagewesene Euphorie ist zur EM entstanden und ich freue mich mit jeder Spielerin, die zurecht überglücklich auf dem Frankfurter Rathausbalkon stand. Doch dass wir plötzlich vom "schönen" Fußball der Frauen sprechen, kommt auch nicht von irgendwoher. Es ist das Gegenstück des jahrelangen Narrativs "Frauen könnten keinen Fußball spielen" - eines von vielen sexistischen Urteilen, welches in der Fußballhistorie der Frauen häufig vor allem von Männern gefällt wurde.
Bis heute lässt es sich auch in den Kommentaren unter den Social-Media-Beiträgen der Spielerinnen finden. Die Leistung der deutschen Nationalmannschaft hat dieses Urteil schon lange widerlegt: Zweimalige Weltmeisterinnen, achtmalige Europameisterinnen und einmal Olympiagold.
Den Fußball der Frauen sichtbarer machen
Warum die Euphorie gerade jetzt ausgebrochen ist, lässt sich nicht so eindeutig sagen. Der DFB kann diese Welle jetzt zwar gemütlich mitreiten, ihm selbst ist diese neu aufflammende Begeisterung nicht zuzuschreiben. Waren die Spiele der Frauen doch oft nicht sichtbar, sei es durch schlechte Anstoßzeiten am Wochenende oder durch fehlende oder schlecht inszenierte TV-Übertragungen. Die Leistung der Frauen wurde lieber versteckt. Oftmals sind deshalb die Frauen auch nicht Teil des kollektiven Fußballgedächtnisses.
Vielleicht entspricht diese neu entflammte Euphorie dem Geist der Zeit: Eine anstehende WM der Männer in einem Land, dass grundlegende Menschenrechte missachtet. Millionengehälter für Spieler oder absurde Transfersummen, die viel besser und gleichberechtigt umverteilt werden könnten. Der Besuch im Stadion muss klimafreundlicher werden und der Sport an sich inklusiver für alle Menschen.
Die Frage sollte nicht sein: Wer spielt den besseren Fußball, sondern was ist der bessere Fußball und welche Werte wollen wir ihm beimessen? Bei der Suche nach dieser Antwort gibt es noch viel zutun. Vor allem im Fußball der Männer.