Frauenrollen

Feminismus bleibt notwendig

"Feminism" steht bei einer Demonstration zum internationalen Weltfrauentag 2015 auf einer kleinen Fahne.
Alleine, dass es Auseinandersetzungen über Frauen-Rollen gibt, beantwortet die Frage, ob Feminismus noch notwendig ist, so Lena Gorelik. © imago / Markus Heine
Von Lena Gorelik · 16.09.2015
Als Mutter solltest du voller Emotionen sein, im Job aber ja nicht zu emotional: Weil Frauen nach wie vor mit Normen und Erwartungen wie diesen konfrontiert sind, sei Feminismus noch notwendig, meint die Schriftstellerin und Journalistin Lena Gorelik. Feminismusgegnerinnen wie Ronja von Rönne irrten sich.
In einer Zeit, in der darüber diskutiert wird, ob eine Frauenquote in Führungsetagen notwendig ist, in der gleichzeitig diskutiert wird, ob der Feminismus als Frauenbewegung, als Aktion und Konzept, notwendig ist, in dieser Zeit muss sich Frau täglich im Alltag mit ihrer Rolle auseinandersetzen, auch mit dem, was andere von ihr erwarten und wie diese anderen über sie und ihr Rollenverständnis reden.
Das Reden der anderen muss nicht immer negativ und diskriminierend sein. Allein schon, dass Rollen vorhanden sind, die solche Auseinandersetzungen auslösen, beantwortet die Frage, ob Feminismus noch notwendig ist.
Frauen sind nie gut genug
Es sind normative Vorstellungen, denen Frau begegnet. Mütter haben zu sein. Frauen haben zu sein. Für ihre Kinder da zu sein. An diesen mehr hängend als an der Karriere. Und gleichzeitig: Hart im Nehmen sollen sie sein, wenn sie es in den oberen Etagen mit den Männern aufnehmen wollen. Bereit zu verzichten, wenn sie es schaffen wollen.
Das Normative hat einen Beigeschmack: Die Unterstellung, dass Frau nicht genug ist, nicht genug kann. Wenn du arbeitest, bist du keine gute Mutter. Wenn du nicht bei deinen Kindern bist, wenn sie krank sind, bist du keine gute Mutter. Wenn du deinen Arbeitsplatz mal früher verlässt, um bei einem Schulfest dabei zu sein, dann gibst du nicht Vollgas im Beruf.
Wenn du Kinder hast, kannst du dich nicht voll einsatzbereit zeigen, wie ein Mann das tut. Wenn du dich heute für den Job und gegen Kinder entscheidest, dann kann sich das jederzeit wieder ändern, weil du eine Frau bist und ein Kinderwunsch bei einer Frau ganz natürlich.
Wenn du eine Mutter bist, dann solltest du voller Emotionen sein, im Job hingegen ja nicht zu emotional. Ach so, und auch das ist ein Grund, warum beides sich nicht miteinander verbinden lässt.
Normative Vorstellungen setzen sich fest
Solange Vorstellungen und Ansprüche wie diese durch die Gesellschaft kursieren, solange sie sich festsetzen und festgesetzt werden in den Köpfen von Kindern, solange es immer noch Unterschiede in der Entlohnung von Männern und Frauen gibt, solange noch diskutiert werden muss, ob eine Frauenquote etwas an dem herrschenden System ändern kann oder schon in der Idee diskriminierend ist, so lange wird man den Feminismus noch brauchen.
Ronja von Rönne hat ein paar Wochen vor den Literaturtagen in Klagenfurt, an deren Lesewettbewerb um den Ingeborg-Bachmann-Preis sie teilnahm, einen Text veröffentlicht, der mit "Warum der Feminismus mich anekelt" überschrieben ist. Die Art einer relativ unbekannten Autorin, Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, hat leider nicht nur diesen Zweck hervorragend erfüllt, sondern zieht auch andere Konsequenzen nach sich.
Frauen aus Bewertung befreien
Wenn sie mit ihren 23 Jahren, ihrer Biografie und ihrem Aussehen, wie sie schreibt, noch nie erlebt hat, "dass Frau-Sein ein Nachteil ist", so ist das keine Erfahrung, die verallgemeinert werden kann. Und wenn sie dann Beifall von allen möglichen und eben auch von fragwürdigen Seiten erhält. Und wenn sie durch einen Shitstorm von all jenen Frauen, die eben den Nachteils des "Frau-Seins" durchaus gemacht haben, auch noch zu einer Opferfigur der freien Meinungsäußerung stilisiert wird, dann geschieht genau das, was sie dem Feminismus vorwirft: das Ganze dient nicht der Sache, nicht der Kritik.
Wir brauchen den Feminismus, nicht nur um Gerechtigkeit herzustellen, sondern auch um gesellschaftlichen Vorstellungen zu entkommen, was Frau zu sein hat. Um Bewertungen zu entkommen. Um Ansprüchen zu entkommen, die andere an uns stellen, nicht aber wir - als Frauen wie als Menschen. Und beides zu erwähnen, sagt bereits Einiges aus.
Der Feminismus ist nämlich unverändert notwendig, um nicht allein an der Frage gemessen zu werden, ob wir Frauen sind oder nicht.
Lena Gorelik, wurde 1981 in Russland im damaligen Leningrad geboren und kam 1992 zusammen mit ihrer russisch-jüdischen Familie nach Deutschland. Ihre Romane "Meine weißen Nächte", "Hochzeit in Jerusalem" und "Verliebt in Sankt Petersburg" wurden mit mehreren Preisen ausgezeichnet. Zuletzt erschienen von ihr "Sie können aber gut deutsch", "Lenas Tagebuch" (Herausgeberin) und "Die Listensammlerin".
Porträtfoto der Schriftstellerin und Journalistin Lena Gorelik
Die Schriftstellerin und Journalistin Lena Gorelik© picture alliance / dpa / Jens Kalaene
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