Verordnete Emanzipation − ohne Diskussion
Krippen, Haushaltstag, Frauenbildungspläne: Seit Beginn der 70er-Jahre galt in der DDR die Frauenfrage als weitgehend gelöst. Doch die angeblichen "Privilegien" verwiesen Frauen oft zurück in die Familie. Eine öffentliche Diskussion darüber, was Emanzipation eigentlich bedeutet, war nicht möglich.
Im September 1976 war meine DDR-Frauenwelt noch ziemlich heil: Wir sind gleichberechtigt, uns stehen alle Wege offen. Seit Kurzem galten neue "sozialpolitische Maßnahmen": längere Mütterzeit, ab dem zweiten Kind bezahltes Babyjahr und 40-Stunden-Woche. Ich war 23 Jahre alt - und seit wenigen Monaten Mutter.
Die Zweifel begannen, als ich in die kleine Lokalredaktion zurück kam. Die ausnahmslos männlichen Kollegen mobbten, wenn ich nach einem zehnstündigen Arbeitstag die Redaktionsräume verließ, um meinen Sohn aus der Krippe zu holen. Bissige Bemerkungen, als ich mich weigerte, an spätabendlichen Besäufnissen teilzunehmen.
Wie war das also mit der Gleichberechtigung? Immerhin hatte sich der Staat DDR dieses Projekt von Anfang an auf die Fahnen geschrieben: Krippen und Kindergärten, Frauenbildungspläne, Sonderstudien. Vieles, wofür unsere Schwestern im Westen auf die Straße gingen, war für uns Selbstverständlichkeit. Über unseren Kinderwunsch durften wir seit 1972 selbst entscheiden. Wir standen im Beruf "unseren Mann", waren materiell unabhängig und ließen uns ganz selbstverständlich scheiden, wenn uns eine Verbindung erdrückte. Seit Beginn der 70er-Jahre war es überall zu lesen: Die Frauenfrage galt als weitestgehend gelöst.
Ich aber hatte das Gefühl, nichts wirklich zu schaffen. Nicht im Beruf, nicht als Mutter, nicht in der Ehe. Ein ewig schlechtes Gewissen.
Bevölkerungspolitik statt Emanzipation
Das änderte sich auch nicht, als es mir schließlich gelang, zur einzigen Frauenzeitschrift der DDR zu wechseln. Mit inzwischen zwei Kindern stand mir nun eine 40-Stunden-Woche zu – oft genug waren aber gerade zum Feierabend Beratungen angesetzt. War ich auf Dienstreise, verfiel dieses "Recht" sowieso.
Genau wie der Haushaltstag und lange Zeit auch das Babyjahr waren solche Vorteile ausschließlich an Frauen adressiert. Nach und nach begriff ich: Diese angeblichen "Privilegien" bewirkten oft genug das Gegenteil: Sie verwiesen uns zurück an unseren "natürlichen" Platz - die Familie. Nun ging es nicht mehr um Emanzipation, sondern um Bevölkerungspolitik. Der Staat brauchte Kinder!
Folge dieser Muttchen-Politik: Männer zogen sich zunehmend aus Vater-und Haushaltsverantwortung zurück, Frauen wurden verunsichert und galten oft auch in der Arbeitswelt als unberechenbarer Störfall.
Keine "Emma" – und keine Courage
Es waren wenige, die sich unter dem Dach der Kirche fanden und darüber redeten. Eine öffentliche Diskussion war in der DDR nicht möglich. Auch nicht in der Frauenzeitschrift "Für Dich". Kein Nachdenken, was unter Emanzipation wirklich zu verstehen sei. Feminismus war bei uns ein verpönter Begriff – gefährlich, klassenfeindlich!
War also alles falsch? Waren wir "bieder, brav und angepasst", wie es nach der Wende oft hieß?
Inzwischen kenne ich beide Seiten und weiß – so gering war das nicht, was wir da hatten. Und es wirkt nach: Bis heute wollen Frauen im Osten häufiger berufstätig sein als jene im Westen - und dies auch noch, wenn sie Mütter sind. Sie probieren unterschiedliche Familienformen aus und legen weniger Wert auf die Ehe.
Das Problem in der DDR war ein anderes: Uns wurde beschieden, dass dies schon alles sei. Keine Chance zum Streiten. Keine Chance für Veränderung. Keine "Emma" – und keine Courage.