Frauenquote in öffentlichen Unternehmen

Schlechte Noten für den Staat

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Eine Illustration zeigt einen Konferenztisch, an dem ein Platz farblich heraussticht.
Die geplante Frauenquote soll auch für Unternehmen mit staatlicher Mehrheitsbeteiligung und für Körperschaften öffentlichen Rechts gelten. © mago images / Westend61
Von Benjamin Dierks |
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Eine Quote für Vorstandsposten: So will die Bundesregierung Frauen nicht nur in börsennotierten, sondern auch in öffentlichen Unternehmen in Führungspositionen bringen. Denn auch dort sitzen bisher meistens Männer auf den Chefsesseln.
Gundula Roßbach ist ein Hausgewächs. Die Verwaltungsjuristin kam 1997 zur Deutschen Rentenversicherung Bund, die damals noch Bundesversicherungsanstalt für Angestellte hieß. Sie stieg auf, wurde erst Referats- dann Abteilungsleiterin, Direktorin erst in Berlin-Brandenburg, dann im Bund und schließlich, 20 Jahre nachdem sie angeheuert hatte, Präsidentin.
"Bei uns im Haus arbeiten insgesamt überdurchschnittlich viele Frauen, und zwar mehr als 70 Prozent", sagt sie. "Da ist es aus meiner Sicht eher folgerichtig, dass wir nahezu auf allen Führungsebenen auch einen überdurchschnittlichen Anteil an Frauen haben."
Folgerichtig mag es sein, aber keineswegs üblich. Die Deutsche Rentenversicherung Bund ist etwas Besonderes in der Sozialversicherung. Die Überzahl an Frauen in der Belegschaft ist typisch für diesen Sektor. Was nicht typisch ist: Dass sich der Frauenüberschuss auch im Vorstand widerspiegelt.
Zwei der drei Direktoriumsmitglieder des Rentenversicherers sind Frauen. Und auch von diesen Dreien ist es mit Roßbach eine Frau, die innerhalb des Führungsgremiums auf dem Chefsessel sitzt.

Strukturelle Benachteiligung gegenüber Männern

Die angemessene Präsenz von Frauen habe nur geklappt, weil das Unternehmen rechtzeitig die Voraussetzungen dafür geschaffen hat, berichtet Roßbach.
"Wir sind früh strukturellen Benachteiligungen nachgegangen", erzählt sie. "Und ich glaube, wir waren Vorreiter in der Verwaltung. So haben wir zum Beispiel aufgezeigt, wieso Frauen, die in Teilzeit arbeiten und auch Freuen in Führungspositionen schlechter beurteilt werden als Männer. Und das haben wir zum Anlass genommen, anschließend gegenzusteuern."
Gundula Roßbach posiert für ein Foto.
"Ich glaube, wir waren Vorreiter in der Verwaltung", sagt die Präsidentin der Deutschen Rentenversicherung Gundula Roßbach.© picture alliance / Britta Pedersen/dpa-zentralbild/dpa
Soweit sind andere Teile der Sozialversicherung noch nicht. In den gesetzlichen Krankenkassen etwa ist der Frauenanteil insgesamt ähnlich hoch. Schon im Durchschnitt der Führungspositionen aber fällt er deutlich magerer aus. Und wenn es um den Vorstand geht, sitzt nur bei einer Minderheit der Kassen eine Frau mit am Ruder.

Kaum besser als die Dax-Konzerne

Das hat eine kleine Anfrage von Nadine Schön ergeben, Vizechefin der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag: "Wenn man sich nur mal die bundesunmittelbaren Krankenkassen anschaut, 67 gibt es davon, beträgt dort der Frauenanteil in den Vorständen knapp 14 Prozent."
Damit sieht es hier kaum besser aus als zum Beispiel in den Vorständen der viel gescholtenen Dax-Konzerne. Dort halten Frauen einen Anteil von 12,8 Prozent in den Vorständen. Aber wenn man von privaten Unternehmen Besserung verlange, dann bitte erst recht auch von den öffentlichen, sagt Nadine Schön.
"Wir sprechen ja schon lange darüber, dass die Führungsetagen deutscher Unternehmen doch noch sehr männlich besetzt sind. Und dann kann man es sich eben leichtmachen und mit dem Finger auf die Privatwirtschaft zeigen und sagen, ihr müsst mal besser werden. Man kann aber auch mal gucken und fragen, wo haben wir als Staat Mitsprachemöglichkeiten und eine Verantwortung?"
Deshalb wird die Frauenquote, die noch im Januar vom Bundeskabinett beschlossen und dann im Bundestag verhandelt werden soll, nicht nur börsennotierte und paritätisch mitbestimmte Unternehmen betreffen. Bei ihnen muss dem geplanten Gesetz zufolge ab 2022 bei mehr als drei Mitgliedern im Vorstand eine Frau dabei sein.

Strengere Vorgaben für öffentliche Unternehmen

Auch bei öffentlichen Unternehmen soll es künftig eine Quote geben — mit noch strengeren Vorgaben. "Je näher das Unternehmen am Staat ist, desto ambitionierter sind wir selbst", sagt Nadine Schön.
Wo der Bund mehrheitlich beteiligt ist, muss in dreiköpfigen Vorständen mindestens eine Frau vertreten sein. Und bei Körperschaften öffentlichen Rechts, also etwa Unfallversicherungen oder Krankenkassen, muss bereits bei einem zweiköpfigen Vorstand eine Frau dabei sein.
"Dadurch entsteht der Anreiz oder eben auch der Druck, sich schon bei der Suche nach geeigneten Bewerbern wirklich so umzuschauen, dass man nach Männern und Frauen schaut, und zwar mit dem Ziel, sowohl Männer als auch Frauen einzustellen", erklärt Nadine Schön.
Besonders Krankenkassen stehen Veränderungen ins Haus. Von den 68 betroffenen Kassen, also denen mit mindestens zwei Vorstandsmitgliedern, werden bisher 52 ausschließlich von Männern geführt, das sind 76 Prozent. Unter den zehn größten Kassen haben bislang lediglich drei eine Frau im Vorstand. Auf Nachfrage begrüßen einige der Kassen die Gesetzespläne, andere wollen sie nicht bewerten.

Quote greift bei Neubesetzung

Allein die IKK Classic übt Kritik: Sie sehe Initiativen skeptisch, die — so wörtlich — "in die Entscheidungshoheit der sozialen Selbstverwaltung eingreifen". Was die Kassenvertreter weitgehend einhellig fordern: "eine längere und flexiblere Übergangsfrist". Die CDU-Politikerin Schön sieht dafür allerdings keinen Grund: Die Quote greife ohnehin erst, wenn ein Vorstandsposten neu besetzt wird.
"Wir haben lange darauf gebaut", sagt sie, "dass durch die gute Ausbildung von Frauen und auch durch die bessere Kinderbetreuung es automatisch dazu kommt, dass auch mehr Frauen in Führungspositionen vertreten sind. Wir beobachten, dass das nicht der Fall ist, dass der Fortschritt gerade in Deutschland sehr langsam ist."
Und Zeit für den Übergang hätten die Unternehmen ausreichend gehabt, sagt Monika Schulz-Strelow, Unternehmensberaterin und Vorsitzende der Initiative "Frauen in die Aufsichtsräte", kurz FidAR. Auch Unternehmen mit mehrheitlicher Staatsbeteiligung geben kein besonders gutes Bild ab.
Der Beteiligungsbericht des Bundes weist für 2018 durchschnittlich 15,2 Prozent Frauen in Vorständen und Geschäftsführungen aus. Etwas besser als Dax-Unternehmen und Krankenkassen, doch im Vergleich zum Vorjahr sogar ein Rückschritt. Eine Erhebung von FidAR hatte ergeben, dass Werkzeuge wie freiwillige Selbstverpflichtungen kaum Erfolge zeigten.
"Einmal sind es die fest zementierten Strukturen, die ja aus Sicht der Beteiligten gut funktioniert haben, die auch nicht infrage gestellt wurden", sagt Monika Schulz-Strelow. "Und ich glaube, es ist immer noch leichter, sich nach dem Ähnlichkeitssystem zu entscheiden, als wenn man sag: Okay, wir müssen gucken, dass auch unsere öffentlichen Unternehmen innovativ aufgestellt sind. Wir müssen uns mit Diversity und Chancengleichheit und gleichberechtigter Teilhabe ganz anders auseinandersetzen. Ich glaube, diese Notwendigkeit ist von vielen nicht gesehen worden, sodass wirklich Verschiebungen erfolgt sind."

"Selbstverpflichtungen alleine helfen offenbar nicht"

Dass solche Verschiebungen bewusst angestoßen werden müssen, hat Gundula Roßbach miterlebt. Seit 20 Jahren gebe es in der Deutschen Rentenversicherung Bund Förderprogramme für Frauen, Beratung gegen Diskriminierung oder Job-Sharing für Frauen in Teilzeit.
Das habe die Einstellung im Unternehmen geändert, sagt die Präsidentin des Versicherers: "Wenn ich mir die aktuellen Voraussetzungen so anschaue, bin ich für die Quote. Wir merken doch alle: Selbstverpflichtungen alleine helfen offenbar nicht, um die vielen gut und sehr gut qualifizierten Frauen in Führungspositionen zu bringen."
Für Gundula Roßbach stehen längst andere Themen auf dem Programm. Sie hält ihre Führungskräfte an, sich stärker um Kolleginnen und Kollegen mit Behinderung zu kümmern. Im vergangenen Jahr wurde ein Regenbogennetzwerk für Schwule und Lesben in der Rentenversicherung gegründet. Und Roßbach will mehr Menschen mit Migrationshintergrund anwerben. Wenn es um Vielfalt geht, da ist sie sicher, ist die Frauenquote erst der Anfang.
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