Maik Baumgärtner, Ann-Katrin Müller: "Die Unsichtbaren. Wie Geheimagentinnen die deutsche Geschichte geprägt haben"
DVA, München 2022
384 Seiten, 24 Euro
Corinna von Bassewitz: "Das Geheimnis meines Vaters. Der BND, meine Familie und ich"
Hirzel, Stuttgart 2022
160 Seiten, 22 Euro
Sachbücher über Spionage
Auf den Rücken einer Spionin wurde 1940 eine verschlüsselte Nachricht mit unsichtbarer Tinte geschrieben. Sie arbeitete in der Verkleidung eines Stubenmädchens. © Getty Images / Bettmann Archive
Warum Frauen die besseren Spione sind
53:48 Minuten
Als Doppelagentin führte Lily Sergueiew die Nazis 1944 in die Irre. Ein neues Sachbuch erzählt von ihr und anderen mutigen Spioninnen. Die Journalistin Corinna von Bassewitz berichtet in ihrem Buch, wie sie ihren Vater als Agent enttarnte.
„Ich habe meinen Vater dabei erwischt, wie er sich mit falschem Namen am Telefon meldete“, erzählt Corinna von Bassewitz. Als sie Jugendliche war, lebte ihre Familie in den Niederlanden. Ihr Vater arbeitete damals an der deutschen Botschaft in Den Haag. Zu Hause habe es ständig Partys gegeben und viele Gäste kamen aus Polen, der Tschechoslowakei und anderen Ostblock-Staaten.
Den eigenen Vater enttarnt
Später habe sie ihn nach seiner Arbeit an der Botschaft gefragt. „Er hat ständig rumgeschwindelt, was er treibt“, erinnert sich von Bassewitz. Und dann sei sie ihrem Vater mal hinterhergeschlichen. „Das Geheimnis meines Vaters“ heißt ihr Buch, in dem sie beschreibt, wie sie herausfand, dass ihr Vater im Kalten Krieg als Agent des Bundesnachrichtendienstes gearbeitet hat.
In Filmen wird das Klischee von Geheimagenten durch heldenhafte Figuren wie James Bond oder Jason Bourne geprägt. Doch es waren und sind oft Frauen, die unauffällig im Verborgenen agieren. „Frauen haben erstaunlich krasse Dinge getan“, sagt Spiegel-Redakteurin Ann-Katrin Müller.
Und ihr Kollege Maik Baumgärtner ergänzt, Frauen stünden den Männern in nichts nach. „Sie stehlen Informationen, sie gehen auf verdeckte Operationen mit Legende und falscher Identität.“ Die Erkenntnis ihrer Recherche sei, dass sehr viele Frauen bei Geheimdiensten im Einsatz waren, über die man nie etwas gehört hat. Über diese Frauen schreiben Baumgärtner und Müller in ihrem Buch „Die Unsichtbaren“.
Als Doppelagentin bei den Nazis
Erstaunlich sei gewesen, dass Frauen in Deutschland noch nicht wählen durften, aber bereits als Spioninnen eingesetzt wurden. „Es war eine Zeit, in der sich Frauen in diesem Metier ausleben und entfalten konnten, was sie sonst gesellschaftlich nicht konnten“, so Baumgärtner. „Es gab eine Wertschätzung, sie hatten eine Aufgabe, damit haben sie Geld verdient. Damit waren sie emanzipiert in gewisser Weise.“
Eine herausragende Gestalt war Lily Sergueiew, eine in Frankreich aufgewachsene Russin. Im Zweiten Weltkrieg war sie eine der wichtigsten Doppelagentinnen. Die Nationalsozialisten bildeten sie zur Agentin aus und schickten sie zum Einsatz nach England. Was die Deutschen nicht ahnten: Von Anfang an hatte Sergueiew die Absicht, die Nationalsozialisten mit falschen Informationen über die britische Kriegsstrategie zu versorgen.
Die Deutschen ahnten, dass die Alliierten in der Normandie landen wollten. Sie verstärkten ihre Abwehr und errichteten Schutzeinrichtungen an der französischen Küste. Sie vertrauten den Informationen, die Sergueiew ihnen über den Ort der Landung zukommen ließ.
Operation Overlord
Doch am D-Day fand die Operation viele Kilometer von den deutschen Stellungen entfernt statt. So sorgte Sergueiew dafür, dass die deutsche Wehrmacht die Landung der Alliierten in der Normandie an ganz anderer Stelle erwartete, als sie tatsächlich stattfand. Sie trug so zum Erfolg der „Operation Overlord“ bei und schrieb Geschichte – auch wenn diese Geschichte so gut wie unbekannt ist.
„Männer haben eben häufiger das Bedürfnis, über ihre Rolle zu sprechen“, kommentiert Ann-Katrin Müller den Umstand, dass die Rolle von Frauen in der Spionage weniger bekannt ist, als die von Männern.
Doch Corinna von Bassewitz‘ Vater scheint eine Ausnahme zu sein. Ihr Vater sei früh gestorben, erzählt sie. Daher habe sie ihn auch nicht mehr zu seiner Rolle befragen können. „Ich habe ihn leider, leider nie allein und privat sprechen können. Das war sehr schade.“ Und so seien ihr nur die Briefe und die Erzählungen ehemaliger Kollegen geblieben, die sie für ihr Buch ausgewertet hat.
Die Lesart aus dem Grillo-Theater Essen ist eine Kooperation von Deutschlandfunk Kultur mit dem Schauspiel Essen, der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung und der Buchhandlung Proust.