Fans gegen Sexismus
Frauen werden in der Fussball-Fanszene meist als "Freundin von..." wahrgenommen. Weibliche Fans müssen sich von den Männern einiges gefallen lassen - auch sexualisierte Gewalt. Doch die weiblichen Fussballfans fangen an, sich gegen den Sexismus zu wehren.
Eine Form von Diskriminierung wird im Fußball bis heute selten thematisiert: Sexismus. Frauen werden in den Ultras-Fanszenen zum Teil ausgegrenzt. Es gibt Vergewaltigungsandrohungen, Beleidigungen oder gewaltsames Alkoholeinflößen. Sie werden lediglich als "Freundinnen von..." wahrgenommen. Reisebusse halten für sie nicht an ordentlichen Toilettenhäuschen, Ultra-Anführer übergeben ihnen die für sie wertvolle Gruppenfahne, weil sie sich sicher sind, dass Frauen von anderen Fans nicht überfallen werden.
Doch eine wachsende Minderheit von kreativen Frauen stellt sich gegen eingefahrene Geschlechterbilder. In Heidenheim setzt die weibliche Gruppe "Societas" Akzente, in Bremen hat zeitweilig eine Frau die Gesänge in der Kurve angestimmt. Es könnte der Anfang eines Bewusstseinswandels sein.
"Mit Leib und Seele Löwin"
Der "Farbenladen" in München Anfang dieses Jahres. 150 Gäste schieben sich in dem Veranstaltungszentrum an großen Fotos vorbei. Darauf zu sehen sind Mädchen und Frauen im Alter von vier bis 73. Sie tragen Blau und Weiß. Sie lächeln und wirken stolz. Der Titel der Ausstellung: "Sechzge, Oide! – Mit Leib und Seele Löwin". Sie möchte die Vielfalt der weiblichen Fans bei 1860 München darstellen. Die Gäste sind begeistert, doch es gab auch negative Reaktionen, berichtet Stephanie Dilba. Die Pädagogin hat die Ausstellung mitentwickelt.
"Es ist teilweise relativ deutlich geworden. Dass eine Fangruppierung zum Beispiel im Fanheim einen Text ausgehängt hat, warum Sexismus im Stadion wichtig für die Gesellschaft ist. Weil die Frauen sowieso immer alles bestimmen. Und die Männer brauchen ja auch mal irgendwo einen Raum, wo sie für sich sein können und nicht von der Frau dominiert sind. Das hat uns schon sehr schockiert. Ja, Frauen generell, die aus der ersten Reihe in der Kurve verbannt werden, die sich hinten hinstellen müssen. Eben, die hier auch ausgestellt sind zum Teil, die seit zehn Jahren ins Stadion gehen, aber sie dürfen nicht vorne stehen, weil es halt nicht macker genug ist."
Engagiert sich auch bei "Löwenfans gegen Rechts"
Seit bald dreißig Jahren ist Stephanie Dilba Fan des TSV 1860, doch Stadionbesuche genügen ihr nicht. Sie engagiert sich in mehreren Bündnissen, auch bei den "Löwenfans gegen Rechts". Seit den Neunziger Jahren macht sich die Gruppe gegen Diskriminierung stark, mit Bannern, Vorträgen und Ausstellungen. Sie spricht Themen offen an, die der Verein nicht auf der Agenda hat, auch Sexismus.
"Was eine Fangruppierung, eine Ultragruppierung gemacht hat, die haben Frauen im Bus fast gar nicht mitgenommen, und wenn, dann nur die Freundinnen von etablierten Gruppenmitgliedern, die mussten sich aber zum Beispiel vorne hinsetzen im Bus, die durften nicht in der letzten Reihe sitzen. Ich selbst bin auch mal sexuell belästigt worden auf einer Fanparty, wo dann irgendjemand seine Hose aufgemacht hat und meinte, ja, mit wem bist du denn da? Ich geb’ dir fünfzig Euro, wenn du mir einen runterholst."
Immer wieder haben die "Löwenfans gegen Rechts" auf Neonazis in ihrer Kurve hingewiesen. Irgendwann positionierte sich auch der Verein. Die "Löwenfans gegen Rechts" erhielten Auszeichnungen für ihr Engagement. Der skandalumwitterte TSV 1860 schmückte sich mit ihnen. Doch in der eigenen Fanszene stößt die Gruppe noch immer auf Gegenwehr.
"Wirklich Drohungen, Beleidigungen bei Facebook, im Internet. Lügen werden erzählt, also richtig hartes Mobbing zum Teil. Bei einem Fotoshooting kam dann ein Sechziger-Fan vorbei, einer, der sicherlich auch ein bisschen viel Alkohol trinkt: Ah, Ihr macht einen Katalog, das ist ja toll – sind da auch die Telefonnummern dabei, wo man die Frauen dann bestellen kann. Es gab auch Mädels und Frauen, die gesagt haben, sie machen hier nicht mit bei der Ausstellung. Sie würden gern, sie finden das Projekt toll, aber sie haben Angst vor den Rückmeldungen aus der Fanszene."
Über eine Millionen Frauen in deutschen Vereinen organisiert
Mittlerweile sind mehr eine Million Mädchen und Frauen in deutschen Vereinen organisiert. Bei einem Männerländerspiel liegt der weibliche Anteil des TV-Publikums bei vierzig Prozent. In der Männerbundesliga sind bis zu dreißig Prozent Frauen im Stadion.
Und in den Fankurven, wo die Ultras den Ton angeben? Jene leidenschaftliche, manchmal Gewalt affine Bewegung? Bei den Ultras liegt der Frauenanteil bei zwei, bei fünf, in seltenen Fällen bei zehn Prozent. Die Sozialarbeiterin und Genderforscherin Cristin Giessler erforscht die Szene für Kofas, die "Kompetenzgruppe Fankulturen und Sport bezogene Soziale Arbeit".
"Da war die Situation so, dass die Gruppe ein Audiotape aufgenommen hat und ein weibliches Mitglied der Gruppe im Vordergrund stand. Und die Stimme anscheinend zu präsent war. Und die nicht wollten, dass da so eine hohe Stimme gehört wird. Dann sollte sie sich weiter nach hinten stellen. Also Frauen übernehmen vielfach Aufgaben, die sich im Hintergrund abspielen, so was wie Busse organisieren, die Finanzen der Gruppe organisieren oder sich auch um Gruppenmitglieder kümmern. In solchen klassischen weibliche Rollen sind tatsächlich vielmehr Frauen zu finden. Also wir sehen ungefähr nie Frauen auf dem Zaun oder Frauen mit Megafon als Vorsängerin. Da gibt es ganz wenige Beispiele."
Es gibt viele Studien über Rassismus und Antisemitismus im Fußball, für Sexismus gilt das Gegenteil. Die Kofas möchte das ändern, der Titel ihres Forschungsprojektes: "Kicks für Alle". Das wissenschaftliche Team aus Berlin und Hannover hat Interviews mit Fans und Pädagogen geführt. Ihre Empfehlungen sollen die pädagogische Fanprojektarbeit bereichern. Cristin Giessler hat erschütternde Vorfälle dokumentiert.
"Und dann gab’s auch tatsächlich krasse Schilderungen von Vergewaltigungsandrohungen, mit dem Ziel, auch die Gruppe zu schwächen. Wo die Frauen tatsächlich ganz krass verunsichert sind, und auch Angst haben, dann beispielsweise alleine auf Toilette zu gehen im Stadion. Und die Konsequenz ist, dass sie sich in ihrem selbst gewählten Freizeitumfeld Stadion auch nicht mehr frei bewegen können. Bis hin zu einer Schilderung, dass es tatsächlich einen Übergriff gab im Stadion, und dass es schon so weit war, dass der Frau die Hose geöffnet wurde und am Ende die Polizei dazwischen ging."
Sexualisierte Gewalt in der Fanszene
Cristin Giessler glaubt, dass sexualisierte Gewalt in Fanszenen keine Seltenheit ist. Doch nur wenige Frauen wenden sich damit an Polizei oder Fanprojekt. Aus Angst, ihren mühsam erkämpften Platz in der Hierarchie zu verlieren.
Die Kofas beschreibt auch das männliche Wertesystem: Viele Ultras inszenieren sich als hart und loyal. Sie pflegen Begriffe wie Ehre und Zusammenhalt, achten auf Gesten, Gesänge, Kleidung. Je gewaltbereiter eine Gruppe, desto geringer ist ihr Frauenanteil. Denn ihr Verhalten steht auch in Abgrenzung zur Weiblichkeit, zum vermeintlich Schwachen. Und das bekommen Frauen in ihrem Alltag zu spüren, etwa bei Auswärtsreisen.
"Zum Beispiel, dass beschlossen wird, nicht auf einer Raststätte zu halten, sondern auf einem stinknormalen Parkplatz, auf dem es einfach keine Toiletten gibt und Frauen da nirgendwo auf Toilette gehen können. Oder Schilderungen darüber, wie zum Beispiel Gruppenabende auch von einer progressiv und sich als links verstehenden Gruppe nicht verschoben werden, obwohl das weibliche Ultra-Mitglied mit Kind sagt: ich kann an dem Abend nicht, ich habe keine Kinderbetreuung."
Das Weserstadion in Bremen. Die 28 Jahre alte Jule verbringt hier einen großen Teil ihrer Freizeit, ihren richtigen Namen möchte sie nicht öffentlich machen. Mit 19 hatte sie sich den Ultra angeschlossen. Die Szene in Bremen gilt als fortschrittlich, sie duldet keine rechten Anhänger. Jule hatte schon als Mädchen Fußball gespielt, anfangs in einem Jungenteam, dafür wurde sie von vielen belächelt. Später in der Werder-Fanszene wurde sie als gleichberechtigtes Mitglied anerkannt. Offenen Sexismus erlebt sie selten. Und doch muss sie von ihrem Alltag manchmal mehr abweichen als ihre männlichen Mitstreiter.
"Alleine, dass ich, glaube ich, keine Röcke oder keine Kleider anziehe, in der Fankurve oder beim Spieltag. Und vom Verhalten her sehe ich tatsächlich auch, dass, wenn ich im Fußballkontext bin, anders rede, als wenn ich mich mit meinen besten Freundinnen treffe. Also allein, was die Themen angeht. Bisschen pöbeliger, bisschen lauter. Und direkt gemerkt habe, wie körperlich angespannt ich war und wie laut ich geworden bin. Und wie ich auch ein bisschen, sozusagen, prolliger werde in dem Bereich und mich da sozusagen anpasse. Also es ist ähnlich wie in der Politik oder in anderen Bereichen: Dass eben Frauen natürlich auch Bundeskanzlerin werden können, aber sie müssen sich der männlichen Rhetorik und der männlichen Durchsetzungsfähigkeit und diesem Leadership total anpassen. Feminismus funktioniert ja auch nicht nur so, dass Frauen sich emanzipieren, sondern dass auch Männer etwas abgeben von ihrem Kuchen."
Jule fühlt sich wohl bei den Ultras
Wenige Fanszenen sind politisch so aktiv wie die in Bremen. Demonstrationen oder Lesungen, Gedenkstättenfahrten oder Filmabende: viele Ultras positionieren sich für eine vielfältige Kurve. Auch deshalb fühlt sich Jule bei den Ultras wohl. Schon mit elf war sie Mitglied der Schülervertretung gewesen und protestierte gegen Naziaufmärsche. Beim Fußball konnte sie Engagement und Emotionen verbinden. Sie brachte sich ein, mit Ideen, mit ihrer Stimme. Das ist selten in Deutschland, wo etliche Ultras den Frauen die Mitgliedschaft verweigern. Und so wächst der Druck auf die wenigen Frauen auch untereinander.
"Das ist tatsächlich ein sehr großes Problem, wo nicht drüber geredet wird. Ich weiß nicht, ob es Sexismus ist, aber die Konkurrenz unter Frauen. Also dass Frauen sich gegenseitig eben nicht solidarisch verhalten und sagen: Ey, Mann, du hast es vielleicht auch gerade schwerer. Oder du machst auch ähnliche Erfahrungen, du bist auch sozusagen die Minderheit, lass uns doch irgendwie versuchen, zusammen hier stark zu sein oder uns zu unterstützen. Dass es dann eher im Gegenteil eher so ein Buhlen um Status und Anerkennung geht, und man eher ausgeschlossen wird von anderen Frauen, die schon da sind. Das sind jetzt gar nicht so direkte offene Formen von Beleidigungen, sondern einfach diese Ignoranz. Also es gibt ganz viele Frauen, die ich schon ewig lange kenne, die einfach nicht Hallo sagen, die dich einfach ignorieren, wegdrehen, die eifersüchtig sind. Und wo man dann sehr subtil merkt, dass sie ein Problem mit dir haben."
Jule hat Genderstudies und Medienwissenschaften studiert. Sie hält regelmäßig Vorträge über Sexismus in der Fankultur. Anhand von Fotos erläutert sie Diskriminierungen, zum Beispiel gegen die USP-Frauen. Diese weibliche Untergruppe der Ultras St. Pauli musste sich von gegnerischen Fans einiges anhören.
"Burka-Pflicht für USP-Frauen – euch will keiner sehen"
"USP-Frauen aus dem Block – damit die Kurve lebt".
Und es gibt Beispiele, die sich gegen keine bestimmte Gruppe richten, sondern Weiblichkeit pauschal ablehnen. Diese sind noch vergleichsweise harmlos.
"Nehmt eure Eier in die Hand – don’t be Muschis."
"Titten raus – Wir sind Sexisten".
Vereine und Polizei haben den Sexismus in ihrer oft repressiven Strategie selten auf der Agenda. Und die Prävention? Die europäischen Ligen beneiden Deutschland um ein Netzwerk von rund sechzig Fanprojekten. Allgemein liegt der Anteil von männlichen Fachkräften in der Sozialpädagogik bei dreißig Prozent. Bei den 180 Fanprojektmitarbeitern liegt er bei 75 Prozent. Bei einer wissenschaftlichen Befragung wollte sich nicht mal die Hälfe der Fanprojekte beteiligen. Doch langsam wächst das Fortbildungsangebot. Jule aus Bremen ist an einigen Workshops beteiligt.
"Ich höre oft, dass es dann halt eine Frau im Team gibt, und die ist dann für Mädchenarbeit und Genderarbeit zuständig. Ich finde schon, dass sich die Männer nicht rausziehen müssen aus dem Thema. Bei den Tagungen oder Fortbildungen, die ich gemacht habe, waren halt auch vier Fünftel weibliche Teilnehmerinnen. Und da sieht man halt schon, es gibt das Interesse, aber dann sind es halt die Frauen, die Ahnung mitbringen, und eine Wichtigkeit da sehen. Oder da hingeschickt werden. Plus es gibt viele Fanprojekte, oder einige, wo halt gar keine Frauen arbeiten, was ich auch bedenklich finde, weil man hat eine Vorbildfunktion."
FC St. Pauli ist ein Vorreiter
Unter den fortschrittlichen Fußballstandorten gilt der FC St. Pauli als Vorreiter. Die Sozialpädagogin Daniela Wurbs hatte hier zweieinhalb Jahre im Fanladen gearbeitet. Sie betreute eine junge Zielgruppe, Anhänger unter 16 Jahren.
"Das hat aber so eine Dynamik dann gehabt in der U16, dass meine männlichen Kollegen eher bewundernd angeguckt wurden, während die weiblichen Angestellten im Fanladen eher so eine Mutterrolle hatten, also sich denen zwar näher fühlten, aber die eigentlich so bewundernswerten und erstrebenswerten Menschen waren dann halt meine männlichen Kollegen. Deswegen habe ich dann in der U-16-Arbeit auch angefangen, tatsächlich die auch mehr in die Arbeit einzubeziehen, weil ich das Gefühl hatte, dadurch den Ehrfurchtscharakter diesem ganzen Verhältnis zwischen den Kids und meinen männlichen Kollegen zu entziehen."
Laut einer Studie des Antidiskriminierungsnetzwerks Fare, Football Against Racism in Europe, sind nur 3,7 Prozent der Führungspositionen im europäischen Fußball von Frauen besetzt. Von den 17 Mitgliedern des DFB-Präsidiums ist eines weiblich. Im Präsidium der Deutschen Fußball-Liga findet sich keine Frau. Das gleiche gilt für die meisten Vorstände, Aufsichtsräte, Kuratorien. Nach ihrer Zeit im Fanladen baute Daniela Wurbs als Geschäftführerin eines der wichtigsten Fannetzwerke auf, die Football Supporters Europe. Fast wöchentlich reiste sie zu Konferenzen und Workshops mit Funktionären, Polizisten und Sicherheitskräften. Mehrfach wurde sie mit Übergriffen und sexistischen Sprüchen konfrontiert.
"Bei einer Konferenz der europäischen Profiligen habe ich mit Vertretern vom russischen Verband, der russischen Liga und einem Trainer eines Profiteams zusammengesessen. Und da waren noch ganz viele andere dabei, aber ich war die einzige Frau. Und bin dann aufgestanden und habe gesagt: Gute Nacht noch, ich geh’ dann jetzt schlafen. Und dann wurde mir einfach nur so hinterhergeschrien: Sag’ uns jetzt sofort deine Zimmernummer. Und ich habe mich umgedreht, ich habe gemeint: Bitte?! Und dann meinte der so: Du sagst uns jetzt sofort deine Zimmernummer. Dann habe ich gesagt: das fällt mir nicht im Traum ein, ich werde jetzt ins Bett gehen. Und habe mich umgedreht und bin wortlos gegangen."
Daniela Wurbs hat darauf geachtet, dass möglichst viele Frauen im Entscheidungsgremium der Football Supporters Europe sitzen. Oft mussten diese überzeugt werden, während Männer sich selbstbewusst anboten. Das Netzwerk vertritt in 48 Ländern fast 3,5 Millionen Fans. Bei Veranstaltungen wie der Europameisterschaft koordinierte Daniela Wurbs 200 ehrenamtliche Helfer. Sie wollte ihre Arbeit für sich sprechen lassen, nicht ihre Rolle als Frau. Aber das wurde ihr schwer gemacht.
"Mir ist halt aufgefallen, dass insbesondere auf Polizeiveranstaltungen und Sicherheitskonferenzen erstaunlich wenige Frauen abends noch unterwegs sind. Dass die sich oft früher zurückziehen als einige der Männer. Es war schon so, dass ich danach mir überlegt habe, wie gehe ich jetzt auf solchen Konferenzen um, also gehe ich vielleicht auch früher. Und denke, ich lasse mir von euch nicht mein Leben einschränken. Ich weiß aber auch, dass das nicht alle Frauen können oder wollen, weil es auch sehr viel Energie und Kraft kostet, sich da die ganze Zeit oder auch nur gefühlt im Kopf immer darauf gefasst zu machen, dass man sich wehren muss gegenüber solchen Übergriffen."
Wanderausstellung über Frauen in der Fankultur
In einer der wenigen Fernsehreportagen über weibliche Ultras kam auch Daniela Wurbs zu Wort. Vor kurzem hat sie die Kommentarspalte zu dem Film auf Arte gelesen. Viel Häme und Hetze. Nach fast zehn Jahren hat sie die Geschäftsführung des Fannetzwerks abgegeben. Mit Kolleginnen wie Jule aus Bremen entwickelt sie nun eine Wanderausstellung über Frauen in der Fankultur, die "Fantastic Females". Ob die 92-jährige Dauerkartenbesitzerin aus Schottland oder die prügelnde Barmanagerin aus der Türkei, ob die Rollstuhlfahrerin aus Moskau oder Ultras aus Schweden. Die Ausstellung möchte Vielfalt abbilden. Die Tafeln und Videos sollen 2018 fertig sein – und ein Gegengewicht bilden zur klischeehaften Darstellung .
Wie Vorurteile bestärkt werden, zeigte die heimische Frauen-WM 2011. Der offizielle Slogan: "20elf von seiner schönsten Seite". Ein Spielzeughersteller brachte eine Fußball-Barbie auf den Markt. Ein Elektrofachmarkt warb mit dem Schriftzug: "Die schönste WM aller Zeiten". Für ein Kosmetikunternehmen posierten Nationalspielerinnen in engen Abendkleidern, ergänzt mit Tipps für Make Up und Haarpflege. Fünf Bundesligaspielerinnen ließen sich im Playboy ablichten. Die Hamburger Journalistin Nicole Selmer analysiert seit langem Geschlechterrollen im Fußball.
"Ich glaube, die Versuche, tatsächlich Frauen gezielt als Publikum anzusprechen, das sind diese Geschichten unter dem Stichwort Rosa-Fanartikel oder solche Aktionen, wie es gibt jetzt für Frauen den Special-Abend. Da gibt’s dann heute Sekt. Also solche Dinge, was dann halt wirklich nur so klischeehaft funktioniert. Und nicht einfach Frauen als Fans adressiert. Sondern sie als ,Oh Ihr seid ja ganz anders als Wir’."
Nicole Selmer ist stellvertretende Chefredakteurin des österreichischen Fußballmagazins Ballesterer. In Emails wird sie öfter mit Herr Selmer angeschrieben. Von männlichen Kollegen und Funktionären fühlt sie sich mitunter nicht ernst genommen. Wegen solcher Erfahrungen hatte Selmer schon 2004 ein Netzwerk mitbegründet: "F_in", Frauen im Fußball. Ein Austausch zwischen Fans und Wissenschaft, Journalismus und Sozialarbeit. Vergleichbare Stimmen gibt es außerhalb der Fachnische kaum: Allein die Sporthochschule Köln hat eine Professur für Geschlechterforschung im Sport eingerichtet. Die Profiklubs? Schweigen.
"Und es gibt natürlich vor allem jetzt in Deutschland den Druck auch im Moment nicht. Weil die meisten Stadien sind voll. Und den Druck gibt es an Orten in den unteren Ligen, bei manchen Drittligisten wahrscheinlich auch. Aber da gibt’s keine Marketingabteilungen."
Etliche Medien stützen diese Haltung. Das ZDF sendete anlässlich der Frauen-EM 2013 einen Spot, in dem eine Spielerin einen dreckigen Lederball in eine Waschmaschine kickt. Boulevardmedien beschrieben die Partnerinnen der Weltmeister 2014 als sorgenvolle Mütter oder anmutende Models. Zeitungen vermeldeten die Wahl von Laura Wontorra zur "heißesten Sportmoderatorin". Diese Ausrichtung auf ein heterosexuelles Männerpublikum kann Frauen abschrecken, glaubt Nicole Selmer. Aber wie können Vereine den weiblichen Anteil erhöhen?
"Ich würde Frauen fragen, und ich würde nicht nur Frauen fragen, sondern auch die anderen, die fehlen. Diese Rede vom Spiegelbild der Gesellschaft im Stadion: das wissen wir längst, dass das Unsinn ist. Dass da nicht unsere Gesellschaft unterwegs ist, weil unsere Gesellschaft eben nicht nur weiß und deutsch und hauptsächlich männlich ist. Und das ist noch nicht besonders viel passiert. Also auch bevor die Rosa-Fankollektionen auf den Markt gekommen sind, da ist garantiert auch nicht bei Frauen, die zum Fußball gehen, vorher nachgefragt worden. Das ließ sich an den Reaktionen ja deutlich ablesen."
Es geht auch anders. Die Arena des 1. FC Heidenheim, einem Zweitligaklub zwischen Stuttgart und Augsburg. Hier haben 2014 drei Frauen die "Societas" gegründet, eine weibliche Ultra-Gruppe. Sie hatten sich in der Fanszene auch vorher integriert gefühlt, vor allem bei den "Fanatico Boys", der wichtigsten Heidenheimer Gruppe. Doch die "Societas" wollen die Sichtbarkeit von Frauen stärken. Zu den prägenden Köpfen gehört Lea, ihren Nachnamen möchte sie nicht nennen.
"Ich hatte am Anfang ganz stark das Gefühl, dass wir stärker beobachtet wurden und dass es mehr auf eine Goldwaage gelegt wurde, wie viel wir supportet haben, ob wir vielleicht tatsächlich mal eine kurze Pause gemacht haben. Oder wie viel wir dann auch außerhalb von den Spieltagen da waren oder mitgearbeitet haben. Mittlerweile habe ich das Gefühl, dass sich das auf jeden Fall gelegt hat. Also es ist jetzt nicht mehr, dass das ständig im Fokus steht."
Das Klima in der Szene ändert sich durch Frauen
Die "Societas" besuchen Heim- und Auswärtsspiele. Mit anderen Gruppen gestalten sie Tribünenbanner und diskutierten über Gesänge. Sie geben Interviews, schreiben Internettexte, organisieren Veranstaltungen. Und zeigen selbstbewusst ihre Fahne. Darauf zu sehen ist eine schreiende Frau. Einmal zierte ihr Logo eine Choreografie und überspannte den halben Fanblock. Viele männliche Ultras hatten daran mitgearbeitet. Die Gruppe geht auf andere Frauen zu. Nach einer Probezeit gehören die neuen Mitglieder fest zur Gruppe. Und so wandelt sich auch das Klima in der Szene, erzählt die Studentin Lea.
"Also bei uns gibt es jetzt diesen oberflächlichen Sexismus gar nicht. Es sind dann mehr so Sachen wie: Wenn jemand eine Trommel trägt, und dann kommt jemand her und sagt: Boah, das ist aber ganz schön schwer, ich trag das für dich. Und man könnte das natürlich auch selber tragen. Und warum musst du mir das jetzt abnehmen, ich hatte jetzt keine Probleme damit. Solche Sachen sind das dann eher. Aber das ist schon Meckern auf hohem Niveau."
Die vermeintliche Schutzbedürftigkeit spielt auch an anderen Standorten eine Rolle. Auf Reisen übergeben Ultras ihre Zaunfahne mitunter einer Frau. Sie glauben, dass ihr Heiligtum dort sicherer ist vor dem Diebstahl gegnerischer Fans. In anderen Fällen sollen Frauen die Treffpunkte oder Stammkneipen von rivalisierenden Anhängern auskundschaften. Eine Sensibilisierung dagegen gibt es kaum. Bis heute lassen sich die Gründungen weiblicher Ultra-Gruppen bundesweit an zwei Händen abzählen. Einige haben sich aufgelöst, weil sie sich gut integriert fühlten – andere gaben entmutigt auf. Die Gruppe mit Lea will in Heidenheim weiterwachsen.
"Ich finde das tatsächlich immer ein bisschen erschreckend. Wenn wir dann auswärts unterwegs sind, dann schaue ich mir die Blöcke auch gerne mal an und gucke einfach nur nach weiblichen Fans. Es ist halt voll oft der Fall, dass ich keine einzige finde. Das finde ich so traurig. Und so schade, auch weil für die Gruppen an sich auch so viel Potenzial verschwendet wird, weil das dann auch noch mal zusätzliche Fans mitreinbringen würde."
Schon vor vierzig Jahren hat es in Turin eine weibliche Ultra-Gruppe gegeben. Die Zahl von selbstbewussten Frauenstimmen ist seither gewachsen, doch sie werden selten nach ihrer Meinung gefragt. Kommerz, Korruption, Menschenrechte: Man wüsste zu gern, wie Gegenwartsthemen des Fußballs diskutiert würden, wenn das Geschlechterverhältnis in den Kurven ausgeglichen wäre.