Alltagsheldinnen und Lokalexpertinnen
Forschung, Training, Mentoring, Networking. Sie haben alles versucht und kommen doch nur mühsam voran. Woran liegt es, dass Frauen in den Kommunalparlamenten - immer noch - so wenig Gewicht haben? Die Zahlen sind - im Jahre 2015 nach Christus, fast 100 Jahre nach Einführung des Frauenwahlrechts in Deutschland, 70 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges - ernüchternd. Ein Ausflug zu den Ortsparlamenten.
- "Ich mach eine Sendung für DRadio Kultur über Frauen in Kommunalparlamenten."
- "Um was geht's da?
- "Sie sind hier der Bürgermeister, von der CSU. Wo ist Ihre Frauenquote?"
- "..."
- "Sie haben eine 40-Prozent-Quote."
- "Wir haben eine 40-Prozent-Quote? Wir haben in Moosach ein Kommunalparlament."
- "Und wo sind die Frauen der CSU?"
- "Sind keine herein gewählt worden. Haben wir keine herin."
- "Um was geht's da?
- "Sie sind hier der Bürgermeister, von der CSU. Wo ist Ihre Frauenquote?"
- "..."
- "Sie haben eine 40-Prozent-Quote."
- "Wir haben eine 40-Prozent-Quote? Wir haben in Moosach ein Kommunalparlament."
- "Und wo sind die Frauen der CSU?"
- "Sind keine herein gewählt worden. Haben wir keine herin."
Die Zahlen sind besorgniserregend, meinen inzwischen nicht nur Gleichstellungsbeauftragte. Nur zehn Prozent Bürgermeisterinnen bundesweit, in Bayern sogar nur vier Prozent. Landrätinnen kann man hier an einer Hand abzählen. Generell lässt sich sagen, dass, je kleiner die Gemeinden, desto geringer der Frauenanteil in den Kreis- und Gemeinderäten. Von unter zwanzig Prozent bis zu Null. Allein in Baden-Württemberg kommen 64 Gemeinderäte ganz ohne Frauen aus.
Helga Lukoschat: "Ohne eine Veränderung der Strukturen in der Kommunalpolitik, die eben auch mit unterschiedlichen Lebenssituationen vereinbar sind, werden wir das Problem nicht langfristig lösen können. Es sind ja durchaus berechtigte Vorbehalte der Frauen gegenüber traditionellen Parteistrukturen, die männlich dominiert wahr genommen werden, von der Art auch, wie die Männer reden, wie sie miteinander umgehen, die Selbstverständlichkeit ihrer Netzwerke, wo die Frauen nicht reinfinden. Dann natürlich das ganz große Thema 'Zeitlicher Aufwand'."
Aber warum eigentlich? Es läuft doch alles in geordneten Bahnen, und das schon seit Jahrzehnten:
Helga Lukoschat: "Das stimmt schon. Ein System kann eine ganze Weile laufen. Und es läuft ja auch in geordneten Bahnen. Aber natürlich haben wir eine demographische Entwicklung, und wir sehen, dass wir in allen Bereichen, und da gehört die Politik auch dazu, dafür werben müssen, gut qualifizierte Leute in die eigenen Bereiche zu bringen. Und die Frauen sind da natürlich wirklich ein großes Potential. Das zweite ist natürlich auch, dass es eine gesellschaftliche Debatte gibt."
Die 1500-Seelen-Gemeinde Moosach besteht aus dem ursprünglichen Dorf und vielen zugezogenen Familien aus dem 40 Kilometer entfernten München. Moderne Einfamilien-Holzhäuser in oberbayerischer Idylle lassen auf einen grün-alternativen Mittelstand schließen. Der Ortskern ist eher zwecktechnisch. Ein ausladend betonierter Parkplatz, gerahmt von der örtlichen Spar-kasse, der Feuerwehr und einem weiteren, schmucklosen Betonbau, wo im oberen Stockwerk eine Zahnarztpraxis und im Souterrain das Rathaus untergebracht sind. Hier unten findet auch die monatliche Gemeinderatssitzung statt.
Dreizehn Mitglieder hat der Gemeinderat, inklusive Bürgermeister Eugen Gillhuber, CSU. Dass diese staatstragende CSU seit der letzten Kommunalwahl 2014 in Moosach nicht mehr die Mehrheit - und damit das Sagen - hat, empfinden die fünf gestandenen Mannsbilder sicht-bar als Schmach. Dass sie ohne Frauen auskommt, hat hier Tradition, so wie die drei schweren, Metergroßen Fahnen von Schützenvereinen und Kriegsveteranen in den Glasvitrinen, die dem kargen Kellerraum ein gewisses vorgestriges Flair geben. Absolut ungewöhnlich an diesem Ort ist, dass hier weder die SPD noch die Grünen vertreten sind, dafür jedoch seit 2001 die "Kommunale Wählervereinigung Frauen für Moosach", zwei Frauen der insgesamt zwölf Gemeinderäte: "Weil es in Bayern ganz speziell und in Moosach damals sehr speziell gar keine Frau im Gemeinderat gab und die Belange, die etwas Frauen spezifischer sind, auch unterversorgt waren. Und man hat auch gesehen, dass leider Gottes Frauen, die bei der CSU, also der Mehrheitspartei damals, auf der Liste aufgestellt waren, nach hinten durch-gereicht wurden, so dass die nie in den Gemeinderat gewählt wurden, obwohl es viele Sitze für die CSU damals gab."
20 Euro für eine Sitzung
Irmgard Bumeder gehört zu den Gründerinnen der "Frauen für Moosach". Was bei den anderen der Parteiapparat, bewerkstelligen die zwanzig Frauen des Vereins ganz ohne Gedöns und vielfach mit eigenen Mitteln. Obwohl es nur 20 Euro Aufwandsentschädigung für eine Ratssitzung gibt, ist das Engagement ungebrochen. Ohne Gerangel um Posten und Plätze, ohne Hierarchie, dafür mit Langmut und einem Programm, auf das Männer offenbar nicht von alleine kommen. Also neben den üblichen Bau-Anträgen, Gewerbegebieten und der Beleuchtung des Parkplatzes auch mal zu fragen, wem was eigentlich nützt, und was berufstätige Frauen und Mütter brauchen. Nämlich Kindergärten, Hortplätze, sichere Schulwege, undundund: "Wir haben erreicht, die Mittagsbetreuung wirklich auf solide Füße zu stellen. Wir haben den Gehweg durchgesetzt. Natürlich stellen wir fleißig Anträge. Wie geht das? Ja- Es geht so, dass man das natürlich rechtzeitig im Vorfeld tun muss und dann auch schon mal gleich auch an alle anderen Gemeinderäte verteilen muss, so dass es nicht mehr so hinten runterfallen kann. Es geht nicht so, dass man das einfach nur dem Bürgermeister schickt."
Kommunalwahlen sind Persönlichkeitswahlen, hat auch Irmgard Bumeder festgestellt. Die hochspezialisierte Internistin in einer großen Praxis in München, verheiratet, ein Sohn, weiß aber auch, dass Frauen immer noch mehr von Männern erwarten: "Es ist halt leider nicht automatisch so, dass ne Frau zu ner Frau kommt, wenn sie ein Interesse vertreten haben möchte. Sondern sie geht halt dahin, wo sie denkt, da kann ich's am leichtesten durchsetzen. Und wenn das ein Mann ist, ist es halt ein Mann. Also, es wählen nicht automatisch Frauen Frauen, egal, von welcher Couleur die sind."
"Und wir haben doch Angela Merkel! Das kommt doch immer, ja, wir haben doch Angela Merkel! Schön, wenn wir Angela Merkel haben, aber was hilft uns die Bundeskanzlerin, wenn wir unten von Männern umzingelt sind in den kommunalen Gremien?"
Regina Thum-Ziegler hat gar nichts von Angela Merkel. Die umtriebige Sozialbetriebswirtin und Psychologin gehört zu den zehn Gründungsmüttern der „Frauenliste" in Wemding, einem hübschen, mittelalterlichen Städtchen im Donau-Ries mit über fünfeinhalb Tausend Einwohnern. Hügeliges Schwabenland. Das mit der Frauenliste sei reine „Notwehr" gewesen, 1996, gegen den „Dorfgeist" und die katholische Kirche, die ihren Kindergarten nur von 9 bis 12 geöffnet hatte, erklärt Regina Thum-Ziegler: "Das war ja unser erstes Wahlprogramm, Kinderbetreuung stand ganz oben, ganz klar. Es war - man hat uns eigentlich nicht ernst genommen mit unseren Bedürfnissen, und dann haben wir gesagt, o.k., dann machen wir's halt selber."
Achtzehn Jahre war Regina Thum-Ziegler im Stadtrat von Wemding, seit zwölf Jahren sitzt sie im Donauwörther Kreistag. Die ganze Klaviatur von Ignoranz über Missachtung bis Sexismus hat die kämpferische Feministin erleben dürfen, egal, ob es um anzügliche Bemerkungen von Ratskollegen, das namenlose Abschiedsfoto in der Jahreschronik oder die haushoch verlorene Wahl zur Bürgermeisterin ging. Obwohl sie mit ihren Mitstreiterinnen mit dem mittlerweile umfangreichen Verein „Kinderherz" die Betreuungssituation in Wemding um 180 Grad gedreht und die Vollversorgung gestemmt hat. Obwohl sie immer auf eine "vernünftige", nachvollziehbare und nachhaltige Politik gesetzt hat. Obwohl sie in Wemding in einer Großfamilie fest verwurzelt, katholisch und ehrenamtlich tätig ist, zwei Kinder und einen Ehemann hat, die sie unterstützen, und obwohl sie auf ein großes Frauennetzwerk zurückgreifen kann, ist sie doch nur, wie sie sich eingesteht, "der Merkzettel" im Gedächtnis ihrer männlichen Ratskollegen geblieben. Trotzdem hält sie die reine Frauenliste für alternativlos: "Wir stellen fest, sobald Frauen in ihren Parteien sind, in ihren Fraktionen, gehen Schubladen zu, und die Solidarität nimmt ab. Wir sind Konkurrentinnen. Und dann wird einem die Existenzberechtigung abgesprochen. Wir sollen doch alle in Parteien gehen, uns schön vermischen und ja keinen solchen Blödsinn machen wie Frauenliste Bayern und bei der Landtagswahl antreten. Es gibt so ein sich langlebig haltendes Vorurteil, dass Frauen miteinander nicht können. Ich weiß, wir können alles erreichen, wenn wir zusammen halten."
Immerhin halten sich kommunale "Frauenlisten" außer in Bayern noch in Baden-Württemberg, Brandenburg und Sachsen über mehr als eine Wahlperiode, auch wenn sie nicht mehr als zwei Mandate erringen. Die Politologin Helga Lukoschat von der Europäischen Akademie für Frauen, EAF: "Ich finde, die Dominanz der Parteien auch in der Kommunalpolitik eher bedenklich und fände es gut, wenn wir auch auf Seite der Parteien viel mehr Öffnung hätten, Menschen auch Listenplätze anzubieten, die jetzt nicht Parteimitglied sind. Was ja auch schon gemacht wird, auch aus dem Thema Nachwuchsmangel und Notwendigkeit."
Gemeindewechsel, nochmal in Bayern. In den mit dem Nimbus „größte Millionärsdichte" belegten Landkreis Starnberg. Gemeinde Wörthsee, allerschönstes Oberbayern mit einem traumhaft am See gelegenen Rathaus. Fast 5 300 Einwohner, sehr viele Zugezogene, die sich die wunderbare Landschaft südwestlich von München leisten können: große Grundstücke, große Häuser, große Autos. CSU-Stammgebiet, in dem die Parteizugehörigkeit scheinbar genetisch weitergegeben wird, und die politischen Ämter dazu in Erbfolge. Immer noch stellt sie mit Abstand die größte Fraktion im Gemeinderat. Doch plötzlich, vor einem Jahr, geschah das gleich dreifach Unfassbare: Eine Haus-Frau auf der Liste der SPD schlägt in der Stichwahl den CSU-Bürgermeisterkandidaten, und zwar deutlich: "Als ich vereidigt wurde an dem Tag, da hatte hier ich noch jemanden vom Starnberger Merkur, der mich interviewen wollte, und dann bin ich raus, und dann standen da lauter Frauen, die mit Rosen so ein Spalier gebildet haben, weil jetzt endlich eine Frau Bürgermeisterin geworden ist."
Christel Muggenthal ist jetzt 59, verheiratet, vier inzwischen große Kinder. Zwölf Jahre war sie schon Gemeinderätin, als sie beschloss, für die Führungsrolle ins Rennen zu gehen. Und dann hat sie, obwohl sie seit 23 Jahren in der Gemeinde lebt und in vielen Umwelt- und Sozialinitiativen engagiert, also eigentlich doch bekannt war, sechs Tage die Woche an jeder Haustür in der Gemeinde geklingelt, wochenlang "und hab mich vorgestellt, alleine, und schön gesagt, dass sie jetzt die Gelegenheit haben, mir mitzuteilen, was sie der Gemeinde schon immer mitteilen wollten, und dann kamen meistens wirklich gute Gespräche zustande. Ich hab in der ganzen Zeit zwei unfreundliche Abfuhren bekommen - wähl ja Sie eh net, sowas Raunziges halt, wie's der Bayer gern macht. Aber sonst waren die immer offen, es kamen wirklich interessante Gespräche zustande, viele haben mich 'reingebeten, und man lernt in der Zeit auch sehr viel über sich selber."
Probleme werden ausführlich diskutiert
Sie habe während des Klinkenputzens im Wahlkampf nicht nur die Bürgerinnen und Bürger kennengelernt, sondern auch sich weiterentwickelt, findet Christel Muggenthal. Genauso erstaunt hat sie allerdings auch der Gemeinderat nach ihrem Rollenwechsel: "Ja, toll ist, wenn ich jetzt anfange zu sprechen, ist alles still und hört mir zu! Das ist man ja sonst nicht so gewöhnt."
Sie selbst hört anderen auch zu. "Auch so 'n Frauending", meint sie, und lässt Probleme - überhaupt die anstehenden Themen - gern ausführlich diskutieren: "Die Frauen, die reden halt auch über die Probleme, die sie sehen. Die reden konstruktiv, also Problem lösend. Es gibt natürlich Männer, die gerne reden, das wissen wir alle, aber das muss dann nicht unbedingt problemlösend sein."
Bei der Frage nach den Eigenschaften, die eine Bürgermeisterin haben sollte, überlegt sie: "Sie soll kommunikativ sein und offen sein für Ideen, Projekte und und energisch: "Ja, bei Zeiten schon. Deswegen war ich ja auf dem Seminar „Raus aus der Harmonie-falle!", dass ich vielleicht zu - zu nett bin. Oder dass man nicht immer lächeln soll, wenn man ernste Dinge sagt, oder traurige Dinge nicht freundlich lächelnd, weil, das passt nicht zusammen. Ich glaub, das ist ein richtiges Frauending, dass man mit sich selbst viel kritischer ist als andere."
Aber für sie auch eine gute Arbeitsgrundlage, um nicht wie ihr Vorgänger in absolutistischer Selbstherrlichkeit zu landen. Christel Muggenthal will Transparenz und aktiviert Bürgerbeteiligung. Unter ihrer Leitung gibt es „Workshops", zur Ortsentwicklung, zum öffentlichen Nahverkehr, zum Tourismus. Bis ein Konsens da ist nach dem Prinzip: Alle sind beteiligt, und alle sind mit verantwortlich. Und sie ist für jeden ansprechbar, ob beim Einkaufen oder im Rathaus, das im wahrsten Sinne des Wortes niedrigschwellig ist: "An so Tagen wie heute, wenn wenig Belegschaft da ist und wenn offen ist, dann irren hier die Bürger rum und dann so: Hallo! Hat einer mal gesagt, das gibt's ja nicht, ich komm hier hoch und steh im Büro der Bürgermeisterin! Haben Sie keine Sicherheits-kräfte? Nö, brauche ich nicht."
Angelika Niebler: "Also, wir haben einfach mal mit der 40 Prozent-Quote begonnen. Für mich war nie entscheidend die Frage, mit welcher Prozentzahl wir ins Rennen gehen. Für mich war das Wichtigste, dass wir das Thema Frauenförderung in der Partei ganz oben, top prioritär auf die Tagesordnung setzen, dass in der ganzen Partei mal diskutiert wird, wie schaffen wir es, mehr Frauen für unsere Partei und für politische Mandate und für die Politik überhaupt gewinnen. Eine Volkspartei wie die CSU, die den Anspruch erhebt, auch ein Spiegelbild der Gesellschaft zu sein, kann einfach nicht einen Frauenanteil von unter 20 Prozent haben."
Tatsächlich ist der Frauenanteil in der CSU der niedrigste von allen Parteien. Den höchsten mit rund 38 Prozent haben die Grünen und die Linke. Dann, absteigend, mit knapp 32 Prozent die SPD, dann folgt die CDU mit knapp 26, dann die FDP mit 23, schließlich die CSU. Insofern erschütterte die von der CSU-Frauenunion und ihrer Vorsitzenden Angelika Niebler aufgezwungene Quotendiskussion die traditionelle Männerpartei bis ins Mark. Überraschender als die widerborstigen Männer war die vehemente Ablehnung durch junge Frauen, die immer noch glauben, die Quote schade ihrem Ansehen, weil allein Kompetenz und Auftreten zählten, und sie als Vorsitzende der Jungen Union oder als Generalsekretärin doch der lebende Beweis für Chancengleichheit seien. Alter und neuer Zeitgeist konnten sich aber auf dem historischen Parteitag 2010 insofern behaupten, als die 40-Prozent-Quote auf die Parteiämter der Landes- und Bezirksebene beschränkt wurde. Immerhin ein Beschluss mit "Signalwirkung", meint Angelika Niebler: "Auf Orts- und Kreisebene ist es ungleich schwieriger. Also, da sind die Strukturen auch sehr, sehr unterschiedlich. Wir haben Orts- und Kreisverbände, da haben wir einen Frauenanteil von über 50 Prozent, das gibt's ja auch. Und wir haben Orts- und Kreisvorstände, da ist der Frauenanteil bei uns noch unter 20 Prozent. Und man muss ja auch sehen, sowas muss auch wachsen. Frauenförderung ist ein Prozess."
Kaum Frauen in den Parteien, kaum Frauen in den Ämtern
Und so hatte man 2010 auch beschlossen, "2013 eine Quote für die Orts- und Kreisverbände in Betracht zu ziehen". Aber wie es so geht, 2013 hatte man offensichtlich wichtigere Themen. Der Kelch ist auch deshalb an der Basis vorbei gegangen, weil es kaum noch Frauen in die Parteien zieht. Weil Frauen, wie Angelika Niebler es nennt, in der „Rush-hour" ihres Lebens genug damit zu tun haben, ihr Zeitbudget zwischen Familie, Beruf und Freundeskreis zu managen, und wenn, sich lieber ehrenamtlich als parteipolitisch engagieren. Dabei hat die Frauenunion im Unterschied zu den sang- und klanglos in der Nichtigkeit verschwundenen Frauenorganisationen der anderen Parteien in den letzten Jahren ein beeindruckendes Einflusspotential entwickelt. Die Quote war das eine. Ein ausbaufähiges Netzwerk, das Frauenkarrieren sponsert, das andere: "Ist halt gut, wenn Sie was sagen, und es geht nochmal ne andre Frau drauf und sagt, das ist natürlich richtig, was Frau Dr. Niebler gerade thematisiert hat, oder mh - also, das sind so die kleinen Gesten, das kleine Einmaleins, wie Männer das ja auch machen. Das muss man im politischen Geschäft lernen, und da hilft so ein Frauennetzwerk natürlich schon sehr."
Die promovierte Rechtsanwältin Angelika Niebler ist ein Paradebeispiel dafür, was frau alles zu leisten imstande ist und zu leisten hat, um in der Politik Erfolg zu haben. Und auch das muss frau mögen: "Ich glaub nicht, dass die Strukturen in der Partei verantwortlich dafür sind, dass die Frauen nicht kommen. Das ist dann eher ein Hinderungsgrund, dass die Frauen gerade auch über die mediale Wahrnehmung, wie wird Politik gemacht, oft den Eindruck gewinnen, da geht's gar nicht so sehr um die Sache, sondern da geht's um Machtspielchen."
Es geht in den Nordwesten der Republik, in die niedersächsische Provinz. Flaches Land, viele Baumschulen, viele Gewerbegebiete, die Schweinemast und Landwirtschaft weitgehend verdrängt haben. Im Sommer viele Touristen, die sich auf dem Fahrrad den Wind um die Nase wehen lassen. Mitten im Landkreis Ammerland das „Zwischenahner Meer" mit dem „Kurort" Bad Zwischenahn. Die Eingemeindung der Bauernschaften und die zahlreichen Neubaugebiete, in die meist Rentnerehepaare aus NRW eingezogen sind, haben die Gemeinde Zwischenahn auf 28 000 Einwohner anwachsen lassen.
Bei der letzten Kommunalwahl 2011 sackte der Frauenanteil im Ammerland von 21 auf 19 Prozent. Für den Zwischenahner Gemeinderat heißt das: bei UWG und FDP wie gehabt keine Frau, bei den sechs Grünen zwei Frauen, wovon eine, der die dicke Haut im Politdschungel einfach nicht wachsen wollte, gerade zurückgetreten ist. Unter den zwölf SPD-Räten sitzen vier Frauen, die auch gar nicht auffallen wollen. Bei den dreizehn CDU-Leuten zwei. Davon ist die eine Maria Bruns, die einzige Fraktionsvorsitzende im Rat und die einzige Frau, die den Mund aufmacht: "Ich hatte immer das Gefühl, dass diejenigen, die mir sagten, mach das mal, das auch wollten, und das unabhängig machten, ob ich eine Frau bin oder nicht, sondern weil sie mir das zutrauten. Glaube aber, dass man vielleicht sich Frauen nicht so zuwenden wird als Mann, wenn man diese Quote nicht sozusagen im Nacken hat."
Maria Bruns war schon als Schülerin in der CDU aktiv, war sogar Vorsitzende der Jungen Union, im Ruhrgebiet, wo ihr Vater Bürgermeister war und die CDU in der Diaspora. Erst mit ihrer Heirat kam sie ins behäbige Ammerland, und erst, als sie durch ihre vier Kinder mit der niedersächsischen Schulpolitik konfrontiert wurde, entschloss sie sich, zuerst in den Kreistag und dann in den Gemeinderat zu gehen. Jetzt sitzt sie in beiden. Die studierte Juristin gilt als pragmatisch, weltgewandt, souverän. Wäre die 51jährige Maria Bruns mit ihrer Erfahrung, Unerschrockenheit und Unabhängigkeit nicht eigentlich prädestiniert für den Bürgermeister-Posten im Zwischenahner Sumpf? "Ich möchte nicht Bürgermeisterin von Bad Zwischenahn werden, ganz eindeutig nein, das wäre mir zu viel Arbeit. Das, was ich immer mal gerne gemacht hätte, weil ich viel Schulpolitik gemacht habe, wäre Landtag. Aber im Landtag ist Jens Nacke. Ja, so ist es halt. Sie müssen ja einen Wahlkreis haben. Und dagegen würde ich nicht kandidieren, aber einfach, weil er gute Arbeit macht."
Melanie Greulich: "Ja, jajaja! Ja, 50 Prozent! Frauen in die Räte, natürlich, klar, gerne!"
Politische Arbeit zu anderen Uhrzeiten - ganz einfach
Ja, wie denn? Auch wenn alle Parteien in den letzten Jahren Quoten beschlossen haben, bleiben ja trotzdem die Frauen aus. Selbst die Grünen, die das strikte 50-Prozent-Reißverschlussprinzip auf ihren Listen nach dem Schema Frau-Mann-Frau-Mann eingeführt haben und für eine gerechte Geschlechteraufteilung schlechthin stehen, haben auf kommunaler Ebene erhebliche, weibliche Nachwuchsprobleme. Im Kreistag, dem der Ammerländer Ortsgemeinden übergeordneten Kommunalparlament, sieht das dann so aus: 46 Abgeordnete insgesamt, davon sechs Frauen, davon eine Grüne, Susanne Miks aus der Gemeinde Wiefelstede: "Das ist beschämend, sicherlich. Auf der anderen Seite zeigt es, glaube ich, auch, wie Frauen sich in dieser Gesellschaft wahrnehmen und wie Frauen auch wahrgenommen werden. Weil, es bestünde sicher die Möglichkeit, dadurch, dass die politische Arbeit zum Beispiel zu anderen Uhrzeiten stattfindet, oder dass Frauen nochmal ganz klar gesagt wird, wenn sie Kinderbetreuung brauchen, dass die auch finanziert wird, ich glaube einfach, dass da offener und transparenter miteinander gearbeitet werden muss, damit Frauen, die ja nun doch eindeutig ein anderes Leben führen als Männer, dass denen auch mal wirklich ein bisschen der Weg bereitet wird. Weil, das trauen sich einfach viele Frauen nicht, sich diesen Weg selber frei zu räumen."
Und was tun die Grünen dafür? Die Kreistagsabgeordnete Susanne Miks staatlich geprüfte Erzieherin, vollzeitberufstätig, kommt eigentlich aus der kirchlichen Jugendarbeit und ist über Umweltthemen zu den Grünen und 2006 in den Kreistag gekommen. versucht, die hehren Slogans ihrer Partei wie "GeschlechterMachtOrdnung!" unter das Volk zu bringen und machte dazu letztes Jahr eine große Veranstaltung mit einer Kommunalpolitikerin aus Schweden. Die Zuhörerinnen wären über die schwedischen Verhältnisse so begeistert gewesen, dass sie sofort in die Kommunalpolitik gezogen wären, wenn sie denn so wie in Schweden praktiziert würde, berichtet Susanne Miks: "In Schweden ist so toll, dass Männer und Frauen sich wirklich miteinander auseinandersetzen. Also, da geht es nicht gegeneinander, wie wir das hier häufig erleben, sondern da gibt es ein stärkeres Miteinander. Und die jungen schwedischen Frauen haben auch nicht diese Rückschritte in der Emanzipationsbewegung, wie wir es gerade bei uns in Deutschland erleben, sondern dass dort die jungen Frauen viel stärker sind, weil sie ihre Mütter oder auch die Frauen in den Nachbarschaften, in der Familie, viel mehr als Vorbild wahrnehmen, wo sie sagen, die Reise ist gut. Da möchte ich auch ganz gerne hin."
Während man in Schweden schon mal ganz praktisch eine Quotierung in den Redebeiträgen eingeführt hat und ja auch sonst "Lichtjahre voraus" ist, versucht man es in Deutschland erst einmal mit "Mentoring-Programmen". Die CSU-Frauen Union, die EAF, die der Friedrich-Ebert-Stiftung nahestehende FrauenKommunalAkademie und das niedersächsische Sozialministerium sind seit einigen Jahren durchaus erfolgreich mit einer Art Bildungs- und Qualifizierungsoffensive, um Frauen den Einstieg in die Politik schmackhaft zu machen. „Politik braucht Frauen!" steht tatsächlich mit Ausrufezeichen auf einem der Mentoring-Flyer. Und das kommt dabei raus: Melanie Greulich, CDU, seit 2011 im Rat der Gemeinde Edewecht: "Ja, 50 Prozent! Frauen in die Räte, natürlich, klar, gerne!"
Sie sei "der Klassiker", Vorsitzende des Kinder-, Jugend- und Sozialausschus-ses, außerdem im Schulausschuss und im Sport- und Kulturausschuss. Verheiratet, zwei Kinder, berufstätig, und Spaß an der Politik: ((Auch in Edewecht sind im 34-köpfigen Gemeinderat nur sechs Frauen. Leider, findet Melanie Greulich: "Aber da ist der Spagat wieder, wer hat Zeit, wer hat Lust und wer hat das Engagement auch, sich viele Sachen auch anzulesen, weil man will ja auch vernünftig argumentieren. Reicht ja nicht, da zu sitzen und zu sagen, mh, ich bin jetzt im Rat, weil - keine Ahnung - alle meine Freunde und Nachbarn mich gewählt haben, sondern ich muss mich ja auch wirklich engagieren wollen. Wenn man schon gestresst ist von Familie, vielleicht nebenberuflich noch was macht, oder sogar Vollzeit, und dann noch abends - ist ja auch die Frage, wie trägt die Familie das. Ich hab da nen sehr toleranten Ehemann, der sagt, mach man. Aber so ist es ja auch nicht bei jedem."
Eine halbe Fahrradstunde von Bad Zwischenahn entfernt liegt Edewecht. Im Rathausflur kann man es auf den Gruppenfotos der Gemeinderäte deutlich sehen: Bis 1976 war die Welt auch hier noch schwer in Ordnung. Dann blitzen vereinzelt Dauerwellenköpfe zwischen den schwarzen Anzügen auf. Und dann das: "2001 waren wir erst fünf Kandidaten und dann Stichwahl ja zu zweit, da hatte ich deutlich über 60 Prozent. 2006 gab's keinen Gegenkandidaten, da waren es 91Komma irgendwas. Und 2013, gab's auch keinen Gegenkandidat, da waren es 85,4 Prozent."
Das Wunder von Edewecht
Das Wunder von Edewecht heißt Petra Lausch, geboren und aufgewachsen im Ort, heute 49 Jahre alt, parteilos, studierte Betriebswirtin mit Diplom und Auslandserfahrung in Kanada. Ihre Tochter war neun und sie allein erziehend, voll berufstätig und ohne Politikerfahrung, als sie vor nunmehr 14 Jahren von der SPD-Fraktion gefragt wurde, ob sie nicht auf deren Liste fürs Bürgermeisteramt kandidieren wolle. Was macht sie so anders als sämtliche Bürgermeister drum herum und vor ihr: "Bei der Wahl war ich authentisch, das war ich bei den anderen beiden Wahlen auch, aber bei der ersten Wahl war das hier für viele im Ort ganz neu. Authentisch heißt, ich hab mir überlegt, für was kann ich einstehen, also was ist realistisch, und hab dann auch gesagt, ich stehe für offene und transparente Politik, für Bürgernähe, für offene Entscheidungsprozesse, und das habe ich auch durchgezogen, bis heute übrigens. Und ich habe Hausbesuche gemacht. Das kannte man hier in Edewecht überhaupt nicht, diese direkte Ansprache und dieses Offene."
Sechseinhalb Tausend Einwohner hat der lang gestreckte, zusammengewürfelte Ort, mit allen Dörfern im weitläufigen Gemeindegebiet zusammen sind es knapp 22 000. Viele Familien, die hier wohnen. Viel Landmaschinenbau, die größte Käserei Europas, chinesische Investoren, die sich Baumschulpatente gesichert haben, "Meica"-Würstchen, ein berühmter Pferdezuchthof und das einzige, kommunal betriebene Altersheim in Niedersachsen. Die Bürgermeisterin Petra Lausch sieht sich als Mittlerin und Entscheiderin, nicht als Lobbyistin. Dass sie auch noch eine Ausbildung als Mediatorin hat, wobei man doch zum Bürgermeister gar keine Ausbildung braucht, trägt sicher zu ihrem transparenten, offenen Stil bei: "Also, ich erlebe jedenfalls, die Frauen, die bei uns im Gemeinderat so sind, dass sie wirklich viel nachfragen. Die wollen dann eine nachvollziehbare Antwort haben. Und das ist bei mir auch der Fall. Also, wenn ich hier Fragen an meine Mitarbeiter habe, dann will ich's auch genau wissen. Weil, wenn ich beim Einkaufen angesprochen werde, warum habt ihr die Schwimmbadzeiten geändert, möchte ich darauf eine nachvollziehbare Antwort geben können."
Wer so - ehrlich, authentisch, verantwortlich - regiert, kann ernten. Eine geradezu herzliche Atmosphäre herrscht bei den Gemeinderatssitzungen. Es gibt einen aktiven Jugendgemeinderat. Die vielen neuen Flüchtlinge kommen in eine gut vorbereitete und empfangsbereite Gemeinde. Innovative Erfolge auch im schulischen Bereich. Undundund. Bei ihrem beruflichen Arbeitspensum, hat Petra Lausch mal errechnet, verdient sie umgerechnet 25 Euro die Stunde. Sie ist zufrieden. Auch wenn sie in der Lokalzeitung manchmal 'runtergeschrieben wird: "Man hat suggeriert, ich würde mit meinen Ehrenämtern mehr Geld verdienen als mit meiner Hauptaufgabe hier als Bürgermeisterin. Und das hatte einzig und allein damit zu tun, dass man versucht hat, meinen Leumund vor der Wahl zu beschädigen. Weil es fachlich nicht ging, weil ich ja 13 Jahre gute Arbeit gemacht hatte, oder 12 Jahre zu dem Zeitpunkt, hat man versucht, mich persönlich anzugreifen. Hab natürlich aber mit 85,4 Prozent dann, glaub ich auch, nen guten Rückhalt gehabt und verdeutlicht, ihr könnt soviel mit Dreck schmeißen, wie ihr wollt, die Bürger wissen das zu würdigen."
Susanne Miks schaut in solchen Situationen dann in ihr IPad bei den von ihr aufgelisteten „Spielregeln" nach, um sich wieder aufzurichten: "Informationen sind Macht. Attacken sind ein Spiel. Nicht ernst nehmen. Zeigen Sie keine Angst. Frauen sind keine Konkurrenz für Männer, Ausrufezeichen oder Fragezeichen. Wichtig ist auch, meinen weiblichen Stärken vertrauen. Foult mich jemand, dann foule ich härter zurück, also das, was Frauen ungerne machen, ich auch nicht. Aber manchmal muss man sehen, dass man vorankommt. Ich bin nicht der Bauer, der geopfert wird, ich bin die Dame im Schachspiel!"