Frauenfeindlicher Extremismus

Es sind nicht immer nur die Taliban

Eine Frau hält in Texas bei einer Demonstration für das Recht auf Abtreinung ein Plakat nach oben.
Protest für das Recht auf Abtreibung in Texas: Im Kampf für Frauenrechte dürften die Taliban nicht zur Fundamentalismus-Referenzgröße werden, so Jasamin Ulfat-Seddiqzai. © picture alliance / AA / Charles C. Peebles
Ein Standpunkt von Jasamin Ulfat-Seddiqzai |
Wenn irgendwo auf der Welt Frauenrechte beschnitten werden, wird schnell ein Begriff bemüht: Dass die afghanischen Taliban ständig als extremistischer Standard herhalten müssen, kritisiert die Literaturwissenschaftlerin Jasamin Ulfat-Seddiqzai.
Jetzt also doch: In Afghanistan gilt wieder die Verschleierungspflicht. Nach ihrer Machtübernahme im vergangenen August gaben sich die Taliban verbal zunächst gemäßigt, nur um dann Schritt für Schritt Frauenrechte offiziell abzuschaffen, von denen viele in den letzten 20 Jahren ohnehin nur auf dem Papier existierten.
Mit dem Wort „Hijab“-Pflicht haben die Taliban ihren jüngsten Beschluss bewusst vage gehalten. So können sie nach außen behaupten, es ginge nur um das locker getragene Kopftuch. Doch afghanische Frauen wissen, dass sie sich ab jetzt komplett verschleiern müssen, am besten ganz zu Hause bleiben sollen.

Frauenrechte weltweit unter Druck

Diese Entwicklung ist keine Überraschung. Dass die Taliban sich in Sachen Frauenrechte liberalisiert hätten, haben nur wenige geglaubt. Leider sind sie kein Einzelfall. Überall auf der Welt werden Frauenrechte beschnitten.
So stieg die Türkei aus der sogenannten Istanbul-Konvention aus, die den Schutz von Frauen garantieren soll. In der Ukraine häufen sich Berichte über gezielte Gruppenvergewaltigungen. Und in den USA steht wohl die Abschaffung des Bundesrechts auf Schwangerschaftsabbruch durch den Obersten Gerichtshof bevor.
Die Entrüstung ist groß, könnte die Entscheidung jahrzehntelange Fortschritte der Frauenbewegung zunichtemachen. Im Staat Texas, der seine ohnehin strengen Abtreibungsgesetze letztes Jahr noch verschärfte, diskutiert man mittlerweile offen darüber, bei illegalen Abtreibungen die Todesstrafe zu verhängen.
Was die Republikaner in Texas bereits durchgesetzt haben, ist eine Art Kopfgeldsystem, das Menschen finanziell belohnt, die illegale Abtreibungen anzeigen. Die Wut unter Amerikas Progressiven ist groß – und mit der Wut kommen die Taliban-Vergleiche.

Fanatismus und Muslime werden gleichgesetzt

Egal ob die Schauspielerin Alyssa Milano von den „Texas Taliban“ spricht, ob katholische Fundamentalisten als „Katholiban“ bezeichnet werden, oder Nutzer auf Twitter feixen, dass die islamfeindliche, christliche Rechte jetzt selbst die Scharia einführt: Wenn irgendwo auf der Welt etwas Frauenfeindliches beschlossen wird, nutzt man die Taliban als Referenzgröße.
Die Gleichsetzung von Fanatismus mit Muslimen erscheint so „normal“, dass sie vielen gar nicht mehr auffällt. Islamistischer Fundamentalismus wird als das „Original“ gelesen, während christlicher Fundamentalismus wie eine milde Kopie erscheint.
Dabei sind Gruppen christlicher Fundamentalisten in Amerika älter, besser organisiert und einflussreicher, als die Taliban es jemals werden könnten.
Während diese sich nach Jahrzehnten eines brutalen Krieges in einem völlig zerbombten und durch Bürgerkrieg verarmten Land gründeten, kommen die Radikalen in den USA aus einer reichen und gebildeten Gesellschaft. Dennoch vertreten sie Moralvorstellungen, die denen der Taliban nicht nachstehen.

Christlichen Fundamentalismus nicht verniedlichen

Mit Amy Coney Barrett wurde ein Mitglied einer christlich-fundamentalistischen Sekte an den Obersten Gerichtshof ernannt, millionenschwere Megachurches haben Einfluss auf die Politik. Im Falle der radikal-christlichen Duggar-Familie hat die Verniedlichung sogar zu einer beliebten TV-Serie geführt, die als harmlose Familienunterhaltung gilt. Das Duggar-Ehepaar hat 20 Kinder, hält Verhütung für Sünde und glaubt, dass Frauen ihren Ehemännern bedingungslos gehorchen müssen.
Dass solche rückschrittlichen Gedanken in einem modernen und reichen Land wie den USA zum Teil gefeiert werden, ist tragisch. Denn während man dem Fundamentalismus in Afghanistan mit Bildung und Wohlstand begegnen kann, ist die christliche Rechte im Wohlstand entstanden und hat Einfluss auf die höchsten Ränge amerikanischer Politik. Vielleicht sind es also nicht nur die Taliban, die als extremistischer Standard herhalten sollten.

Jasamin Ulfat-Seddiqzai lehrt und forscht an der Universität Duisburg-Essen zu britischer Literatur im 19. Jahrhundert. Ihre Schwerpunkte sind Orientalismus, Stereotypenbildung und Männlichkeitsbilder, insbesondere im Kontext der Anglo-Afghanischen Kriege, über die sie derzeit ihre Dissertation schreibt. Ihre journalistischen Texte behandeln Xenophobie, Frauen im Islam und erschienen in der „taz“ und der „Rheinischen Post“.

Jasamin Ulfat-Seddiqzai posiert für ein Pressebild.
© privat
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