"Kameraarbeit sollte nicht vom Geschlecht abhängen"
Nancy Schreiber hat an mehr als 100 Filmen hinter der Kamera mitgewirkt und für ihre Arbeit auch schon einen César erhalten. Trotzdem musste sie immer wieder gegen Vorurteile ankämpfen. Hollywood beschütze nach wie vor ein männliches System, sagt sie.
Christine Watty: Das Kulturmagazin Kompressor treibt sich auf der Berlinale Talents rum, wo man sich in diesem Jahr mit dem Thema "Secrets – Geheimnisse rund ums Filmemachen" beschäftigt. Wir lüften allerdings kein Geheimnis, wenn wir nun verraten, dass es viel mehr Kameramänner, als Kamerafrauen gibt.
Könnte man sagen: Na ja, kommt, jetzt stellt Euch mal nicht so an, das ist ja auch schwer, so ne Kamera! Die muss man ja auch hochwuchten können, also diese großen schweren Filmkameras. Und da würde ich natürlich sofort sagen: Stimmt, das kann ich nicht, mit meinen dünnen Ärmchen und schon wäre das Thema erledigt, man muss ja nicht aus allem ein Gender-Dings machen.
Muss man eben doch. Warum? "Technically a woman – Cinematographers speak out", heißt ein Vortrag, bei dem neben Agnes Godard auch die mehrfach ausgezeichnete Kamerafrau Nancy Schreiber zu hören sein wird und ich freue mich sehr, dass sie jetzt bei uns ist, willkommen!
Nancy Schreiber: Thank you, glad to be here!
Christine Watty: Sie haben an über 100 Filme mitgearbeitet, "Beau Travail", da gab's den César, Sie sind die vierte Frau, die in die American Society of Cinematographers berufen wurde – und wurden dennoch jahrelang "a woman cameraman" genannt, frei übersetzt: ein weiblicher Kameramann. Wie hart war es, in dem vornehmlich männlichen Business zu überleben?
Nancy Schreiber: Es gibt eine Tradition, dass Kameramänner bis in ihre 90er arbeiten, also habe ich noch ein Weilchen vor mir, hoffe ich, es ist ein harter Weg, aber wenn du zeigst, dass du kompetent bist, und weißt, was du tust, dann kriegst du Respekt.
Christine Watty: Was sind die typischen Vorurteile, auf die Sie so stießen?
Die Bewerbungskassetten mit "Nancy" kamen zurück
Nancy Schreiber: Wir haben damals Videokassetten für Bewerbungen benutzt, und für meinen Agenten war es damals schwer, Jobs für mich zu bekommen, er hat dann immer ein kleines Stück Papier in die Kassetten getan, um zu sehen, ob die Tapes überhaupt angesehen wurden. Auf einem Tape verwendete er die Abkürzung "N.J. Schreiber" und auf dem anderen schrieb er "Nancy Schreiber" und das "Nancy"-Tape kam zurück und wurde nicht mal angesehen.
Es ist heute sicherlich einfacher und die jungen Kameramenschen kommen recht gut zurecht, aber die meisten sind immer noch nicht bei den großen Hollywood-Produktionen dabei, es ist schwer für Frauen, da reinzukommen. Vielleicht ändert sich das jetzt mit Rachel Morrison.
Christine Watty: Sehen Sie einen deutlichen Unterschied zwischen der Arbeitsweise von männlichen und weiblichen Kameraleuten, und damit auch einen Effekt auf den Film?
Nancy Schreiber: Kameraarbeit sollte nicht vom Geschlecht abhängen, es gibt Männer, die mehr zu Familien- und persönlichen Geschichten neigen, es gibt Frauen, die gerne Actionfilme drehen, es ist nur menschlich, dass wir uns durch Licht und Schatten und Kamerabewegung ausdrücken.
"Hollywood beschützt das alte männliche System"
Christine Watty: Sie sprechen mit ihrer Kollegin Agnes Godard hier auf der Berlinale auch darüber, wie man das Bild der Frauen im Film verändern kann. Was meinen Sie damit?
Nancy Schreiber: (…) Wir hoffen, dass noch mehr Frauen im Filmbusiness arbeiten werden, in allen Bereichen, also als Regisseurinnen, Kamerafrau, Elektrikerinnen, Tontechnikerinnen – jeder Bereich. Ich habe in den letzten Jahren und vor allem im Dokumentarfilmbereich mit Regisseurinnen gearbeitet.
Wenn aber ein Film ein großes Budget hat, dann schreiben die Studios den Regisseurinnen vor, sich noch einen älteren Kollegen dazu zu holen. Ich mache eher kleinere Filme mit Regisseurinnen. Hollywood beschützt das alte männliche System. Ich glaube, sie haben Angst vor weiblichen Regisseuren, trotz des Erfolgs von Patty Jenkins.
(abu)