Frauen in der Ostergeschichte

Moderation: Kirsten Westhuis |
Sie verfolgten die Hinrichtung Jesu, sie entdeckten das leere Grab: In der biblischen Ostergeschichte spielen Frauen eine wichtige Rolle. Wir sprechen mit der Schweizer Theologin Luzia Sutter Rehmann über mutige Jüngerinnen, die Symbolgeschichte des Kreuzes und die Kraft der Auferstehung.
Kirsten Westhuis: In dieser Woche, der sogenannten heiligen Woche, spielt sich das gesamte Kar- und Ostergeschehen ab, die höchsten Feste des christlichen Kirchenjahres werden gefeiert. Den Auftakt bildete am vergangenen Sonntag der Palmsonntag mit dem Gedenken an den Einzug Jesu nach Jerusalem. Dort feierte er der Überlieferung nach mit seinen Vertrauten das letzte Abendmahl, bevor er verraten, ausgeliefert, zum Tode verurteilt wurde und den gewaltsamen Tod am Kreuze starb, bevor er dann am dritten Tage auferstand.

Berichte dieser Kerngeschehnisse sind in allen vier Evangelien des Neuen Testamentes der Bibel zu finden. Diese letzten Tage im Leben Jesu und die Ereignisse rund um sein Kreuz wiederum inspirierten viele Künstler zu ihrem Schaffen. Im Mittelpunkt von Romanen wie zum Beispiel "Mirjam" von Luise Rinser oder "Die Regenhexe" der litauischen Schriftstellerin Jurga Ivanauskaite stehen Frauen – Frauen, jenseits der Hauptfiguren. Frauen, die Jesus als Jüngerinnen gefolgt sind und an seinem gewaltsamen Tod litten und zu zerbrechen drohten.

Auch in den Originaltexten der Bibel werden Frauen genannt: Bei der Kreuzigung werden sie aufgezählt. So heißt es zum Beispiel im Johannesevangelium: "Bei dem Kreuz Jesu standen seine Mutter und die Schwester seiner Mutter, Maria, die Frau des Klopas und Maria von Magdala."

Wie blicken Frauen auf das Kreuz? Ich habe vor der Sendung mit Luzia Sutter Rehmann gesprochen. Sie ist Titularprofessorin für das Neue Testament an der Universität Basel und Pfarrerin der evangelisch-reformierten Kirche. Und als erstes habe ich sie gefragt, welche Rolle die Frauen rund um das Kreuz spielen?

Luzia Sutter Rehmann: Ja, das sind halt präsente Augenzeuginnen des Geschehens, sie sind die Freundinnen, die Gefährtinnen Jesu, und sie konnten zwar nicht ganz nahe dabei sein, weil das war viel zu gefährlich, aber sie sahen von Ferne zu. Das ist eigentlich in allen Evangelien ganz wichtig, dass sie Jesus, so gut sie konnten, begleitet haben – nicht ganz nahe, aber von ferne.

Westhuis: Es war gefährlich, ihm nahe zu sein im Moment der Kreuzigung, die Anhänger Jesu wurden verfolgt. Hat das eine besondere Bedeutung, dass hier dann die Frauen explizit genannt werden, dass sie doch in der Nähe sind im Gegensatz zu den vielleicht flüchtenden Männern, waren sie mutiger?

Rehmann: Ja, das hätten wir gerne. Also ich neige dazu, ja zu sagen, aber ehrlichkeitshalber, im Markus-Evangelium ist es wirklich so, dass am Ende alle flüchteten und alle nichts sagten. Es hört ja mit dem großen Schweigen auf, und das betrifft dann Männer und Frauen unter den Jüngerinnen und Jüngern. Aber beim Kreuz sind die Frauen hervorgehoben, das stimmt. Ich lese das so als – sie sind Vertreterinnen des Volkes, und das ist sehr häufig in biblischen Texten, dass die Frauen das sind. Also Miriam, die Mutter Jesu, die das Magnifikat singt im Lukas-Evangelium, das ist ein Lied der Volksprophetin, die sie spricht für das ganze Volk, nicht nur für die Frauen. Und das müssen wir heute vielleicht mehr wieder lernen, dass Frauen für das Ganze sprechen können, also wenn Frauen erwähnt sind, ist das nicht, Frauen im Gegensatz zu den Männern, sondern sie sind eigentlich die Vielheit, das Volk, da wimmelt es.

Westhuis: Frau Sutter Rehmann, gibt es denn dennoch einen weiblichen Blick auf das Kreuz, die feministische Theologie, wie blickt sie auf das Kreuz?

Rehmann: Ja, da gibt es natürlich ganz viele verschiedene Blickrichtungen. Also ich als Neutestamentlerin vertrete auch die historische feministische Blickrichtung, die Wert darauf legt, im Kreuz nicht ein Symbol zu sehen, nicht etwas Patriarchales, Schreckliches, das man einfach mit bunten Bändern oder mit Ostereiern verziert, und dann wird es schön, sondern als ein Hinrichtungsinstrument. Und es war damals wirklich nichts Symbolisches, sondern es war schrecklich konkret. Und das verbindet uns mit der Menschlichkeit und mit der Geschichte Jesu und überhaupt heute auch mit der Geschichte, also dieser Blick, nicht wegzuschauen, wo zugeschlagen wird, wo gequält wird, wo ausgegrenzt wird, sondern genau da das Lebendige zu suchen, also für die Opfer einzustehen und einzustehen, dass die Verhältnisse geändert werden, das ist unsere Aufgabe, diese eine feministische Blickrichtung.

Westhuis: Eine übliche Deutung des Kreuzes ist ja auch, dass Jesus gestorben ist als Sühneopfer für die Menschen, für die Menschen hat er gelitten, für ihre Schuld, auch für die individuelle Schuld des Einzelnen?

Rehmann: Ja, da sind Sie natürlich jetzt mitten in den theologischen Auslegungen verschiedener Jahrhunderte. Ich betone, oder die Befreiungstheologie betont natürlich die kollektive Schuld, die wir haben, an der wir Anteil haben, heute zum Beispiel in der Naturzerstörung oder der Ausgrenzung ganzer Armutsschichten von unserem Wohlstand. Das sind Schuldanteile, die wir ererben, also da werden wir hineingeboren, und wir können mitmachen, oder möglichst nicht mitmachen und versuchen, das zu verändern. Und Jesus ist eigentlich die Kraft oder die Power, die uns auf die Seite zieht, nicht mitzumachen, nicht weiter Kreuze aufzurichten, sondern die Kreuze zu umarmen, damit sie gelegt werden, damit sie verschwinden.

Westhuis: Das Kreuz, erst mal nur das Hinrichtungsinstrument, für den gewaltsamen Tod steht es, wurde dann aber doch zu dem Symbol des Christentums. Wie wurde es dazu?

Rehmann: Also das Christentum hat ja eine lange, abenteuerliche Geschichte hinter sich mittlerweile. Zur Zeit Jesu, also kurz danach, als die Evangelien geschrieben wurden, war das Kreuz ein Hinrichtungsinstrument für politisch Aufständische. Und in Jerusalem und in dieser Gegend gab es sehr viele Unruhen gegen Rom, gegen die Staatsmacht des Kaisers, und das war noch einige Jahrzehnte wirklich die Hinrichtungsart, da musste man nichts darüber deuten. Da wusste man, so ein Mensch ist für sein Volk hingerichtet worden, damit das Volk still ist, also als Befriedungsinstrument. Später dann, als das Christentum römische Staatsreligion wurde, hat sich natürlich alles, sage ich mal, ins Geistige verschieben lassen. Also da wurden die Christen ja nicht mehr gefürchtet, solange sie schön mitmachten mit dem Kaiser, und das verinnerlichten, also den Widerstand in eine innere Haltung transformierten, aber nicht öffentlich gegen die staatlichen Sachen aufstanden. Und das war eine Haltung, in der es sich auch leben ließ, und das andere wäre wahrscheinlich nicht gegangen, da wären die Christen als Sekte längstens ausradiert worden, also unter den alten Kaisern.

Westhuis: Werfen wir doch mal einen Blick wieder direkt in die Bibel zu den Frauen: Am dritten Tage nach dem Tod Jesu am Kreuz war das Grab leer, und die, die es entdeckten, waren der Bibel nach wieder die Frauen. Auch hier noch mal die Frage: Hat das eine besondere Bedeutung, dass hier die Frauen das leere Grab entdecken?

Rehmann: Ja, ich denke schon, das ist nicht Zufall, dass es in allen Evangelien die Jüngerinnen sind, die eben von ferne zusehen, die wissen, wo er begraben ist, und die dann auch den Mut aufbringen, ihren Freund und Lehrer zu besuchen, also im die letzte Ehre zu geben oder zu schauen, ob er auch gut gebettet ist. Das ist schon ein durchgehender Zusammenhang. Ich meine, wir können heute das wirklich auch so brauchen, es spielt uns in die Hände, zu sagen, die Frauen wurden so lange vom Altarraum oder von der Macht zu lehren, zu verkünden, wichtige Botschafterinnen zu sein, ausgeschlossen, jetzt schaut doch mal in der Bibel, da ist es also ganz anders, da sind die Frauen diejenigen, die die Lebensbotschaft bringen. Diese Macht der Lektüre haben wir natürlich jetzt schon mit diesen vier Evangelientexten.

Westhuis: Frau Sutter Rehmann, was bedeutet Auferstehung? Sie sprachen gerade von Jesus als Kraft, die den Tod überwindet. Was bedeutet Auferstehung?

Rehmann: Ja, dass der Tod nicht das letzte Wort hat. Also jetzt vorhin haben wir von Schuld und politischem Unrecht und so weiter gesprochen, dass das nicht siegt, sondern dass es immer wieder Aufbrüche gibt, die sich für Recht und Leben einsetzen, das ist diese Kraft, die sehen wir symbolisch vielleicht im Frühling, also wenn die Schneedecke bricht und das Leben darunter hervordrängt, dann sehen wir eigentlich wie ein Symbol von dieser Kraft, die Kraft, die ans Licht drängt und das Licht eben nicht nur biologisch, sondern auch als Lebendigkeit in uns drin, dass tote Seiten oder traurige Seiten in uns wieder aufbrechen können, und gesellschaftlich, dass wir nicht einfach stur in eine Richtung immer laufen müssen, bis das eine Sackgasse ist, sondern wir können umkehren, wir können neu werden. Das ist eigentlich die große religiöse Kraft in der ganzen Bibel, und in dem Messiasgeschehnis das verdeutlicht, dass er mit dieser Kreuzigung, die ganz schrecklich ist und sehr viele Leute damals betraf, die gekreuzigt wurden, und dagegen dann dieses Wort der Auferstehung, das hört ja nicht auf. Die Römer siegen nicht, der Tod siegt nicht, die Kraft des Lebens, die geht weiter.

Westhuis: Sie sprechen von ganz konkreten Dingen, von alltäglichen Dingen, von Dingen, die uns im Leben herausfordern, dann ist das also nicht nur eine Sache fürs große Ganze, fürs Sterben und das Leben nach dem Tod?

Rehmann: Ja, sicher nicht, also das wäre, das ist so eine Folge vom Christentum als Staatsreligion, diesem Verinnerlichungsprozess, der dann auch das Auferstehen auf nachher verschiebt, für die Toten, da kostet es nichts mehr. Da tut es quasi auch den Römern nicht mehr weh. Eigentlich zeigt gerade das Christusgeschehen, dass Auferstehen im Leben geschieht immer wieder.

Westhuis: Also man kann einfach mal aufstehen, auferstehen?

Rehmann: Ja, wenn Sie es so sagen, klingt es natürlich recht einfach, aber ich meine, wer ernsthaft krank war, weiß, was das heißt, wie das in einem wieder langsam kommt, diese Kraft, bis man sagt, mein Gott, es ist wahr, ich stehe wieder, ich sehe wieder hinaus, ich bin wieder da, und dasselbe mit gesellschaftlichen Bewegungen. Da, wo keine Hoffnung mehr ist – alles ist, sage ich jetzt mal, wie in Nordafrika unter diesen Diktatoren damals, da war das Volk stumm und arm, Punkt. Und dass es aufsteht, schreit und Freiheit will, das ist ein Riesenauferstehungsprozess, der da geschehen ist.

Westhuis: Das War Luzia Sutter Rehmann, Titularprofessorin für das Neue Testament an der Universität Basel. Herzlichen Dank für das Gespräch!

Rehmann: Danke Ihnen!

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