Frauen - Verletzt und aggressiv
Warum sind im Alltag so oft vor allem jüngere Frauen und Mädchen aggressiv? - Einer der Gründe dafür ist nach Meinung der Trauma-Therapeutin Astrid von Friesen, dass es als Tabu gilt, über weibliche Gewalt überhaupt zu sprechen.
Es gibt eine Methode in der Soziologie, die sich immer wieder im Alltag bewährt: das Zählen, also selbst viele kleine Statistiken herzustellen. Das macht Spaß, schafft Fakten und befördert die Verwunderung.
So wundere ich mich über das Verhältnis von 12:1. Ich wohne in einer kleinen Gasse und bin angewiesen auf Autofahrer, die mich auf die Hauptstraße einbiegen lassen. In einem Verhältnis von 12:1 sind es Männer, ältere und junge, die mir freundlich diese Vorfahrt gewähren. Ganz selten ist es eine jüngere Frau unter 40 Jahren. Nur eine von zwölf. Frage ich Freunde, ob sie weibliche Aggressivität im Straßenverkehr ebenfalls bemerken, kommt von gestandenen Leuten: Ja, natürlich, aber das darf man doch nicht kritisieren.
Die berüchtigten "Berliner Kampfmütter", die mit den 1000 Euro teuren Kinderwagen ohne Rücksicht auf Passanten oder Radler durch die Gegend schieben oder beim Bringen und Holen der Kinder vor den Kitas den gesamten Straßenverkehr mit ihren Autos blockieren, sind bereits legendär.
Als Therapeutin frage ich mich, worum so viele jüngere Frauen und Mädchen im Alltag derart aggressiv sind? Ganz abgesehen von dem enormen Anwachsen der weiblichen Aggressionsdelikte, die vor Gericht landen.
Die Generation der Unter-40-Jährigen hat weder im Osten noch im Westen nennenswerte Lebenskatastrophen bewältigen müssen, denn bei der Wende waren sie jung genug, um ins Neue aufzubrechen. Sie wurden gefördert und sie haben vielfach tolle Ausbildungen absolviert. Doch weder die Väter, deren Prinzessinnen sie meist waren, noch ihre Mütter, die sich als ihre Freundinnen mit ständigem Klamottentausch gerierten, haben sie offenbar begrenzt und ihnen zivile Umgangsformen beigebracht.
Warum sind sie derart verwundet, dass sie derart agieren müssen?
Im Zeitalter des Narzissmus sind auch Frauen Zielscheibe für die Perfektionsansprüche der gesamten Gesellschaft, die jedoch nicht reflektiert werden. Ergo kommt es zu einer Abkapselung und sie agieren wie trotzige Zweijährige oder zickige, aufgeblasene Vorpubertierende. Hinzu kommt, dass der kollektive Narzissmus zu Wutausbrüchen führt, wenn man selbst und wenn die Anderen nicht den Idealvorstellungen entsprechen. Auch wird von den Medien – täglich über viele Stunden – suggeriert, dass es langt, attraktiv und selbstverliebt zu sein.
Hinter diesen Aggressionen verstecken sich also unbewusste Wünsche nach einer produktiveren Art von Kontakt, den sie aus sich heraus jedoch nicht gestalten können.
Hinzu kommt folgendes Moment: Wer traut sich schon, Frauen zu kritisieren? Die Eltern haben es sträflich versäumt. Männer haben riesige Ängste, irgendetwas an ihnen anzuprangern, denn sofort wird die Keule der Gender-Korrektheit geschwungen und die heißt: Frauen sind per se Opfer und sakrosankt, niemand darf ihr Verhalten in Frage stellen.
Ein anderes Tabu kommt hinzu: über weibliche Gewalt überhaupt zu sprechen. 50 Prozent aller häuslichen Gewalt in den Industrienationen teilen Frauen aus - gegen ihre Männer und gegen ihre Kinder. Doch weder die Männer, noch die Kinder bringen dieses Schlagen, Boxen, Peitschen zur Anzeige, weil sie sich zutiefst schämen und ihnen sowieso niemand glauben würde.
Als frauenbewegte Frau habe ich bereits 1999 konstatiert, dass wir alle dies eigentlich nicht so gewollt hätten. Wir zielten auf Gleichheit und Gleichberechtigung und einen offenen Diskurs, nicht auf vermehrte Zwietracht und die Spaltung der Gesellschaft in neue Opfer und neue Täter, nämlich Frauen als Täterinnen. Und ganz bestimmt nicht auf die Angst, von der Gender-Front attackiert und bedroht zu werden, nur weil wir – so wie bei allen Ärgernissen in unserer Gesellschaft – auch mal den Schwestern den Spiegel kritisch vorhalten.
Astrid von Friesen, Jahrgang 1953, unterrichtet an den Universitäten in Dresden und Freiberg, macht Lehrerfortbildung und Supervision. Im MDR-Hörfunkprogramm "Figaro" hat sie eine Erziehungs-Ratgeber-Sendung. Außerdem schreibt sie Bücher, zuletzt: "Schuld sind immer die anderen! Die Nachwehen des Feminismus: frustrierte Frauen und schweigende Männer" (Ellert & Richter Verlag Hamburg).
So wundere ich mich über das Verhältnis von 12:1. Ich wohne in einer kleinen Gasse und bin angewiesen auf Autofahrer, die mich auf die Hauptstraße einbiegen lassen. In einem Verhältnis von 12:1 sind es Männer, ältere und junge, die mir freundlich diese Vorfahrt gewähren. Ganz selten ist es eine jüngere Frau unter 40 Jahren. Nur eine von zwölf. Frage ich Freunde, ob sie weibliche Aggressivität im Straßenverkehr ebenfalls bemerken, kommt von gestandenen Leuten: Ja, natürlich, aber das darf man doch nicht kritisieren.
Die berüchtigten "Berliner Kampfmütter", die mit den 1000 Euro teuren Kinderwagen ohne Rücksicht auf Passanten oder Radler durch die Gegend schieben oder beim Bringen und Holen der Kinder vor den Kitas den gesamten Straßenverkehr mit ihren Autos blockieren, sind bereits legendär.
Als Therapeutin frage ich mich, worum so viele jüngere Frauen und Mädchen im Alltag derart aggressiv sind? Ganz abgesehen von dem enormen Anwachsen der weiblichen Aggressionsdelikte, die vor Gericht landen.
Die Generation der Unter-40-Jährigen hat weder im Osten noch im Westen nennenswerte Lebenskatastrophen bewältigen müssen, denn bei der Wende waren sie jung genug, um ins Neue aufzubrechen. Sie wurden gefördert und sie haben vielfach tolle Ausbildungen absolviert. Doch weder die Väter, deren Prinzessinnen sie meist waren, noch ihre Mütter, die sich als ihre Freundinnen mit ständigem Klamottentausch gerierten, haben sie offenbar begrenzt und ihnen zivile Umgangsformen beigebracht.
Warum sind sie derart verwundet, dass sie derart agieren müssen?
Im Zeitalter des Narzissmus sind auch Frauen Zielscheibe für die Perfektionsansprüche der gesamten Gesellschaft, die jedoch nicht reflektiert werden. Ergo kommt es zu einer Abkapselung und sie agieren wie trotzige Zweijährige oder zickige, aufgeblasene Vorpubertierende. Hinzu kommt, dass der kollektive Narzissmus zu Wutausbrüchen führt, wenn man selbst und wenn die Anderen nicht den Idealvorstellungen entsprechen. Auch wird von den Medien – täglich über viele Stunden – suggeriert, dass es langt, attraktiv und selbstverliebt zu sein.
Hinter diesen Aggressionen verstecken sich also unbewusste Wünsche nach einer produktiveren Art von Kontakt, den sie aus sich heraus jedoch nicht gestalten können.
Hinzu kommt folgendes Moment: Wer traut sich schon, Frauen zu kritisieren? Die Eltern haben es sträflich versäumt. Männer haben riesige Ängste, irgendetwas an ihnen anzuprangern, denn sofort wird die Keule der Gender-Korrektheit geschwungen und die heißt: Frauen sind per se Opfer und sakrosankt, niemand darf ihr Verhalten in Frage stellen.
Ein anderes Tabu kommt hinzu: über weibliche Gewalt überhaupt zu sprechen. 50 Prozent aller häuslichen Gewalt in den Industrienationen teilen Frauen aus - gegen ihre Männer und gegen ihre Kinder. Doch weder die Männer, noch die Kinder bringen dieses Schlagen, Boxen, Peitschen zur Anzeige, weil sie sich zutiefst schämen und ihnen sowieso niemand glauben würde.
Als frauenbewegte Frau habe ich bereits 1999 konstatiert, dass wir alle dies eigentlich nicht so gewollt hätten. Wir zielten auf Gleichheit und Gleichberechtigung und einen offenen Diskurs, nicht auf vermehrte Zwietracht und die Spaltung der Gesellschaft in neue Opfer und neue Täter, nämlich Frauen als Täterinnen. Und ganz bestimmt nicht auf die Angst, von der Gender-Front attackiert und bedroht zu werden, nur weil wir – so wie bei allen Ärgernissen in unserer Gesellschaft – auch mal den Schwestern den Spiegel kritisch vorhalten.
Astrid von Friesen, Jahrgang 1953, unterrichtet an den Universitäten in Dresden und Freiberg, macht Lehrerfortbildung und Supervision. Im MDR-Hörfunkprogramm "Figaro" hat sie eine Erziehungs-Ratgeber-Sendung. Außerdem schreibt sie Bücher, zuletzt: "Schuld sind immer die anderen! Die Nachwehen des Feminismus: frustrierte Frauen und schweigende Männer" (Ellert & Richter Verlag Hamburg).